Rezension über:

Ariane Czerwon: Predigt gegen Ketzer. Studien zu den lateinischen Sermones Bertholds von Regensburg (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 57), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, X + 265 S., ISBN 978-3-16-150141-8, EUR 89,00
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Rezension von:
Michael Rupp
Germanistisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Michael Rupp: Rezension von: Ariane Czerwon: Predigt gegen Ketzer. Studien zu den lateinischen Sermones Bertholds von Regensburg, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/21720.html


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Ariane Czerwon: Predigt gegen Ketzer

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Unter dem Namen Bertholds von Regensburg sind wohl die auch über die Fachgrenzen hinaus bekanntesten deutschen Predigten des Mittelalters überliefert. Gleichwohl geht kein einziger dieser in zahlreichen Handschriften erhaltenen mittelhochdeutschen Texte auf die direkte Urheberschaft des Franziskanerbruders zurück. Für die Nachwelt hat er vielmehr ganz bewusst lateinische Versionen davon hinterlassen, die im Mittelalter wesentlich verbreiteter waren als die auf seine Mitbrüder zurückgehenden mehr oder weniger eng an der lateinischen Vorlage bleibenden volkssprachlichen Versionen. Es ist daher nur zu begrüßen, wenn sich die Dissertation von Ariane Czerwon den lateinischen Predigten Bertholds widmet und nach einem für die damalige Zeit zentralen Aspekt befragt, nämlich der Argumentation gegen Ketzer und deren Darstellung.

Die Arbeit beschränkt sich dabei auf die umfangreiche Sammlung im prominenten Codex des Franziskanerklosters Freiburg / Schweiz. Die Predigten dieser Handschrift, so Czerwon, gingen wesentlich dezidierter und ausführlicher auf das Ketzertum ein als vor allem die mittelhochdeutschen Sammlungen. Das Besondere an der Freiburger Handschrift ist u.a. neben der vollständigen Überlieferung der maßgeblichen authentischen Sammlungen Bertholdscher Predigten deren erkennbare Rhetorisierung, in der, so die Verfasserin, vielleicht ein Stück der tatsächlichen "individuellen" Rhetorik Bertholds erhalten sei (4). In einem Abgleich mit historischen Zeugnissen soll das darin entworfene Bild von Ketzern herausgearbeitet und in die Tradition mittelalterlicher Predigten eingeordnet werden. Die Verfasserin wertet hierzu vornehmlich die Sermones 24, 28 und 29 des gewählten Codex aus, die sie im Anschluss an die Untersuchungen auch ediert.

Die anschließenden Kapitel widmen sich den (kultur-)historischen Bedingungen, unter denen Berthold seine Predigttätigkeit aufnahm. So befragt das zweite Kapitel kritisch die Zeugnisse der Vita nach ihrer möglichen Verwurzelung in legendarischen Traditionen, insbesondere die Beschreibungen der Tugenden und Wundertaten, die ein heiligmäßiges Leben in Anlehnung an die Tradition konstruieren. Das dritte Kapitel bietet eine Zusammenfassung der Geschichte der Ketzer in den süddeutschen Provinzen des 13. Jahrhunderts, dem hauptsächlichen Wirkungskreis Bertholds, in dem vor allem Waldenser in den unteren Schichten der Gesellschaft einigen Rückhalt hatten. Das vierte Kapitel widmet sich zunächst der Produktion und dem Vortrag von Predigten sowie der zu dieser Zeit erstmalig professionell betriebenen Ausbildung franziskanischer Prediger in diesem gesellschaftlichen Umfeld. Diese Zeugnisse werden mit denen für die Verkündigungstätigkeit der Katharer und Waldenser konfrontiert. Wichtig für die vorliegenden Zusammenhänge ist das Jahr 1241, in dem Papst Gregor IX. die Franziskaner in den Kampf gegen Unglauben und Ketzerei entsandte. Die kurz darauf einsetzende Predigttätigkeit Bertholds versteht Czerwon vor diesem Hintergrund.

Dementsprechend beschreibt das zentrale fünfte Kapitel Berthold als Kämpfer gegen Ketzerei. Dieser Aspekt seines Wirkens wurde in den Augen der Verfasserin bislang vor allem deshalb nicht beachtet, weil er in den nicht oder nur unzureichend edierten lateinischen Predigten wesentlich stärker offenbar werde als in den deutschen Versionen. Von dieser Prämisse aus, so Czerwon, erscheinen viele weitere Passagen der lateinischen Sermones als Teil dieser Bemühungen, insofern sie nämlich affirmativ die Grundzüge der Fides catholica darstellen, vor allem in den Punkten, an denen Waldenser oder Katharer davon abweichen. Damit beginnt der spannende Kern der Arbeit, in dem ein solch verdecktes Eingehen auf damals kursierende häretische Meinungen aufgezeigt wird. Ein interessantes Beispiel aus Sermo 24 sei herausgegriffen, nämlich die Figur eines Wirtes, der nachts aufsteht und seine Gäste zum Gebet mahnt. Dieser Wirt passt zu einer Beschreibung waldensischen Gemeinschaftslebens in einem anonymen Traktat De vita et acibus. Berthold, so Czerwon, mache die Szene durch Bezugnahme auf die im Lukasevangelium beschriebene Nacht Jesu am Kalvarienberg zu einem raffinierten Beispiel scheiternder Imitatio Christi (129). In ähnlicher Weise lassen sich manche Passagen mit Beschreibungen ketzerischen Verhaltens und Lehrens zusammenbringen und als Auseinandersetzung damit charakterisieren. Dabei sind es selten Beispiele katharischen Gedankenguts; häufiger lasse sich Berthold zum Kampf gegen 'Sarazenen' herbei (mit denen offenbar Mongolen gemeint seien), und erwartungsgemäß auch gegen Juden, die für ihn ebenfalls zu den Ketzern zählten. Interessanterweise kommt Czerwon in diesem Falle zu dem Befund, dass die deutschen Versionen gegen Juden wesentlich aggressiver vorgingen als die lateinischen (148). Eine aufschlussreiche Analyse der rhetorischen Strategien der intellektuellen und moralischen Ausgrenzung beschließt diesen Teil.

Das sechste und letzte Kapitel umfasst eine Edition der hauptsächlich ausgewerteten Predigten aus dem Freiburger Codex sowie zweier weiterer aus anderen Handschriften als Vergleichsmaterial. Davor wird die besondere Stellung der Freiburger Handschrift innerhalb der Überlieferung in einem forschungsgeschichtlichen Überblick herausgestellt, soweit man sie bisher beurteilen kann. Dabei muss die Frage nach der Bedeutung der Rhetorisierung offenbleiben: Die Verfasserin widersteht aus guten Gründen der in der Einleitung aufscheinenden Versuchung, sie explizit als Spuren Bertholdscher Rhetorik zu verstehen. Wichtig wäre natürlich gerade an dieser Stelle, auch die inhaltliche Stellung des Freiburger Codex in der lateinischen Überlieferung in Bezug zur Ketzerfrage näher zu bestimmen, auch anhand weiterer Texte. Dies allerdings ist eine enorm umfangreiche Aufgabe, die in diesem Rahmen nicht bewältigt werden konnte. Ein wenig vermisst man dennoch die eingehendere Diskussion dieses Aspekts, da die Tragweite der Untersuchung letztlich dadurch bestimmt wird. Und die Verfasserin hätte hier nichts zu befürchten, bezieht sie sich doch so oder so auf einen wichtigen Teil der Überlieferung.

Die Darstellung und Analyse überzeugt insgesamt sehr und wirft ein neues Schlaglicht auf eine der prominentesten Gestalten des deutschen Mittelalters. Insbesondere die sozialhistorischen Forschungen zu den deutschen Texten könnte man vor diesem Hintergrund mit Blick auf die Unterschiede zwischen Latein und Deutsch fortführen. Ein großes Verdienst dieser Arbeit ist es daneben aber auch, mit der historischen Kontextualisierung der lateinischen Predigten noch einmal deren Stellung als authentisches Zeugnis für Bertholds Theologie deutlich gemacht zu haben. Nach wie vor werden die deutschen Predigten nicht klar genug als das wahrgenommen, was sie eigentlich sind, nämlich mehr oder weniger freie Bearbeitungen der lateinischen Sermones auf Deutsch, die nicht auf Berthold zurückgehen. Die Arbeit von Czerwon zieht die Konsequenzen und stellt in einem zentralen Punkt die von Berthold autorisierte Auffassung dar. Auch deshalb ist der Arbeit eine breite und produktive Rezeption zu wünschen.

Michael Rupp