Rezension über:

Paul Töbelmann: Stäbe der Macht. Stabsymbolik in Ritualen des Mittelalters (= Historische Studien; Bd. 502), Husum: Matthiesen 2011, 365 S., ISBN 978-3-7868-1502-0, EUR 51,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Miriam Czock
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Miriam Czock: Rezension von: Paul Töbelmann: Stäbe der Macht. Stabsymbolik in Ritualen des Mittelalters, Husum: Matthiesen 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20566.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Paul Töbelmann: Stäbe der Macht

Textgröße: A A A

Im Rahmen einer um kulturwissenschaftliche Fragestellungen erweiterten Verfassungsgeschichte ist in den letzten Jahrzehnten schon häufig nach der Bedeutung von Ritualen für die mittelalterliche Herrschaftspraxis gefragt worden. Bisher nahm die Forschung vor allem symbolische Handlungen in den Blick. Den Ansatz erweitert die als Dissertation im Rahmen des SFB 619 "Ritualdynamik. Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive" an der Universität Heidelberg entstandene Studie von Paul Töbelmann, indem sie sich mit einem Objekt der Ritualisierung, dem Stab, beschäftigt.

Töbelmann begreift den Stab als zeichenhaftes Objekt, welches ein Amt verkörpert und als Symbol dem Körper seines Trägers die Qualitäten verleiht, die mit ihm assoziiert werden. Da Töbelmann nicht nur die Ritualisierungen, in denen der Stab eine Rolle spielt, verstehen will, sondern auch die Verstetigung wie die Dynamik des Stabsymbolismus, bedient er sich konsequenterweise eines Zugriffs, der nicht nur Handlungsrituale nachzeichnet, sondern auch deren gedankliche Hintergründe beleuchtet (14). In den Fokus der Betrachtung rücken dem Erkenntnisinteresse gemäß nur Stäbe, mit denen sich Autorität verbindet: der geistliche Stab, das königliche Zepter und weitere Stäbe in weltlich-rechtlichen Bezügen wie zum Beispiel der Richterstab.

Nachdem er den Rahmen seiner Untersuchung abgesteckt hat (9-79), widmet Töbelmann den ersten Untersuchungskomplex dem geistlichen Stab (79-142). Er kann zeigen, dass der auf die Bibelexegese gestützte mittelalterliche Diskurs dem Stab ein semiotisches Feld zuschreibt, welches Strafe, Gerechtigkeit, Herrschaft, Nächstenliebe, Tugend, Selbstbeherrschung und Urteilsvermögen umfasst. Damit ist der Stab nicht nur Zeichen der Macht, sondern gemahnt seinen Träger auch daran, sich seiner würdig zu erweisen. Visualisiert wurden die Mahnungen und Handlungsanweisungen des theologischen Diskurses in der Ikonographie des Stabes. Diese Zusammenhänge nachzuvollziehen, erlaubt ein am Ende des Bandes beigegebener Abbildungsteil. In der rituellen Praxis ist eher die hierarchisierende Wirkung des Stabes dominant, doch war er gerade für denjenigen, der die Ritualisierung ausführte, weiterhin Memento der Verpflichtung zur rechten Amtsführung.

Im zweiten Hauptkapitel werden Stäbe in weltlich-rechtlichen Bezügen betrachtet. Zum einen fällt der Blick dabei auf das Zepter (143-171), zum anderen auf den Richterstab (172-181) und die Stabsymbolik in Rechtsgeschäften (182-207). Das Zepter hatte als Insigne eine herausragende Stellung innerhalb des Insignienapparats, mit dem das Kaiser- und Königtum bezeichnet wurde, teils kann es sogar als pars pro toto für alle königlichen Insignien oder metonymisch für das Königtum verwendet werden (152). Im Rahmen der Bibelexegese verbinden sich mit dem Zepter vor allem die Themen Recht und Gerechtigkeit (157). Wie der bischöfliche Stab versinnbildlicht das königliche Zepter die Aufforderung, dem Amt gerecht zu werden.

Behandelt Töbelmann den Bischofstab und das Zepter eher anhand von früh- und hochmittelalterlichen Zeugnissen, so macht er zur Untersuchung des Richterstabs größtenteils Quellen spätmittelalterlicher, teils sogar frühneuzeitlicher Provenienz fruchtbar. Wiederum greift er den mittelalterlichen Diskurs auf, der erneut die Tugendhaftigkeit des Richters in den Mittelpunkt der Interpretation des Stabsymbols stellt. In der Praxis machte der Stab den Richter zum Richter; erst durch ihn konnte er seine Funktionen ausfüllen. Im Anschluss betrachtet Töbelmann anhand frühmittelalterlicher Rechtstexte die 'festuca', welche den Anspruch oder das Recht an einer Sache verkörperte, aber gleichzeitig Symbol für die Verpflichtungen war, die jene mit sich brachten. Ganz ähnliche Inhalte verbinden sich auch mit Stab, Halm und Zweig als Investitursymbol in den Sachsenspiegel-Illustrationen.

Den zwei großen systematischen Abschnitten zum geistlichen Stab und dem Stab im weltlich-rechtlichen Kontext folgt ein weiteres Kapitel (209-265), das sich unter anderem mit so unterschiedlichen Fragen wie dem Investiturstreit als Kristallisationspunkt des Diskurses über Stäbe (209-225) oder dem Verhältnis von Zepter und geistlichem Stab widmet (246-252) und die bisherigen Ergebnisse aus neuen Blickwinkeln zusammenführt. Zum einen stellt Töbelmann hier den Investiturstreit ins Zentrum seines Nachdenkens. Er betrachtet jenen als Wendepunkt, ab dem der Bischofsstab nicht länger ambivalent verstanden wurde, sondern als sakramentales Zeichen. Damit büßte der Stab einen Teil seiner Polyvalenz ein, denn das Potential, Bedeutungsfelder anderer stabförmiger Ritualobjekte anzulagern, wurde dadurch zusehends eingeschränkt. Dabei zeichnet sich der Stab als Amtssymbol geradezu durch die Möglichkeit aus, die mit anderen Stabsymbolen verknüpfte Semantik zu vereinnahmen (263). So knüpfte der Stab bei Designation, Investitur und Deinvestitur stark an die Bedeutungsfelder der 'festuca' an, indem er rechtliche Ansprüche symbolisierte, gleichzeitig behielt er jedoch das Hierarchisierungspotential der Amtsinsigne bei (226-245). Nochmals betont Töbelmann auch die letztlich ineinander übergehende Semiotik von Zepter und Bischofsstab, die sich als Abbildung des zeichenhaften Verhältnisses von regnum und sacerdotium interpretieren lässt (253-265).

Insgesamt wirft sich die Frage nach Kontinuitäten, Entwicklungen und Brüchen stärker auf, als sie hier beantwortet wird. Zwar verweist Töbelmann selber auf die Schwierigkeit, aus der disparaten Quellenlage ein kohärentes Bild zu zeichnen (19f.), doch hätte es sich an der einen oder anderen Stelle angeboten, die historische Dimension deutlicher zu konturieren. So werden Entwicklungstendenzen kaum beleuchtet. Zwar enthält beispielsweise das Kapitel zu den Begrifflichkeiten und Grundlagen auch einen Abschnitt über Stäbe in Altertum, Mythologie und christlichen Legenden, doch erklärt Töbelmann, dass "die Herkunft ihrer Symbolik aus dem Altertum vergleichsweise wenig aussagekräftig" (77) sei. Freilich tritt der Investiturstreit als Zeit der Verdichtung des Diskurses und des Wandels hervor, hingegen wird das Aufkeimen des Diskurses kaum erhellt. Letztlich stehen viele Quellenzeugnisse einfach nebeneinander, so werden beispielsweise Aussagen Thiofrids von Echternach in einem Atemzug mit Cassiodor genannt (94). In dieser Hinsicht hätte man dem häufig gegen die Ritualforschung insgesamt in Anschlag gebrachten Argument der Beliebigkeit stärker entgegentreten können.

Paul Töbelmann hat eine breite Quellengrundlage aus einer Vielzahl unterschiedlicher Texte, die Stäbe gerade nicht zentral behandeln, wie auch aus ikonographischen Zeugnissen erarbeitet und sie analytisch konsequent aus der Perspektive der Ritualforschung präsentiert. So stellt seine Studie eine höchst aktuelle Auseinandersetzung mit der Erforschung von Symbolisierung und Ritualisierung von Ämtern dar. Insgesamt leistet die Arbeit einen bedeutenden Beitrag nicht nur zur Frage nach dem dynamischen Verständnis des Stabes als universellem Symbol von Autorität, sondern auch zur Erforschung der Verknüpfung von polyvalentem Symbol und Ritual.

Miriam Czock