Ruud Filarski / Gijs Mom: Shaping Transport Policy. Two centuries of struggle between the public and private sector. A comparative perspective, Den Haag: SDU Uitgevers 2011, 267 S., ISBN 978-90-12-57169-2, EUR 41,50
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Es gibt zwar verlässliche Überblicke etwa über die deutsche Verkehrsgeschichte, zur Verkehrspolitik der Europäischen Union oder auch zur Entwicklung des Verkehrs in Großbritannien [1], doch wer sich vergleichend und knapp über entscheidende Linien in der europäischen Verkehrsgeschichte sowie über die verschiedenen Steuerungsversuche zu informieren versuchte, hatte bislang kein Glück. Zumindest teilweise helfen Ruud Filarski und Gijs Mom, zwei niederländische Verkehrshistoriker, diesem Mangel nun ab: auf knapp 200 Seiten fassen die Autoren problemorientiert die Entwicklungen in sieben verschiedenen Ländern zusammen, verweisen auf vergleichbare Problemlagen, die die behandelten Länder in je eigener Weise zu bearbeiten versuchten. Vor allem die Abwägung zwischen staatlicher und privater Steuerung zieht sich, wie bereits der Untertitel verrät, wie ein roter Faden durch die hier dargestellte Verkehrspolitikgeschichte.
Bemerkenswert an diesem fast enzyklopädischen Überblick ist bereits die kollaborative Arbeitsweise. Um einen Überblick über die Entwicklungslinien und Trends in sieben Ländern zu gewinnen, haben Filarski und Mom einen mehrstufigen Arbeitsprozess entwickelt, in den insgesamt mehr als 40 Historiker (und wenige Historikerinnen) aus unterschiedlichen Ländern eingebunden waren. Auf der Grundlage der meist national bestimmten und häufig auch nur auf einen Verkehrsträger bezogenen Expertise der beteiligten Historiker etablierten die Autoren eine gemeinsame Perspektive und arbeiteten die erstaunlichen Gemeinsamkeiten der Verkehrspolitiken in den verschiedenen Ländern heraus.
Um trotz der großen Aufgabe - die Gesamtheit der Verkehrspolitik in verschiedenen Ländern darzustellen - die Kohärenz zu wahren, mussten die Autoren Eingrenzungen vornehmen. Eine davon betraf die untersuchten Länder. Bedenkt man, dass die Niederlande klar im Zentrum der Untersuchung stehen, ist die Auswahl der sechs übrigen nachvollziehbar und sinnvoll. Die Entwicklung in den Niederlanden wird kontextualisiert - durch die wichtigen Nachbarn Großbritannien, Frankreich und Deutschland, durch die USA, die gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Niederlande politisch, kulturell und technologisch stark beeinflusst haben. Schließlich kommen noch Belgien und die Schweiz dazu, die einerseits als kleine Volkswirtschaften vergleichbare Strukturen mitbringen, durch politische wie geographische Unterschiede aber auch gute Kontrastfolien für die niederländische Geschichte abgeben.
Zudem haben die Autoren ihr Buch um Schlüsselentwicklungen herum organisiert. Zunächst geht es um die Etablierungsphase der Eisenbahnen, die um 1830 beginnt und um 1910 abgeschlossen war, anschließend wenden sich die Autoren dem städtischen Nahverkehrssystem, vor allem der Einrichtung der Straßenbahnen, zu (1870-1920). Ein umfangreiches Kapitel widmet sich dem Erscheinen des PKW und der Straßenbaupolitik (1900-1940). Anschließend geht es um zwei klassische Bereiche der Konkurrenz von Straßen- und Schienenverkehrsmitteln, einmal im Bereich des Personenverkehrs in Bezug auf den Bus, einmal im Frachtverkehr mit dem LKW. Abschließend widmen sich die beiden Autoren der Ära der Massenmotorisierung seit 1950. Sicherlich wären viele andere Bereiche auch eine vergleichende Untersuchung wert gewesen, so beispielsweise der Luftverkehr, der Schiffsverkehr oder auch der Nachrichtenverkehr. Vor allem aber fällt auf, dass vor allem die großen Verkehrsträger eine Rolle spielen, während die aktuelle Verkehrsgeschichte vermehrt die lange vernachlässigten (weil: nicht ernstgenommenen) Mobilitätsakteure wie Fußgänger, Rad- und Motorradfahrer in den Blick nimmt. Aber selbstverständlich ist eine Auswahl immer notwendig, und vor allem in den gewählten Bereichen konnte auf ausführliche Vorarbeiten der Verkehrsgeschichte zurückgegriffen werden.
Der Komplex des Neben- und Gegeneinanders von Schienen- und Straßenverkehrsmitteln wird beispielsweise in zwei Kapiteln behandelt, eines zum Busverkehr und eines zum Siegeszug des LKW. Die betroffenen Regierungen der verschiedenen Länder waren, so erfährt man, letztlich vor die gleichen Probleme gestellt, die sich vor allem auf die Frage reduzieren ließe, wie viel Regulierung notwendig und wünschenswert sei. Während die neuen Verkehrsmittel in allen untersuchten Ländern relativ rasch neuen Sicherheitsstandards unterworfen wurden, ließ die Regulierung des Wettbewerbs länger auf sich warten. Zwar wurde von allen Akteuren betont, die Schaffung eines Gleichgewichts und einer Situation des fairen Wettbewerbs sei unbedingt wünschenswert, doch gingen die Auffassungen, wie dieses herzustellen sei, erheblich auseinander. Die Autoren kommen letztlich zu dem Schluss, dass die staatliche Regulierung der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung stets nachgehastet sei, ohne ihr jemals wirklich Entwicklungslinien vorgeben zu können. Diese Schlussfolgerung ist sicherlich korrekt, doch die Frage ist, warum das so war. Hier würde sich eine genaue Analyse der unterschiedlichen Akteure lohnen, denn sie verstanden keineswegs immer dasselbe unter einem fairen Wettbewerb, und die Auffassungen davon, wie ein Verkehrssystem im Gleichgewicht auszusehen habe und welchen Zwecken es dienen sollte, gingen stark auseinander.
Das Buch, dessen Facettenreichtum hier in Kürze kaum dargestellt werden konnte, ist ein notwendiges Buch. Es schließt eine Lücke und bietet endlich einen verlässlichen Überblick über die Entwicklung des Verkehrssystems und der politischen Steuerungsversuche auf knappem Raum. Dass damit Verkürzungen und Vereinfachungen einhergehen, ist selbstverständlich und letztlich nicht gravierend, weil (fast) immer auf die einschlägige Literatur verwiesen wird, in der man alle Differenzierungen wiederfinden kann. Zudem handelt es sich um ein Buch, das zwei Dinge noch einmal verdeutlicht: Selbst wenn auf den ersten Blick die Verkehrsentwicklung, wie sie in den untersuchten Ländern stattgefunden hat, merkwürdig gleichförmig erscheint, bedeutet es nicht, dass politische Einflüsse wirkungslos waren. Im Gegenteil, die Konvergenz der Entwicklungslinien speist sich möglicherweise auch aus den Kommunikations- und Beobachtungsverbindungen zwischen den untersuchten Ländern. Und schließlich weisen die Autoren auf eine ganz entscheidende Facette des verkehrspolitischen Diskurses hin: Auch wenn es sich um einen spezialisierten Technikerdiskurs zu handeln scheint, gibt es doch genug Beispiele, in denen die politischen Gesellschaften Einfluss auf die Entscheidungen genommen haben und klargemacht haben: Verkehrspolitik kann nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg gemacht werden. Wenn das die zentrale Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Verkehrs(politik)geschichte für die gegenwärtigen Gesellschaften ist, dann haben Filarski und Mom einen wichtigen Schritt getan, um dieses Ergebnis zu verbreiten.
Anmerkung:
[1] Für Deutschland etwa: Christopher Kopper: Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert, München 2002; Dietmar Klenke: "Freier Stau für freie Bürger". Die Geschichte der bundesdeutschen Verkehrspolitik 1949-1994, Darmstadt 1995; für die EU: Johannes Frerich / Gernot Müller: Europäische Verkehrspolitik - Von den Anfängen bis zur Osterweiterung der Europäischen Union (3 Bände), München / Wien 2004-2006; Großbritannien: Theo Barker / Dorian Gerhold: The Rise and Rise of Road Transport, 1700-1990, Cambridge 1995; Philip S. Bagwell / Peter Lyth: Transport in Britain: From Canal Lock to Gridlock, 1750-2000, London, New York 2002.
Anette Schlimm