Maik Ohnezeit: Zwischen "schärfster Opposition" und dem "Willen zur Macht". Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918-1928 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 158), Düsseldorf: Droste 2011, 490 S., ISBN 978-3-7700-5305-6, EUR 62,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München: Siedler 2011
Elizabeth Guilhamon / Daniel Meyer (Hgg.): Die streitbare Klio. Zur Repräsentation von Macht und Geschichte in der Literatur, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010
Kathrin Groh: Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen: Mohr Siebeck 2010
Heinrich August Winkler (Hg.): Weimar im Widerstreit. Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland, München: Oldenbourg 2002
Ute Daniel / Inge Marszolek / Wolfram Pyta u.a. (Hgg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München: Oldenbourg 2010
Linda Lucia Damskis: Zerrissene Biografien. Jüdische Ärzte zwischen nationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und Wiedergutmachung, München: Allitera 2009
Frank Fehlberg: Protestantismus und nationaler Sozialismus. Liberale Theologie und politisches Denken um Friedrich Naumann, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2012
Norbert Frei (Hg.): Wie bürgerlich war der Nationalsozialismus?, Göttingen: Wallstein 2018
Die Deutschnationale Volkspartei war diejenige nationalkonservative Partei, die an der Seite der Nationalsozialisten als Totengräberin der Weimarer Republik und als Steigbügelhalterin für Hitlers 'Machtergreifung' verderblich wirkte, dann aber ihrerseits von Hitler an die Wand gespielt wurde. Sie ist als handelnde Partei vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im öffentlichen Bewusstsein negativ konnotiert und hat im Gegensatz zu anderen Parteien nach dem Untergang des 'Dritten Reiches' keine direkte parteipolitische Nachfolgerin gefunden, sondern ist vorrangig in den christlichen und liberalen Parteien aufgegangen. Nun hat ein junger Historiker dem Jahrzehnt vor dem Parteivorsitz des Medienzaren Hugenberg seine Dissertation gewidmet, die in einer angesehenen Schriftenreihe gekürzt und überarbeitet Aufnahme gefunden hat. Die Arbeit gliedert sich in vier chronologische Kapitel (Gründungsphase, frühe Oppositionsjahre, Schwanken zwischen Koalition und Opposition, Sieg der Fundamentalisten) und ein sachthematisches Kapitel über Organisation, Zusammensetzung und politische Ziele der Partei. Damit schließt der Verfasser eine Lücke über die stärkste bürgerliche Partei im Reichstag der 1920er Jahre, die bisher vergleichsweise wenig untersucht worden ist. Ohnezeit zeichnet in seiner empirischen Arbeit ein differenziertes Bild der ambivalenten Rolle der Deutschnationalen auf Reichsebene zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung. Dabei kommt ihm der Zugang zu dem in Privatbesitz befindlichen Nachlass des Grafen Westarp zugute, womit sich eine stärkere Gewichtung des deutschkonservativen Anteils der DNVP zu lasten der Freikonservativen, Christlich-Sozialen, Deutschvölkischen und Alldeutschen verbindet. Er zeigt, wie in der Parteigründungsphase ein vergleichsweise moderates, vordergründig harmonisierendes Programm entwickelt wurde. Neben der Programmatik geht der Verfasser außerordentlich breit auf die organisatorische Entwicklung ein, wobei auch die Parteisatzung bis ins Detail vorgestellt wird.
Die deutschnationale Regierungsbeteiligung dokumentiert den zeitweiligen Vorrang der Interessenpolitik vor der gesinnungsmäßigen Blockadehaltung der Weltanschauungspartei. Dem Kabinett Luther trat die zur stärksten bürgerlichen Reichstagsfraktion aufgestiegene DNVP 1925 unter realpolitisch motiviertem Verzicht auf ihre Grundsätze bei, 1927/1928 dem Kabinett Marx. Die Fraktion stellte sich gegen den Locarno-Vertrag zur Sicherung der Westgrenze, obwohl er nur den Angriffskrieg ausschloss. An diesem und anderen Beispielen zeigt der Verfasser, dass die Fraktion charakteristischerweise auf außenpolitischen "Rechtspositionen ohne Berücksichtigung politischer Zweckmäßigkeiten" (395) beharrte. Ihr Austritt aus dem Kabinett lief den Interessen von Industrie und Handel zuwider, die auf eine Rückkehr in die Regierung drängten. In der Oppositionszeit scheute die DNVP-Fraktion sich nicht, in einer Negativkoalition mit SPD und KPD gegen die Regierung zu stimmen. Dass in einzelnen Ländern sogar Koalitionen von der DNVP bis zur SPD gebildet wurden, verschwindet wie auch anderes Wichtige in einer Fußnote. In der Regierungsverantwortung fiel es der Fraktion schwer, die divergierenden Interessen der Wirtschaftsverbände, Inflationsgeschädigten, des Deutschnationalen Arbeiterbundes und der nationalen Verbände zu erfüllen, wobei, wie Ohnezeit darlegt, vorrangig die wirtschaftlichen Interessen gewahrt wurden. Die pragmatische Haltung der Fraktion beweist ihre Zustimmung zur Verlängerung des scharf bekämpften Republikschutzgesetzes um zwei Jahre. Zum Scheitern der Koalition führte der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der nationalliberalen DVP und den konfessionellen Koalitionsparteien (Zentrum, Bayerische Volkspartei, DNVP) über den Reichsschulgesetzentwurf des deutschnationalen Innenministers Keudell. Dieses Gesetz war ein deutschnationales Muss, weil die Volksschule nach Abschaffung der Wehrpflicht als einzige Erziehungsanstalt des ganzen Volkes übrig geblieben war.
Ohnezeit zeigt detailliert den Vorlauf der Regierungsteilhabe der DNVP seit 1919 auf. Die wiederholten innerparteilichen Sondierungen zwischen den koalitionswilligen Teilen Parteivorstand, Freikonservativen und Christlich-Sozialen einerseits und den auf absolute Opposition fixierten Altkonservativen und Deutschvölkischen andererseits scheiterten zunächst an den hohen Hürden des deutschnationalen Monarchismus und der prinzipiellen Ablehnung der revolutionär entstandenen, mithin als illegitim verstandenen Republik. Zudem blieb auch nach Abspaltung der radikalen Völkischen ein prägender Antisemitismus zurück. Selbst der aus den Deutschkonservativen hervorgegangene Parteivorsitzende Westarp nutzte die biologisch-völkische Deutung des Judentums, um durch die Mobilisierung antijüdischer Ressentiments letzten Endes die ungewollte Republik zu treffen. Einige DNVP-Landesverbände grenzten die Juden schon frühzeitig von der Parteimitgliedschaft aus. Der Verfasser weist immer wieder auf das taktische Kalkül der Fraktion hin. So stimmte sie aus pragmatischen Gründen 1919 für das Gesetz über die vorläufige demokratisch-republikanische Staatsgewalt, aber gegen die Verfassung, obwohl sie einige Bestimmungen initiiert und im Ausschuss mit verabschiedet hatte. Den Versailler Friedensvertrag lehnte die DNVP-Fraktion erst ab, nachdem die Mehrheit an Befürwortern gesichert war. Die Radikalisierung durch den Versailler Vertrag hatte die Teilhabe führender DNVP-Politiker, darunter Westarp, am Kapp-Putsch zur Folge, darüber hinaus die Propagierung einer Katastrophenpolitik als Antwort auf das Londoner Reparationsabkommen 1921 wie auch bei der gewünschten Fortsetzung des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet 1923. Den Dawes-Plan lehnte die Fraktion ebenfalls scharf ab, stimmte jedoch zur Hälfte dem dazu gehörigen Reichsbahngesetz zu und verschaffte ihm damit die erforderliche Mehrheit, ein Tribut an die Interessen der Industrie.
Hugenbergs knappe Wahl zum Parteivorsitzenden nach der Niederlage in der Reichstagswahl 1928, eine Quittung für die Kompromissbereitschaft in der bürgerlichen Koalition, war laut Ohnezeit nicht nur auf dessen Medienmacht, sondern auch auf Westarps gebremste Kämpferqualitäten zurückzuführen.
Insgesamt eröffnet die faktengesättigte und stark deskriptive Darstellung ein vielschichtiges Bild der Parteientwicklung nicht ohne Redundanzen. Ohnezeit arbeitet die zunächst tastenden, später forcierten Versuche der deutschnationalen Regierungsteilhabe detailliert heraus und vermittelt ein überzeugendes Bild von der inneren Zerrissenheit der Partei als "Sammlungsbecken der Unzufriedenen" (72). Es überrascht, dass der Kern der Deutschkonservativen, des numerisch bedeutendsten Anteils an der Parteigründung, den Schulterschluss mit der deutschvölkischen Gruppierung praktizierte. Zugleich wird deutlich, wie pragmatisch bedeutende Parteikreise mit der ungeliebten Republik umgegangen sind, eine Feststellung, die durch Berücksichtigung der kommunalpolitischen Ebene noch hätte unterstrichen werden können.
Horst Sassin