Roswitha Juffinger (Hg.): Zentrum der Macht. Die Salzburger Residenz 1668-1803, Salzburg: Residenzgalerie Salzburg 2011, 2 Bde., 698 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-901443-37-4, EUR 34,90
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Seit 2006 widmet sich ein vom österreichischen Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstütztes, von Roswitha Juffinger, Walter Schlegel, Ignonda Hammerschläger und Gerhard Ammerer geleitetes, interdisziplinäres Forscherteam der Erforschung der Salzburger fürsterzbischöflichen Residenz vom 16. Jahrhundert bis 1803. Der vorliegende umfangreiche Katalog, der anlässlich einer thematisch weniger weit gespannten Ausstellung erschien, dokumentiert wesentliche Teilergebnisse des Forschungsprojektes.
In baugeschichtlicher Hinsicht ist es das Verdienst des ehemaligen Landeskonservators für Salzburg, Walter Schlegel, sich nicht nur mit den umtriebigsten und bekanntesten Bauherren der Salzburger Residenz, nämlich den Erzbischöfen Wolf Dietrich von Raitenau (reg. 1587-1612), Franz Anton Fürst von Harrach (reg. 1709-27) und Hieronymus Graf von Colloredo-Wallsee (reg. 1772-1803) befasst, sondern systematisch sämtliche verfügbare Quellen zu den Bau- und vor allem auch zu den kontinuierlich notwendigen Erhaltungsmaßnahmen durchgesehen und ausgewertet zu haben. Neben einer Fülle von Detailinformationen kam dabei eine Planzeichnung zutage, die das erzbischöfliche Parade- und Wohnappartement vor der Umgestaltung und Erweiterung durch Franz Anton Fürst von Harrach zeigt (34).
In punkto Ausstattung befasste sich das Projekt einerseits mit der wandfesten Stuck- und Freskendekoration, andererseits mit dem mobilen Gemäldebestand und der Kunst- und Silberkammer. Der einst zeremoniell überaus bedeutsamen, inzwischen freilich weitgehend dem Verschleiß anheimgefallenen Ausgestaltung der Räume mit Textilien, Sitzmöbeln und Leuchtern wurde hingegen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Umso erfreulicher ist der Fund von vier farbigen Miniaturen, die zentrale Repräsentationsräume des seit 1710 ausgestatteten Harrach-Appartements getreu ihrer im Mobilieninventar von 1727 dokumentierten Ausstattung wiedergeben (86).
Der letzte souverän regierende Erzbischof, der im Dezember 1800 vor den Franzosen nach Wien geflohene Hieronymus Graf von Colloredo-Wallsee, galt der älteren Literatur als geizig und wenig kunstsinnig, eine Ansicht, die Imma Walderdorff als Ergebnis ihrer 2010 abgeschlossenen Wiener Dissertation in Frage stellt. Stattdessen zeichnet sie das Bild eines von der Aufklärung geprägten, um Wissensförderung und Glaubensreformen bemühten Landesherrn. Sein bauherrliches Engagement konzentrierte sich auf Nutzbauten im rückwärtigen Residenzteil (168) sowie auf die Einrichtung einer neuen Gemäldegalerie im bis dahin als Wohnappartement genutzten zweiten Obergeschoss des Residenzplatzflügels. Möglicherweise wollte Colloredo mit der Verlegung der Galerie deren Zugänglichkeit für ein bürgerliches Publikum verbessern, wenngleich hierzu keine Quellen vorliegen (188). Als Galerieinspektor gewann er den an der Wiener Akademie bei Franz Anton Maulbertsch ausgebildeten, in Rom und Neapel im Sinne des Klassizismus weiter geschulten Maler Andreas Nesselthaler. Die in Salzburg dichte Überlieferung von Gemäldeinventaren und die vom oben vorgestellten Forschungsprojekt vorgelegten Ergebnisse zum Gemäldebesitz der Amtsvorgänger, ermöglichten Walderhoff die Rekonstruktion derjenigen Bilder, die Colloredo aus den Beständen übernahm. Es handelte sich dabei zumeist um mythologisch-antike Bildthemen, die Nesselthaler um 66 eigene Gemälde bereicherte, wodurch der Anteil an modernen Werken mit über 25% ungewöhnlich hoch war (192). Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass die meisten Bilder Nesselthalers im "enkaustischen Kabinett" hingen (220), also abgesondert von den übrigen Gemälden. Das römische Umfeld der Wiederbelebung der Enkaustik und die seinerzeit in Frage kommenden Vorlagen bespricht Roswitha Juffinger (624f.).
Die Grafen von Colloredo entwickelten im 17. und 18. Jahrhundert in Wien, Prag und Böhmen (Opočno) eine umfangreiche Bau- und Sammeltätigkeit, die von Martin Krummholz aus Prag behandelt wird. Der Bezug zur Salzburger Residenz kommt insbesondere im nachfolgenden Beitrag von Roswitha Juffinger zum Tragen, in dem sie Colloredos Kunstverständnis und seinen familiären und sozialen Netzwerken bei der Beschaffung von Kunstwerken und Büchern nachgeht.
Stephan Bstieler hat sich der teilweisen Neustuckierung der Empfangsräume im ersten Obergeschoss unter Erzbischof Colloredo seit etwa 1780 im goût grec gewidmet. Thematisch schließen die Reliefs im Weißen Saal bemerkenswerterweise an den Alexanderzyklus in Graf Harrachs Paradeappartement an. Die zumeist als Wanderkünstler nach Salzburg gelangten Stuckateure, deren Viten Bstieler zusammenstellt, scheinen an Ort und Stelle auf den neuesten Stand der Ornamentgestaltung gebracht worden zu sein. Ihnen standen Vorlagen des örtlichen Johann Baptist Hagenauer zur Verfügung, der seinerseits auf Jean Charles Delafosse fußte (115).
Neue Erkenntnisse zum theologischen Programm und den ikonografischen Vorbildern von Wolf Dietrich von Raitenaus Oratorium an der Franziskanerkirche legen Christoph Brandhuber und Oliver Ruggenthaler OFM vor. Sie deuten den als "Betstüberl" zu einem größeren, in seiner Ausstattung nur archivalisch überlieferten Hoforatorium gehörenden Raum überzeugend als eine von franziskanischer Frömmigkeit geprägte Einsiedlerzelle, deren Programm vom Nachfolger, Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems (reg. 1612-19), in der Eremitagenlandschaft von Hellbrunn weitergeführt worden zu sein scheint. Zudem rekonstruieren sie anhand der Buchbestände und Grafiksammlung des Raitenauers dessen Kunstverständnis, Bildungsideale und geistiges Umfeld.
Mit der Wahl zum Salzburger Erzbischof stieg der jeweilige geistliche Würdenträger zum regierenden Reichsfürsten auf. Durch diese Rangerhöhung geriet er in das Spannungsfeld zwischen der ihm anvertrauten Amtstradition einerseits und der Prestigesteigerung seiner Herkunftsfamilie andererseits. Hier sieht Juffinger zu Recht eine gewisse Parallele zum Kirchenstaat (321), wo dies zu einer mäzenatischen Profilbildung der einzelnen Pontifikate führte. Die entsprechende Entwicklung wurde auch für Salzburg untersucht. Darüber hinaus wurde die Bau- und Sammeltätigkeit der Salzburger Erzbischöfe seit 1668 mit dem Wiener Hof verglichen, der ja in der Tat seit Erzbischof Johann Ernst Graf von Thun-Hohenstein (reg. 1687-1709) mit der Verpflichtung Johann Bernhard Fischers von Erlach über die Herkunftsfamilien der Erzbischöfe immer mehr Einfluss auf das Salzburger Mäzenatentum gewann. Dies dürfte der Grund sein, weshalb das vorliegende Werk auf andere fürst(erz)bischöfliche Auftraggeberschaften im Reich nicht eingeht.
Insgesamt ist das Salzburger Residenzprojekt ein in seiner fachlichen und methodischen Vielfalt vorbildliches und verdienstvolles Unterfangen, das durch reiche Erträge belohnt wurde. Seine Dokumentation im vorliegenden, reich bebilderten Katalog und in vorangegangenen Veröffentlichungen [1] sollte sich als solide Basis für künftige Forschungen zu übergeordneten vergleichenden Fragestellungen erweisen.
Anmerkung:
[1] Ausst.-Kat. Erzbischof Guidobald Graf von Thun 1654-1668. Ein Bauherr für die Zukunft, hg. von Roswitha Juffinger u.a., Salzburg 2008; Die Salzburger Residenz 1587-1727. Vision und Realität, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 63 (2009), Heft 1/2; Strategien der Macht. Hof und Residenz in Salzburg um 1600. Architektur, Repräsentation und Verwaltung unter Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau 1587 bis 1611/12, hg. von Gerhard Ammerer und Ignonda Hammerschläger, Salzburg 2011.
Ulrike Seeger