Georg Eckert: "True, Noble, Christian Freethinking". Leben und Werk Andrew Michael Ramsays (1686-1743), Münster: Aschendorff 2009, 816 S., ISBN 978-3-402-12799-5, EUR 49,00
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Leben und Werk Andrew Michael Ramsays (1686-1743), so lautet der Untertitel der monumentalen Monographie von Georg Eckert. Sein Zugang ist nicht von der traditionellen Ideengeschichte geprägt, sondern er orientiert sich vielmehr an der von der "Cambridge School" und von der Sprachwissenschaft beeinflussten Ideengeschichte. Für diese gibt es stets eine enge Interdependenz zwischen dem die Grundvoraussetzung zur Formung von Texten schaffenden sozialen Kontext und den Zeugnissen, die wiederum einen solchen Kontext verändern und prägen. Auf dem Hintergrund einer solchen Ideengeschichte erweist sich die Gattung der Biografie als ein dankbarer Gegenstand zur Darstellung semantischer Konkretionen eines Zeitalters, da sie Transformationsprozesse besonders deutlich und plastisch zu beschreiben vermag.
Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Aufklärungsforschung ihr Augenmerk zunehmend auf die Frühaufklärung richtet, ist ein solcher biografie-orientierter, ideengeschichtlicher Ansatz, sofern er wie in der vorliegenden Monographie konsequent und mit einem stringenten Methodenbewusstsein verfolgt wird, in hohem Maße fruchtbar: Indem der Verfasser am Beispiel Andrew Michael Ramsays die "intellektuelle Formation im Kontext einer umfassenden Transformation der europäischen Denkungsart im ausgehenden 17. Jahrhundert" (14) untersucht und beschreibt, leistet er einen signifikanten Beitrag zur Archäologie der europäischen Aufklärung (ebenda).
Nicht, dass Ramsay bis jetzt unbekannt gewesen wäre: Auch wenn er zu seinen Lebzeiten bekannter war als heutzutage (während Hume sein "noble christian freethinking" lobte, ein Motto, das Georg Eckert als Überschrift gewählt hat, kennen ihn heute vor allem Spezialisten des frühen 18. Jahrhunderts), konnte der Verfasser auf mehrere Arbeiten zu diesem Autor zurückgreifen, aber keine von diesen ging bisher so systematisch vor. Daher wurden nur verschiedene Facetten von Ramsays Wirken erhellt (zum Beispiel seine Rolle für die Verbreitung der Freimaurerei, [1] seine Verbindung zu Fénelon, [2] seine Kyropädie, eine im 18. Jahrhundert sehr kontrovers diskutierte Erziehungsschrift [3]), ohne jedoch diese zu bündeln. Gerade diese unterschiedlichen Aspekte in ihrer wechselnden Beziehung wahrgenommen sowie Ramsays publizistische Tätigkeit im Horizont seiner auch für die Aufklärung bemerkenswerten Vernetzung interpretiert zu haben, stellt einen nicht geringen Verdienst der Arbeit Georg Eckerts dar. Diese ist in zwei Blöcke gegliedert: die Jahre der intellektuellen Formation und sein Wirken in der Öffentlichkeit. Dabei unterscheidet Eckert sinnvoll die Jahre vor und nach der Kyropädie, etabliert doch diese den literarischen Ruf Ramsays endgültig.
Die Bildung Ramsays untersucht der Verfasser konsequent aus zwei, wenn auch immer aufeinander bezogenen Perspektiven, indem er sowohl dessen geistige und soziale Bildung erschließt und in dieser vier Etappen ausmacht. Als Sohn eines Bäckers in Ayr geboren, gelingt es Ramsays dank seiner intellektuellen Neugier und seiner hervorragenden geistigen Fähigkeiten, einen schulischen und universitären Kursus zu absolvieren. Das Studium der Theologie an einem der führenden Orte der entstehenden Schottischen Aufklärung führt allerdings dazu, dass der bereits seit seiner Kindheit mit heftigen religiösen Streitigkeiten in seinem Umfeld konfrontierte Ramsays dermaßen tiefgehende religiöse Zweifel entwickelt, dass er zum Deisten, ja sogar zum Skeptiker wird. Danach beginnt eine wahrhafte, vom Verfasser mit äußerster Präzision nachgezeichnete "geistige Odyssee", die Ramsay in Verbindung mit Skeptikern aus seiner Heimat wie aus dem Ausland, mit Theisten und Philosophen, welche die Religion aus ethischen Gründen rechtfertigen oder ablehnen, treten lässt. Erst die Begegnung mit Fénelon im Jahre 1710 und die darauf folgende Konversion beenden die Phase der religiösen Unsicherheit, was allerdings nicht bedeutet, dass Ramsay frühere Positionen abgelegt und unreflektiert fremde Positionen übernommen hätte. Vielmehr entwickelt er dabei ein eigenes System.
Gleichzeitig ebnet ihm Fénelon den Weg zu neuen sozialen Kreisen. Eine solche Integration in höhere gesellschaftliche Schichten ermöglicht ihm sowohl eine gewisse soziale Sicherheit (so wird er zum Sekretär von Madame Guyon, einer führenden Vertreterin der Mystik im Frankreich des 17. Jahrhunderts) als auch den Zugang zu jakobitischen Zirkeln (die ihn unterstützen werden, bis er 1724 bei Jakob Stuart in Ungnade fällt). Nicht zuletzt findet Ramsay dank Fénelon zur Literatur: Seine ersten Texte sind Kommentare, die er als Nachlassverwalter Neudrucken der Werke Fenelons beifügt. Insbesondere ist hier der Kommentar zum epochemachenden Telemachus zu nennen, aber erwähnenswert sind auch seine Edition des Dialogue sur l'éloquence oder des Dialogue des morts. Dies bedeutet keineswegs, dass Ramsay ein bloßer Epigone Fénelons wäre, denn er emanzipiert sich auch von ihm auf dem Gebiet des Naturrechts oder dadurch, dass er eine radikale Trennung zwischen Religion und Philosophie postuliert. Allerdings bleibt ihm Fénelon immer noch ein Modell, als er Mitte der 20er Jahre (zu einer Zeit, in der er vom Herzog von Sully protegiert wird) seinen Traktat der Kyropädie publiziert, der vielseitige Probleme auf dem Gebiet der Moral, der Politik, der Theologie usw. anspricht und Reformvorschläge verbreitet. Dieses Werk, das den Nerv der Zeit trifft und einen markanten Beitrag zu der damals beliebten Gattung der "Mœurs" (einer kritischen Beschreibung der Sitten) leistet, wird europaweit rezipiert und etabliert den Ruf Ramsays als Schriftsteller, wenngleich die Resonanz in England viel besser ist als in Frankreich, wo Voltaire eine satirische Kampagne organisiert.
Gelingt es Ramsay dann doch nicht, die letzte Stufe der literarischen Anerkennung zu erklimmen - die Aufnahme in die Académie française -, so zeigt die Geschichtsschreibung, sein Betätigungsfeld ab 1730 (insbesondere schreibt er eine Geschichte von Turenne, verfasst zu einer Zeit, in der er die Protektion der Bouillons genießt), wie er sich weitgehend in die Gelehrtenrepublik integriert hat. Ein weiteres Zeichen seiner sozialen Integration ist auch seine rege Tätigkeit innerhalb der Freimaurerei, in der er die Möglichkeit einer universalen Moralreform sieht, zu der sowohl die von ihm geplante Enzyklopädie des menschlichen Wissens als auch die erst posthum publizierten Philosophical Principles of Natural und Revealed religion beitragen sollen. Interessant ist, dass dieses Werk, das Eckert mit seiner üblichen Sorgfalt analysiert, nicht nur die Kontinuität belegt, mit welcher Ramsay sich mit religiösen Themen im Laufe seines Lebens befasst hat, sondern auch gleichzeitig der Höhepunkt seiner Suche ist.
Nach seiner minutiösen Darstellung der Entwicklung Ramsays beendet Eckert seine Untersuchung mit einem substantiellen Schlusswort, das mehrere bedeutsame Aspekte des Lebens Ramsays hervorhebt, die gleichzeitig als wichtige Schlüssel zum Verständnis der Frühaufklärung zu erachten sind. Dabei ist erstens die Vernetzung zu erwähnen: Ohne seine zahlreichen Kontakte bzw. die Fähigkeit, sich innerhalb unterschiedlicher Kreise zu bewegen, wäre Ramsays sozialer Aufstieg in dieser Form nicht möglich gewesen. Die Flexibilität, die eine solche Vernetzung voraussetzt, darf zweitens auch als ein Kennzeichen der Gedankenwelt Ramsays betrachtet werden: Er ist kein Dogmatiker, sondern ein sich stets auf der Suche befindender Denker, der Facetten kombiniert, die die Aufklärungsforschung lange getrennt bzw. als konträr betrachtete. Dass eine solche Trennung falsch ist, bezeugt Ramsay geradezu paradigmatisch, der in sich mystische, freidenkerische, katholische und aufklärerische Elemente vereint.
Dies und somit die Komplexität und die Vielseitigkeit der Frühaufklärung präzise und scharf gezeigt zu haben, ist ein großes Verdienst der Arbeit Georg Eckerts. Seine Arbeit besticht auch durch ihre klare Gliederung und die Qualität ihrer Sprache. Letztere ist zum Teil, vor allem in den theoretischen Kapiteln, bisweilen ein wenig kompliziert, wobei diese Komplexität immer der Formulierung präziser Sachverhalte dient, und sie dürfte daher das Spezialistenpublikum nicht verschrecken, an das sich die vorliegende, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Frühaufklärung liefernde Monographie richtet.
Anmerkungen:
[1] Vgl. exemplarisch: Eliane Brault: Le Mystère du chevalier Ramsay, Paris 1973.
[2] Albert Chérel: André-Michel Ramsay: Un aventurier religieux au XVIIIe siècle, Paris 1926.
[3] Vgl. Zum Beispiel Robert Granderoute: Le Roman pédagogique de Fénelon à Rousseau, 2 vol., Bern 1983.
Christophe Losfeld