Robby Fichte: Die Begründung des Militärdienstverhältnisses (1648-1806). Ein Beitrag zur Frühgeschichte des öffentlich-rechtlichen Vertrages (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte; Bd. 13), Baden-Baden: NOMOS 2010, 247 S., ISBN 978-3-8329-4745-3, EUR 65,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jürgen Kloosterhuis (Bearb.): Legendäre "lange Kerls". Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I., 1713-1740, Berlin: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 2003
Johann Christoph Pickert: Die Lebensgeschichte des Johann Christoph Pickert. Hrsg. v. Gotthardt Frühsorge, Christoph Schreckenberg, Göttingen: Wallstein 2006
In seiner Dissertation (Bonn 2009) beleuchtet Robby Fichte erstmals umfassend aus rechtsgeschichtlicher Perspektive die Genese der vertraglichen Bindung zwischen Soldat, Offizier und Landesherren im Zeitalter des Absolutismus zwischen dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück und dem Ende des Alten Reichs von 1806. Fichte hat sich hierbei zur Aufgabe gestellt, die vorhandenen "Forschungslücken hinsichtlich der rechtlichen Aspekte der Begründung des Militärdienstverhältnisses zu schließen" (21). Von der ursprünglichen Absicht, die Untersuchung bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges auszudehnen, ist der Autor aus arbeitsökonomischen Gründen abgekommen und hat sich durchaus nachvollziehbar auf die stehenden Heere der zweiten Hälfte des 17. und des 18. Jahrhunderts beschränkt.
Außerdem begrenzt Fichte seine Untersuchung auf die in einem Militärdienstverhältnis stehenden Soldaten, also diejenigen, "die im Kriege wie im Frieden in der so genannten regulierten Miliz, d. h. im stehenden Heer eines Kriegs- und Landesherren, Dienst leisteten" (18). Außen vor bleiben damit die Angehörigen irregulärer Einheiten und der Freitruppen.
Während der Autor bei der sich seit den 1990er Jahren etablierenden "neuen Militärgeschichte" durchaus ein Interesse an juristischen Fragestellungen konstatiert, bescheinigt er ihr jedoch gleichzeitig aus juristischer Sicht unbefriedigende Ergebnisse (20). Allerdings macht Fichte hierfür die Distanz der eigenen Zunft zum Recht der Militärdienstverhältnisse aus. Ein Manko der älteren Arbeiten bestehe darüber hinaus vor allem in ihrer Beschränkung auf gedruckte normative Quellen.
Fichte erweitert diese Forschungen durch die Analyse vornehmlich rechtswissenschaftlicher Quellen des 18. Jahrhunderts, die maßgeblich aus der Feder von praktizierenden und ehemaligen Regimentsjuristen flossen (27). Um die dürftige rechtswissenschaftliche Quellenlage für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zu kompensieren, greift der Autor insbesondere für die rechtlichen Verhältnisse der Offiziere auf Aktenbestände des Geheimen Staatsarchivs Berlin zurück. Dem etwaigen Vorwurf einer Preußenzentriertheit tritt Fichte einerseits mit einer vorgefundenen Musterhaftigkeit der Quellen, die aus den einschlägigen Formularbüchern resultiere, sowie dem Argument entgegen, dass sich allenfalls im Detail, nicht jedoch in der "dogmatischen Anschauung" Unterschiede zwischen den Territorien des Reichs ausmachen ließen (28).
Im ersten Hauptkapitel geht Fichte den Grundlagen so genannter "Kriegsherrlichkeit" nach, die dem Reich, den Reichskreisen sowie den Reichsständen die Anwerbung und den Unterhalt von Truppen gestattete. In der Folge beschränkt er sich auf die Untersuchung der Reichsstände, da weder das Reich noch die Kreise - abgesehen von der Reichsgeneralität und den Kreisobristen - selbständige Truppenkörper unterhielten.
Im zweiten Hauptkapitel, das der Annahme von Offizieren gewidmet ist, zeichnet Fichte nach, in welcher Form sich die noch im 17. Jahrhundert auf die Lieferung von Mannschaften bezogenen Kapitulationen für Offiziere im 18. Jahrhundert zu "einseitigen kriegsherrlichen Akten" der Landesherren wandelten. Überwiegend wurde der Rechtsakt, der das Militärdienstverhältnis begründete, als "freiwillig geschlossener Vertrag" angesehen, der zunehmend "allgemeinverbindlich und nicht mehr individuell geregelt wurde" (78).
Das Zentrum der Untersuchung bildet das dritte Hauptkapitel zur Werbung der Soldaten. Begrifflich arbeitet Fichte heraus, dass unter Werbung zunächst alle Formen der Aufbringung regulärer Truppen gefasst wurden. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichne sich insofern ein Wandel ab, als diese von Aushebung von Truppen aus dem jeweiligen Territorium abgegrenzt wurde. Überzeugend zeigt der Autor, dass im Untersuchungszeitraum zwischen dem Geworbenen und dem jeweiligen Kriegsherren und nicht den einzelnen Regiments- oder Kompaniechefs, die lediglich ausführende Organe waren, eine vertragsmäßige Bindung zustande kam.
Im Folgenden klopft Fichte die einzelnen Elemente des Werbevorgangs wie Handgeld, Kapitulation, Musterung, Einschreibung, Eid und Kriegsartikel auf ihre rechtliche Bedeutung für den Werbevorgang ab. Bedingt durch die gesteigerte Nachfrage und das sich damit verknappende Angebot auf dem Werbemarkt sei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach vorne verlagert worden: "Alle folgenden Schritte der Integration in den militärischen Sozialverband wurden demgegenüber insofern nahezu bedeutungslos, verloren aber nicht völlig an rechtlichem Gewicht" (117).
Den Bereich des von Fichte so bezeichneten "Erzwungenen Militärdienstes" unterteilt er einerseits in "Zwangswerbung im Einzelfall" sowie die im 18. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende "Zwangswerbung von Untertanen". Hierzu konstatiert er, dass diese Form nicht an ältere Rechtstitel wie etwa das jus sequale anknüpfte, dass es sich vielmehr um eine "subjektive Rechtsbehauptung" gehandelt habe, die dann "mit juristischer Begründungsarbeit lediglich nachvollzogen wurde" (180).
Im vierten Hauptteil untersucht Fichte die Charakteristik militärischer und zivilstaatlicher Dienstverhältnisse. Hierbei arbeitet er heraus, dass diese von der überwiegenden Zahl der Autoren zwar noch einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis zugerechnet wurden, jedoch gerade von der Militärrechtswissenschaft Impulse in Richtung einer Begründung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages ausgegangen seien, die "zu einer (frühen) Anerkennung einer allgemeinen Dienstpflicht und einem teilweisen Abschied vom Vertrag als Begründungsakt des Dienstverhältnisses" geführt hätten (228).
Seine Forschungen stützt Fichte in erster Linie auf das in großer Dichte vorliegende zeitgenössische rechtswissenschaftliche Schriftgut und widmet sich im Sinne seiner Fragestellung in erster Linie deren theoretischer Seite. Diese aus arbeitsökonomischen Gründen nachvollziehbare Beschränkung hat jedoch ihren Preis.
So nimmt Fichte beispielsweise im Fall der so genannten Kapitulationen - also der Vereinbarung eines zeitlich befristeten militärischen Dienstverhältnisses - im 18. Jahrhundert an, dass diese in der Regel auch eingehalten worden seien und sich in der Rechtswirklichkeit bewährt hätten (107). Für Preußen muss man jedoch davon ausgehen, dass derartige Verträge seit Friedrich Wilhelm I. lediglich den Anspruch auf ein erneutes Handgeld und eine Vertragsverlängerung begründeten. Ein regelrechter Abschied aus der Armee war demnach nur nach Untauglichkeit oder einer Kautionsgestellung, die sich in etwa in der Höhe eines entsprechenden Handgeldes bewegte, zu erlangen. In der Eidgenossenschaft führte die verweigerte Einhaltung der Kapitulationen wiederholt zu Schwierigkeiten und Werbeverboten. [1] In Schaffhausen etwa hatten lang anhaltende Auseinandersetzungen um eine verweigerte Entlassung eines Soldaten aus dem preußischen Militärdienst 1756 ein völliges Verbot der preußischen Werbung zur Folge. [2]
Für die preußischen Verhältnisse wäre in diesem Zusammenhang auch die Berücksichtigung der 2005 erschienenen Dissertation des Rezensenten wünschenswert gewesen. Dies gilt unter anderem für die Periodisierung der von Fichte breit behandelten Zwangswerbung von Untertanen, die sich nach 1763 grundlegend wandelte und nicht zufällig parallel zum Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts 1792 ihre erste monarchieweite Kodifizierung erfuhr. Mit dieser letzten Kodifizierung fand auch der so genannte "unsichere Kantonist" Eingang in den zeitgenössischen Sprachgebrauch. Hierbei handelte es sich jedoch keineswegs um Männer, mit deren "Desertion jederzeit zu rechnen war" (138). Vielmehr wurde hiermit eine Personengruppe umrissen, die man wegen Besitzlosigkeit und Nichtsesshaftigkeit für nicht ganz zuverlässig hielt. In einem recht komplexen Verfahren konnten hierbei Grundobrigkeiten eigene Untertanen zur Einrangierung als "Ausländer", also Soldaten ohne extensiven Urlaubsanspruch, selbst vorschlagen. Hierbei handelte es sich jedoch um ein Verfahren, von dem man auf Druck der übergeordneten Kriegs- und Domänenkammern alsbald abkam. [3] Im Volksmund überdauerte jedoch der Begriff für Personen, über deren Verhalten man sich eben nicht ganz sicher sein konnte.
Es wäre durchaus lohnend gewesen, die theoretischen Überlegungen zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertragsverhältnisses zwischen Monarch und Untertanen mit der Rechtsprechung des Kurmärkischen Kammergerichts zu kontrastieren. Durchgängig wurden hier im Untersuchungszeitraum Verfahren gegen abwesende kantonpflichtige Untertanen vor zivilen Gerichten verhandelt, wenn die entsprechenden Männer zum Zeitpunkt ihres Verschwindens nicht bereits von den zuständigen Regimentern zur Gestellung angefordert worden waren. Man behalf sich seitens des Gerichts nicht mit einer abstrakten Vertragskonstruktion, sondern mit der Untersuchung des Sachverhalts, ob sie sich außer Landes begeben hätten, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Beurteilt wurde dieser Sachverhalt anhand der Körpergröße und des Gesundheitszustandes. Dies galt selbst für die Inhaber so genannter Wanderpässe, also kantonpflichtige Handwerksburschen. Die so genannten Laufpässe, auf die sich Fichte bezieht (173), waren mit der Reform des Kantonwesens bereits 1763 abgeschafft worden. [4]
Trotz der angeführten Kritikpunkte ist das Verdienst Fichtes hervorzuheben, die theoretische Seite der militärischen Vertragsverhältnisse umfassend beleuchtet zu haben. Für weitere Forschungen zu diesem Bereich bietet die Arbeit eine unverzichtbare Grundlage.
Anmerkungen:
[1] Rudolf Gugger: Preußische Werbungen in der Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert, Berlin 1997.
[2] Helmut Eckert: Ulrich Bräker und die preußische Werbung in Schaffhausen, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 53 (1976), 142-149.
[3] Martin Winter: Untertanengeist durch Militärpflicht? Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2005, 178-182.
[4] Ebenda, 351-414.
Martin Winter