Michael Hochedlinger / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 57), München: Oldenbourg 2010, 542 S., ISBN 978-3-486-59767-7, EUR 69,80
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Zu den bemerkenswerten Forschungsentwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte zählt die mit der Abkehr vom Absolutismus-Paradigma einhergehende Neubewertung von Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Im Unterschied zu anderen - partiell bis heute kontrovers diskutierten - Themen fand die Dekonstruktion des Absolutismus-Konzepts überraschend schnell statt; vereinzelt laut werdender Widerspruch blieb letztlich ohne nennenswerte Folgen. So erstaunt denn auch die Sang- und Klanglosigkeit, mit der - von Feuilleton und Öffentlichkeit fast unbemerkt - ein für das Geschichtsverständnis vieler Generationen maßgebliches, jedoch vornehmlich nur noch in der Begriffsbildung der populären Literatur und der Verlagswerbung fortlebendes Referenzmodell zu Grabe getragen wurde. Ein wesentlicher Grund dieser Zurückhaltung mag insbesondere im geringen öffentlichen Interesse an dem gemeinhin als spröde und trocken eingeschätzten Thema der frühneuzeitlichen "Staatsbildung" liegen. Zur weitgehenden Temperierung der Debatte dürfte aber auch beigetragen haben, dass die von der Forschung im Zuge der anti-etatistischen Wende herausgearbeiteten kooperativen Momente der frühneuzeitlichen politischen Kultur sowie das frühmoderner Herrschaftspraxis immanente Postulat der Konsensfähigkeit keineswegs grundsätzlich neue Einsichten darstellen - gehören sie doch zum Ensemble jener Phänomene, die in Verkennung ihrer tatsächlichen historischen Tragweite lange gleichsam als Ausnahme von der Regel, als das "Nicht-Absolutistische im Absolutismus" (Gerhard Oestreich), abgehandelt worden sind.
Ein deutliches - wenngleich keineswegs vorbehaltloses - Echo findet die kritische Wende gegen etatistische Verengungen in dem vorliegenden Sammelband, der die Vorträge einer internationalen Tagung vereinigt, die im September 2008 im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv stattfand. Wie schon die Konferenz versteht sich der Band als eine Art Prolegomenon zum geplanten dreibändigen Handbuch "Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit". Präsentiert wird ein umfassender Begründungs- und Leitrahmen des Handbuch-Projekts, das zum einen Anstöße aus der Erfahrung einer zunehmenden Marginalisierung der frühneuzeitlichen Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte als Subdisziplinen der akademischen Lehre erhalten hat, zum anderen aus dem Befund beträchtlicher Forschungsdefizite insbesondere für das Gebiet der Habsburgermonarchie resultiert. Charakteristisch für den Band ist ein facettenreicher thematischer Zugriff; neben Forschungsberichten in international vergleichender Perspektive und disziplinären Standortbestimmungen im Bereich der Lehre und Archivarsausbildung werden Einblicke in "klassische" und "alternative" Zugänge geboten sowie Forschungsdesiderate herausgearbeitet. Dass vor allem in den einleitenden Überlegungen von Thomas Winkelbauer (9-17) nicht unbeträchtliche Zweifel mitschwingen, ob die hohen Erwartungen, die der als Anspruch an eine "moderne" Verwaltungsgeschichte postulierte "Cultural turn" weckt, in den Artikeln des Handbuches tatsächlich erfüllt werden können, gibt dem Band eine sympathische Note.
Es würde zu weit führen, die insgesamt 20 Beiträge ausführlich im Einzelnen zu würdigen. Hervorzuheben sind die schon in quantitativer Hinsicht aus dem Rahmen fallenden kritischen Forschungsanalysen von Michael Hochedlinger zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit im Allgemeinen (21-85) bzw. der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie im Besonderen (293-394). Die luziden Ausführungen, auf die gut 30 Prozent des Bandes entfallen und die wegen ihres nicht selten launigen Untertons die Lektüre zu einer durchaus vergnüglichen Erfahrung machen, sind nicht zuletzt wegen ihres zwischen einer Makro-, Meso- und Mikroebene der Forschung unterscheidenden Systematisierungsversuchs mit Gewinn zu lesen. Aufschlussreich sind zudem die - bei aller unverkennbaren Sympathie für perspektivische Erweiterungen und "neue Quellengenera" (39) - gegen den Strich des historiographischen Mainstream gebürsteten Erkundungen Hochedlingers zur jüngeren Forschungsentwicklung, die ihm zufolge durch "Fundamentalzweifel" an der akribisch-geduldigen Aktenauswertung gekennzeichnet ist. Umso bedeutsamer erscheinen ihm die - auf Defizite der österreichischen Forschung verweisenden - preußischen Traditionen der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte; diese stehen, wie Wolfgang Neugebauer in einem souveränen Überblick darlegt (87-104), im Zeichen intensiver Archivstudien, für die bereits Gustav Schmoller dezidiert komparative Fragestellungen einforderte, und zeichnen sich durch editorische Leistungen und Gesamtinterpretationen aus.
Gegenüber den analytisch anspruchsvollen Forschungsaufrissen, zu denen auch die instruktive Skizze von Olivier Poncet zur Entwicklung in Frankreich gehört (105-131), fallen die unter der Überschrift "Lehre" rubrizierten vier Beiträge des Bandes (135-182) deutlich ab, was allerdings ausschließlich dem Berichtscharakter der Darlegungen geschuldet ist. Im Hinblick auf die universitäre Lehre und Archivarsausbildung in Österreich konstatieren Peter Csendes und Christian Neschwara für die frühneuzeitliche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte einen zunehmenden Bedeutungsverlust, während der disziplinäre Status an den deutschen Archivschulen in Marburg und München, so die Befunde von Rainer Polley und Margit Ksoll-Marcon, weitgehend behauptet werden konnte.
Der nächste Themenblock präsentiert Beispiele unterschiedlicher Forschungszugänge. Dabei ist Peter Rauschers "klassischer" Zugriff auf die an der kaiserlichen Herrschaft exemplifizierte und nur unzureichend erforschte Finanzgeschichte (185-211) insoweit bemerkenswert, als unter anderem mit dem Hinweis auf das Fehlen von Finanzexperten in der politischen Führung der Habsburgermonarchie die in der Historie selbst liegenden Gründe der ausgebliebenen Institutionalisierung einer finanzgeschichtlichen Subdisziplin in Österreich herausgearbeitet werden. Die Funktion des Paradebeispiels eines "zu neuen Ufern" (Michael Hochedlinger, 84) führenden Zugangs fällt dagegen Stefan Brakensieks Ausführungen zum Alltag der Verwaltung als sozialer Praxis (271-290) zu - ein Beitrag, dessen Wert nicht zuletzt darin liegt, dass er en passant auch terminologische Alternativen zur herkömmlichen staatszentrierten Begrifflichkeit aufzeigt. Definitorische Qualität hat etwa sein auch im Titel des Bandes nicht ohne Spuren gebliebener Hinweis, bei den deutschen Fürstenstaaten habe es sich noch im 18. Jahrhundert "keineswegs um moderne Anstaltsstaaten" gehandelt, "sondern um verdichtete Herrschaften, die [...] zahlreiche patrimoniale Merkmale aufwiesen" (290). Dass in diesen allenfalls protostaatlichen Einheiten kommunikationsbasierte administrative Lernprozesse unabdingbar waren und die Entwicklung der Gesetzgebung und Verwaltung einem "tentativen Experimentieren" (267) glich, ist das Ergebnis der sorgfältigen Studie von Karl Härter (243-269), der gleichwohl bei aller Sympathie für jüngere kulturgeschichtliche Ansätze nicht umhin kann, vor einer Reduktion der frühneuzeitlichen "guten Policey" auf "symbolische Gesetzgebung" zu warnen (245). Außer Frage steht die Kompatibilität "klassischer" und "alternativer" Zugänge auch für Matthias Schnettger, der einen Forschungsüberblick zu den Institutionen des Heiligen Römischen Reiches bietet (229-242).
Der abschließende Themenblock umfasst Beiträge, die sich insbesondere den für die österreichischen und böhmischen Länder, Ungarn, Italien und Belgien zu verzeichnenden bisherigen Forschungserträgen und Desideraten widmen. Durchweg gelungen ist dabei - der ausgezeichnete Überblick von Petr Mat'a zu den Ländern der Böhmischen Krone (421-479) sei als pars pro toto angeführt - die Verortung der forschungsgeschichtlichen Traditionen vor dem Hintergrund der national-politischen Entwicklungslinien des 19. und 20. Jahrhunderts.
Abschließend bleibt nur, Herausgeber und Autoren zu einem klug konzipierten und inhaltlich ergiebigen Band zu gratulieren, der ungeachtet der vereinzelt durchschimmernden Skepsis die forschungsstrategische Verschiebung zugunsten einer "Kulturgeschichte des Politischen" kaum aufzuhalten vermag und ein ums andere Mal den Fokus auf das Desiderat einer Verwaltungsgeschichte "von unten" richtet. Zugleich lebt das Buch von einer produktiven Spannung, die aus der Zusammenführung bewährter älterer und neuerer Forschungsansätze resultiert.
Helmut Gabel