Rezension über:

Galaxis Borja González: Die jesuitische Berichterstattung über die Neue Welt. Zur Veröffentlichungs-, Verbreitungs-, und Rezeptionsgeschichte jesuitischer Americana auf dem deutschen Buchmarkt im Zeitalter der Aufklärung (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Bd. 226), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 377 S., 9 Abb., 8 Tabellen, ISBN 978-3-525-10109-4, EUR 64,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Frank Pohle
Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Frank Pohle: Rezension von: Galaxis Borja González: Die jesuitische Berichterstattung über die Neue Welt. Zur Veröffentlichungs-, Verbreitungs-, und Rezeptionsgeschichte jesuitischer Americana auf dem deutschen Buchmarkt im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/20358.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Galaxis Borja González: Die jesuitische Berichterstattung über die Neue Welt

Textgröße: A A A

Die vorliegende Arbeit, eine bei Horst Pietschmann (Hamburg) und Renate Pieper (Graz) entstandene Dissertation, setzt sich zum Ziel, "die Bedeutung des Buchdrucks für die Vermittlung der Neuen Welt zu erforschen und auf diese Weise einen Beitrag zur Erörterung der im Übergang zur Moderne erfolgten identitätsbildenden Debatten über das Selbst und die Anderen zu leisten" (8), wobei sie "die Wechselbeziehungen zwischen Inhalt, Medium und den am Buchmarkt beteiligten Subjekten im Aneignungsprozess der neuen Welt" (263) in besonderer Weise in den Blick nehmen will. Da dies für die Gesamtheit des einschlägigen Schrifttums zu umfangreich wäre, wählt die Verfasserin die jesuitischen Amerika-Schriften auf dem deutschen Buchmarkt als Fallbeispiel - ein Korpus von 37 teils mehrbändigen Titeln aus rund 140 Jahren. Borgia González will klären, "aus welchen Beweggründen und mit welchem Erfolg die Amerika-Schriften jesuitischer Verfasser auf dem deutschen Buchmarkt im Laufe des 'langen' 18. Jahrhunderts veröffentlicht, gehandelt und gelesen wurden und welche soziale Bedeutung Amerika dadurch zugewiesen wurde" (263).

Methodische Ansätze findet die Verfasserin in den buchgeschichtlichen Arbeiten von Roger Chartier und Robert Darnton aus den 1980er Jahren. Es geht ihr mithin um einen buchgeschichtlichen Ansatz kulturgeschichtlicher Prägung, womit sie aus dem begrenzten Rahmen der positivistisch-deskriptiven, gerade im Bereich der jesuitischen Amerika-Literatur oft fast hagiographischen Arbeiten heraustritt, ohne auf traditionellere ideengeschichtliche und textanalytische Zugriffsweisen gänzlich verzichten zu müssen. Denn sie stellt durchaus die Bücher selbst in ihren Inhalten vor, bevor sie den Blick auf das enge Geflecht der Autoren, Übersetzer, Herausgeber, Verleger, Drucker und Buchhändler jesuitischer Amerika-Literatur richtet und schließlich (auf notwendig lückenhafter und einigermaßen disparater Quellenbasis) Leser und Leserhandlungen untersucht.

Die Arbeit ist zwischen Einleitung (7-26) und Schluss (263-272) in drei große Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt (27-68) widmet sich den Amerika-Schriften auf dem deutschen Buchmarkt in großer Breite und sorgt für eine Kontextualisierung der jesuitischen Americana, die in deutschen Verlagen und Druckereien erschienen sind. Der zweite Abschnitt (69-166) behandelt jesuitische Americana einer ersten Phase, die die Verfasserin mit der Ordensgründung, de facto aber im späten 17. Jahrhundert beginnen und bis zur Ausweisung des Ordens aus den spanischen Kolonien bzw. bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu 1773 laufen lässt. Als wesentlicher Impuls der jesuitischen Autoren wird für diese erste Phase eine erbauliche Zielsetzung ausgemacht (Missionsliteratur), mit der vielfach ein Diskurs über die Überlegenheit des Europäers (und insbesondere des deutschen Missionars) gegenüber den indigenen Völkern als Teil eines Wertediskurses und einer Selbstvergewisserung verbunden war. Der dritte Abschnitt schließlich (167-261) behandelt die Americana jesuitischer bzw. ehemals jesuitischer Autoren, die zwischen 1773 und 1811 im deutschen Raum erschienen sind. Mit der Aufhebung der Gesellschaft Jesu fielen die ordensinternen Steuerungs- und Zensurmechanismen weg; die Amerika-Schriften haben nun im Allgemeinen eine apologetische Ausrichtung und/oder beteiligen sich am aufgeklärten Disput über die Zivilisationsfähigkeit der kreolischen wie indigenen Amerikaner. Borgia González teilt die Schriften dieser Phase in drei Gruppen ein: die Übersetzungen ins Deutsche, die Werke deutscher Exjesuiten und schließlich eine kleine Gruppe von (in ihrer Stoßrichtung eher rückständigen und wirkungsarmen) Schriften, die der protestantische Gelehrte Christoph Gottlieb von Murr herausgab. Die ins Deutsche übersetzten Schriften stammen überwiegend von lateinamerikanisch-indigenen oder von spanischstämmigen (Ex-)Jesuiten. Die einen wollten einen Beitrag zur Geschichte oder geographischen Beschreibung ihrer Heimatländer leisten, die anderen betonten die zivilisatorische Rolle des Mutterlandes ungleich stärker. Sie wollten allerdings im Gegensatz zu ihren ehemaligen deutschen Ordensbrüdern nicht mehr erbaulich wirken. Aus Kostengründen setzten sich die Americana der zweiten Phase auf dem deutschen Markt jedoch nicht in der Breite durch; Missionsschriften der ersten Phase fanden auch am Ende des 18. Jahrhunderts noch ihre Leser.

Borgia González ist in ihrem methodischen Zugriff sicher und sowohl hinsichtlich der von ihr untersuchten Americana, als auch in Bezug auf die deutsche Buch- und Verlagsgeschichte auf dem Stand der Forschung. Die Stärke ihres Buches liegt nicht zuletzt in der Fülle von detailliert besprochenen Beispielen, die nicht nur die Thesen belegen, sondern das Material zum Sprechen bringen. Der Vergleich zwischen den auf dem deutschen Buchmarkt erhältlichen Schriften und dem internationalen Americana-Angebot ist verdienstvoll, zeigt er doch, dass "die auf dem deutschen Markt angebotenen Schriften [...] letztlich das Bild eines fiktiven Amerika [vermittelten], das den Realitäten auf dem Kontinent kaum entsprach. Diese wirklichkeitsferne Debatte gründete zum einen auf der Tatsache, dass die deutsche Beschäftigung mit Amerika die zeitgenössischen Auseinandersetzungen in Spanien und in den Kolonien zum großen Teil ignorierte" (67).

Borgia González legt eine gehaltvolle und detailreiche, abgewogen argumentierende, in den Kernergebnissen nachvollziehbare Arbeit vor, die sich zudem gut lesen lässt. Dennoch scheint sie ein wenig der Versuchung erlegen zu sein, ihrem Untersuchungsgegenstand eine vielleicht zu große Bedeutung zuzumessen. Wenn sie eine enge Verknüpfung zwischen Kolonialhandel und expansiver Entwicklung des Reichsbuchhandels konstatiert und Augsburg, Leipzig, zeitweise Nürnberg und später Hamburg sowohl als bevorzugte Druckorte für Americana, als auch als Orte des Kolonialhandels wie des Buchhandels identifiziert (264), verdient dies in den behaupteten Kausalitäten zumindest weitere Erforschung. Angesichts der großen Breite von Amerika-Literatur im 17. und 18. Jahrhundert überrascht zudem das Ergebnis, das Bild der deutschen Gelehrten im "langen" 18. Jahrhundert von Amerika und seinen Bewohnern habe "größtenteils auf jesuitischen Nachrichten" beruht, die Jesuiten hätten "entschieden zur Formulierung des deutschen Diskurses über die neue Welt" beigetragen (272). Hatten die 37 Schriften, von denen einige zudem nur in Süddeutschland Verbreitung gefunden hatten, tatsächlich einen solchen prägenden Einfluss angesichts der vielen Hundert Amerika-Schriften, die in der frühen Neuzeit im Alten Recht erschienen? Auch hier wären die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit kritisch zu prüfen. Inwiefern die jesuitischen Americana der Herausbildung einer deutschen Identität und Kulturnation dienten und in ganz besonderer Weise zur deutsch-patriotischen Erziehung mittels der deutschen Sprache (67) geeignet waren, erschließt sich aus der Studie nur schlecht.

Frank Pohle