Todd Longstaffe-Gowan: The London Square. Gardens in the Midst of Town, New Haven / London: Yale University Press 2012, X + 334 S., 160 Farb-, 100 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-15201-2, GBP 30,00
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Auf den ersten Blick ist das ein Buch für den gepflegten Salontisch: Ein schönes Bild von Hanover Square im 18. Jahrhundert schmückt das Titelblatt, ein Luftbild des heutigen Kensington die Innenseite des Einbands. Beim ersten Durchblättern fallen vor allem die vielen Abbildungen von Gärten, Plätzen, Stadtplänen und architektonischen Entwürfen ins Auge, die mal von mehr, mal von weniger Text unterbrochen sind - das könnte ein nettes Bilderbuch für all jene sein, die an Londoner Plätzen wohnen, das gerne tun würden oder einfach einen ästhetischen Zugang zu einer spezifischen Facette der Londoner Stadttopographie gewinnen wollen. Könnte es sein, ist es aber nicht.
Longstaffe-Gowan legt in diesem Werk eine erste moderne Gesamtgeschichte einer städtebaulichen Eigenart Londons vor. Ein London Square ist eine umbaute Fläche, die in aller Regel durch einen Zaun von den umliegenden Straßen und Häusern abgegrenzt ist und nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich ist. Selbst wenn ein Square offen ist, gelten für seine Nutzung besondere Regeln. Von einem Park unterscheidet es sich durch seine beschränkte Größe; von einem privaten Garten durch die kommunale Nutzung und die Verwaltung durch einen Bauträger oder einen Ausschuss der Anwohner, später auch durch kommunale Gremien. Zwar finden sich solche Squares in den meisten Teilen Londons, besonders typisch sind sie aber für die Stadtteile, die zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert entwickelt, d. h. systematisch bebaut wurden, indem Besitzer großer Ländereien diese an einen oder mehrere Bauträger verpachteten, die Häuser und Straßen nach vereinbarten Plänen errichteten. Nach Ablauf einer Frist ging das Eigentum an den (vermieteten oder verpachteten) Häusern an den Grundbesitzer über. Squares sind aber nicht nur die Folge einer bestimmten Ökonomie der Landnutzung und des sich daraus ergebenden Baustils; sie stellen auch einen spezifischen Umgang mit Fragen von Lebenspraxis und Lebensqualität in einer rapide wachsenden Stadt, mit sozialer Ungleichheit, mit Fragen der öffentlichen Gesundheit und Hygiene dar. Das prägt den Zugang des Buches, das an einer Reihe exemplarischer Beispiele die komplexe Entwicklung der Squares sowie der ihnen zugeschriebenen Aufgaben zu analysieren versucht.
Londoner Squares waren, so die Ausgangsthese des Autors, das städtische Gegenstück der "enclosures" oder "Einhegungen" auf dem Land, also des Prozesses der Privatisierung vormals gemeinschaftlich genutzter Felder oder Waldstücke, die als Marktplatz, Viehweide oder Sportplatz dienen konnten. Mit der Privatisierung größerer Landgebiete um das expandierende London entstand die Möglichkeit, Gelände, die nicht bebaut werden sollten oder konnten, für eine 'private' Nutzung zu reservieren. Die ersten Beispiele dafür sind für Longstaffe-Gowan Moorfields und Lincoln's Inn Fields, etwas später Covent Garden. Die Abgrenzung nach außen erfolgte durch niedrige Holzbarrieren und war nur begrenzt erfolgreich, so dass die Besitzer alsbald dazu übergingen, Wächter einzustellen, die illegale Aktivitäten (wie Schlägereien oder das systematische Ausrauben von Spaziergängern) verhindern sollten, was aber nur sehr begrenzt gelang. Die Nutzung dieses Typs des Squares war teilweise kommerziell (etwa durch die Marktstände, die zu einer Eigenart Covent Gardens geworden sind), teilweise landwirtschaftlich - und sei es nur durch Schafherden, die als Rasenmäher dienten.
In einem nächsten Schritt widmet sich Longstaffe-Gowan der bekannteren Geschichte des Square, das - wie etwa Bloomsbury Square oder Leicester Square - aus der systematischen Bebauung eines Großgrundbesitzes hervorging. Typisch war hierbei, dass die Plätze in der Mitte von rechteckig, quadratisch oder kreisförmig angeordneten Zeilen möglichst gleichförmig gestalteter Häuser primär dazu dienen sollten, dass die anliegenden Wohnungen luftig und hell waren; außerdem sollten sie Aspekte des ländlichen Raums in der Stadt bewahren. Die Plätze waren - in Anlehnung an kontinentaleuropäische Vorbilder - trotzdem oft nicht oder nur kaum bepflanzt, sondern bestanden aus Kies oder Rasenflächen, die allenfalls durch einige Bäume und dekorative Elemente wie Brunnen oder Statuen aufgelockert waren. Sie wurden nun häufiger von höheren Zäunen umgeben, so dass nur die mit einem Schlüssel ausgestatteten Anwohner Zugang hatten. Alle Probleme löste das freilich nicht: Schlüssel ließen sich fälschen und Zäune einreißen oder überwinden, so dass die Institution des Warden bestehen blieb.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts veränderte sich die innere Gestaltung der Squares. Brunnen oder Figurenprogramme hatten sich immer als kontrovers und teuer erwiesen; stattdessen wurden die Squares nun mit Büschen und Blumen bepflanzt. Das förderte die Abschottung der Plätze nach außen - und verschob die Ordnungsprobleme. Statt der Räuber auf Moorfields fürchteten die Besitzer der kommunalen Gärten nun Vandalismus, der die schöne Bepflanzung zerstören könnte, heimlichen Sex hinter Bäumen und Büschen und allzu laute Spiele - Aktivitäten, die man durch immer detailliertere Regeln zu unterbinden suchte.
Im 19. Jahrhundert erlebte das Square eine doppelte Krise. Wie alle anderen Teile der Londoner Innenstadt waren auch die Squares von der Welle des Gestanks betroffen. Selbst wenn Platz und Straßen gut unterhalten waren - aus den Mews, den kleinen Straßen für Ställe und Dienstbotenwohnungen, die parallel zu den Squares verliefen, roch es nach dem Kot von Kühen, Schweinen und anderen Haustieren, den Abwässern und Abfällen der Bewohner, eventuell den Abgasen von Gewerbebetrieben. Die Kanalisation brachte zunächst wenig Abhilfe; aus schlecht gebauten und kaum durchspülten Rohren stiegen Fäulnisgase auf, die durch die Abflussrohre von WCs direkt in die Wohnungen geleitet werden konnten. Das Wohnen am Square verlor an Prestige; immer mehr Wohnungen standen leer oder wurden kommerziell genutzt, so dass die Zahl der Nutzer der Gärten zurückging. Beete oder Statuen wurden immer weniger gepflegt - das Reiterstandbild von Georg I. auf dem Leicester Square hatte 1869 seinen Reiter längst abgeworfen und rostete langsam vor sich hin. Der Verlust der Nutzer verschärfte die Kritik an den Zugangsbeschränkungen: schließlich durften die (in der Regel ärmeren) Nachbarn der an Squares gelegenen Häuser diese nicht nutzen, selbst wenn die Gärten den ganzen Tag leer standen. Der Druck, Squares in öffentlichen Besitz zu überführen oder zumindest teilweise für das Publikum zu öffnen nahm zu. Ergebnis war oft die Re-Kommunalisierung, die in Lincoln's Inn Fields gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte. Viele private Gärten wurden zumindest für Schulkinder geöffnet.
Gegen Ende des Ersten Weltkriegs dienten einige Squares als Gemüsegärten zur Versorgung der Stadt. Während die Zwischenkriegszeit von gegenläufigen Entwicklungen geprägt war, verloren die Squares im Zweiten Welkrieg ihre charakteristische Abgrenzung, da die Metallgitter als Rohstoffe eingeschmolzen wurden. Damit stand nach 1945 die Frage im Raum, ob man die durch den Krieg vielfach stark in Mitleidenschaft gezogenen Squares offen lassen oder doch wieder abschließen sollte. Sie wurde von Garten zu Garten unterschiedlich beantwortet. Die Sorge, durch eine Verdichtung der Bebauung könnte das Londoner Stadtbild gefährdet sein, führte dann spätestens seit den 1970er Jahren zu einer Zunahme der Initiativen zum Erhalt der Plätze Londons, die erhebliche Unterstützung (und sehr erhebliche Mittel) mobilisieren konnten. Die Auseinandersetzung darum, wem welches Square wann gehört, und wer die Kosten tragen soll sind freilich nicht verschwunden. So diente die Neugestaltung des Russell Square in Bloomsbury nicht nur der Denkmalpflege und Verschönerung, sondern sollte durch die Beseitigung von Büschen und Sträuchern auch verhindern, dass sich homosexuelle Männer dort nachts zum anonymen Sex trafen. Während Longstaffe-Gowan solche Prozesse der Aushandlung legitimer und nicht legitimer Nutzung von Squares im Kern positiv bewertet, steht er den neuen Squares des 21. Jahrhunderts skeptisch gegenüber. Zwar seien die meisten neuen Plätze nicht mehr abgezäunt, durch ihre architektonische Anlage könnten sie aber effizienter den Eindruck einer "gated community" vermitteln als Zäune. Der Verzicht auf die Trennung von Garten und Gebäuden durch Straßen, der die meisten Projekte präge, mache die Differenzierung zwischen Privatsphäre und öffentlichem Raum schwieriger und trage so dazu bei, Konflikte zu verschärfen.
Longstaffe-Gowan hat somit in äußerst ästhetischem Gewand eine große Erzählung vorgelegt, deren Quellengrundlage Baupläne, Abbildungen und Platzgeschichten ebenso umfasst wie sozialkritische Literatur, Gartenratgeber, die Publikationen von Bürgerinitiativen, Gesetzestexte und Parlamentsdebatten.
Andreas Fahrmeir