Dominik Petzold: Der Kaiser und das Kino. Herrschaftsinszenierung, Populärkultur und Filmpropaganda im Wilhelminischen Zeitalter, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 424 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77321-0, EUR 49,90
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Im Dreikaiserjahr 1888 bestieg mit Kaiser Wilhelm II. einer der meistdiskutierten Herrscher des 19. Jahrhunderts den deutschen Kaiserthron. Seine 30 jährige Regentschaft war so prägend, dass sie als das "Wilhelminische Zeitalter" in die Geschichte einging. Seine Rolle bei den deutschen Kolonialbestrebungen und Flottenaufrüstung sowie in der Julikrise und während des Ersten Weltkrieges haben ihm eine intensive Betrachtung durch die historische Forschung eingebracht. In jüngerer Zeit haben sich vor allem die Arbeiten von John C. Röhl und Christopher Clark intensiv mit dem letzten deutschen Kaiser beschäftigt. [1] Während die politische Biographie Wilhelms II. weitgehend erforscht ist, gibt es Aspekte seiner Herrschaft, die erst in jüngerer Zeit ins Interesse der Forschung gerückt sind und das Bild des Kaisers weiter formen. Einer dieser Gesichtspunkte ist die Begeisterung des Kaisers für die moderne Technik. Diese beschränkte sich nicht nur auf den Flottenbau, sondern richtete sich auch auf andere Gebiete moderner Technik, wie Wolfgang König in seinem Buch "Wilhelm II. und die Moderne" gezeigt hat. [2]
Dominik Petzold widmet sich nun in seiner Untersuchung dem Verhältnis von Wilhelm II. zu einer wirklichen technischen Neuerung, dem Film. Petzolds Ziel ist es darzulegen, wie sich die Entwicklung der Kinematographie auf die Darstellung und das Selbstverständnis der deutschen Monarchie auswirkte. Am Beispiel des Kinos und insbesondere der Rolle Wilhelms II. als dem "ersten deutschen Filmstar" (31) zeigt er, welchen Einfluss die aufkommenden Massenmedien auf die Hohenzollernmonarchie ausübte. Neben dem Verhältnis des Kaisers zum Kino wird so auch die Medienpolitik der Obrigkeit im Kaiserreich analysiert, mit der diese auf die Anforderungen des neuen Massenmediums Film reagierte. Petzold blendet in seiner Betrachtung bewusst die Zeit des Ersten Weltkriegs aus und beschränkt sich auf die Zeit von 1895 bis Juli 1914. Nach Petzold bedeutete der Krieg einen zu großen Einschnitt für den deutschen Film und eine Analyse der Kriegsjahre wäre daher ein zu großer Bruch in der Darstellung gewesen. Dieser Bruch besteht vor allem darin, dass der Film während des Krieges immer mehr vom Militär vereinnahmt wurde und mit Gründung des Bild- und Filmamtes Ende Januar 1917 und schließlich der Universum Film AG im Juli 1917 gänzlich unter die Kontrolle der OHL kam.
Den von ihm gewählten Betrachtungszeitraum versteht Petzold in gelungener Weise eloquent in drei Teilen darzustellen. Im ersten Teil geht er zunächst auf die Entwicklung des frühen Kinos zu einem Massenmedium ein, aus der der Kaiser als meistgefilmte Person des öffentlichen Lebens hervortrat. Aus dieser Rolle des Kaisers heraus resultierten dann schnell die monarchischen Inszenierungen, mit denen man den Kaiser für das Filmpublikum in Szene setzte. Petzold beschreibt anschaulich, wie der Film immer mehr zu einem Mittel der monarchischen Propaganda wurde. Im zweiten Teil seiner Arbeit geht er deshalb auf die Medienpolitik ein, die vom Kaiser selbst, seinem Hof und den Reichsbehörden betrieben wurde, um die filmische Präsentation der Monarchie in die gewünschten Bahnen zu lenken. Der dritte Teil stellt schließlich dar, wie die Filme über den Kaiser für die konkrete Filmpropaganda genutzt wurden. Ausgehend von seiner Leitthese, dass das neue Medium des Films von der Monarchie in Deutschland ganz bewusst für die Charismatisierung des Kaisers genutzt wurde, weist er immer wieder auf die Affinität des Kaisers zu Film und Kino hin. Ohne diese Begeisterung des Kaisers wäre eine solch weitgehende Instrumentalisierung des Kinos für die monarchische Propaganda nicht möglich gewesen. Petzold zeichnet das Portrait "eines sensiblen Medienpolitikers, der die neuartigen Möglichkeiten der Kinematographie schnell begriff und für sich zu nutzen gedachte." (281) Die Untersuchung zeigt, dass schon in der Frühzeit des Films die Suggestionskraft bewegter Bilder erkannt und genutzt wurde. Denn die Filme über den Kaiser waren nicht wie heutige Aufnahmen royaler Personen nur für die Unterhaltung gedacht, sondern transportierten immer auch eine politische Botschaft. Wie sehr man die Möglichkeiten des Films als Propagandamedium auszunutzen verstand zeigt Petzold an mehreren Beispielen. Er analysiert beispielsweise den Film, der anlässlich der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig 1913 gedreht worden ist. Dabei arbeitet er heraus, dass die Spannungen zwischen dem monarchischen Protokoll und dem bürgerlichen Fest, die bei dem Festakt deutlich zutage traten, von dem Film über die Beteiligung Wilhelms an der Einweihung völlig ignoriert werden. Statt dessen wurde das Denkmal nicht einmal gezeigt und der Kaiser stand völlig im Mittelpunkt der Darstellung. Petzold stellt am Beispiel dieses Films fest, dass "Film eine besonders effektive neue Variante monarchischer Inszenierung" (122) war, die konsequent genutzt wurde.
Die Quellenlage zum frühen Film in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg ist, wie der Autor selber zugibt, "dürftig". (41) Trotz oder gerade wegen dieses Umstandes hat es Petzold geschafft, ein breites Spektrum am Quellen zu erschließen, insbesondere konnte er viele Filme aus der Frühzeit des Kinos sichten. Alleine 39 Filme aus dem Bundesfilmarchiv werden neben anderen filmischen Quellen und Dokumentarfilmen zitiert. Gedruckte Quellen, meist aus Zeitungen oder Fachzeitschriften entnommen, bilden neben archivalischen Quellen ein weiteres wichtiges Fundament für die Argumentation der Arbeit. Auf dieser Grundlage gelingt ein guter Zugang zu den Anfängen staatlich gelenkter Filmpropaganda im deutschen Kaiserreich. Petzold kann damit der Propagandaforschung einen neuen Impuls geben, die bisher gemeinhin den Film als Mittel der Propaganda erst im Ersten Weltkrieg wirklich wahrgenommen hat.
Dadurch dass der Untersuchungszeitraum vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges endet, bleiben einige Fragen zum Umgang Wilhelm II. mit dem Medium Film offen. Petzold legt dar, dass der Ausbruch des Krieges das Ende der "pompösen kaiserlichen Selbstdarstellung" bedeutete, und Filme mit Darstellungen des Kaisers zum Mittel militärischer Heimatpropaganda wurden. (40) Hier wäre es aufschlussreich zu erfahren, wie Wilhelm II. auf diese Instrumentalisierung seiner Person durch die Propagandapolitik der OHL reagierte. Ließ er dies ohne Gegenwehr zu oder versuchte er auch noch im Krieg Einfluss auf die Medienpolitik zu nehmen? Gab es vielleicht sogar Bestrebungen Wilhelms sich nach dem Krieg durch das Medium Film bei der deutschen Bevölkerung im Hinblick auf eine mögliche Wiederbesteigung des Throns in Erinnerung zu halten? Auch ein Vergleich des Umgangs der Obrigkeiten verschiedener Nationen mit dem frühen Film als Propagandamedium würde sich anbieten. Die Arbeit Petzolds beantwortet also nicht alle Fragen zum Umgang Wilhelms II. mit der Kinematographie, sondern es ergeben sich aus ihr interessante Anknüpfungspunkte für eine weitere Beforschung des Themas über den betrachteten Zeitraum hinweg.
Das Buch bietet einen gut lesbaren Einstieg in die Geschichte des Films als Mittel der Selbstinszenierung und Propaganda. Dabei ist es nicht nur für den Experten verständlich sondern eignet sich auch zur Lektüre durch Laien. Es führt dem Leser das Bild Wilhelms II. als einem "seiner Zeit weit vorauseilenden Medienpolitikers" (281) vor Augen. Er war dadurch nicht nur ein Medienpionier, sondern auch ein Propagandapionier, der dazu beitrug, dem jungen Film den Weg zu dem bestimmenden Propagandamedium des 20. Jahrhunderts zu ebnen.
Anmerkungen:
[1] John C. G. Röhl: Wilhelm II. Bd. 1: Die Jugend des Kaisers, 1859-1888; Bd. 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, 1888-1900 [vgl. hierzu die Rezension von Winfried Speitkamp, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/07/1805.html]; Bd. 3: Der Weg in den Abgrund, 1900-1941, [vgl. hierzu die Rezension von Michael Epkenhans, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4; URL: http://www.sehepunkte.de/2009/04/14559.html] München 1993-2008. Christopher M. Clark: Wilhelm II., München 2008 [vgl. hierzu die Rezension von Martin Kohlrausch, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4; URL: http://www.sehepunkte.de/2009/04/14973.html].
[2] Wolfgang König: Wilhelm II. und die Moderne, Paderborn [u.a.] 2007. [vgl. die Rezension von Dominik Petzold, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4; URL: http://www.sehepunkte.de/2009/04/12455.html]
Christian Koch