Rezension über:

Ryan P. Freeburn: Hugh of Amiens and the Twelfth-Century Renaissance (= Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot: Ashgate 2011, XIII + 276 S., ISBN 978-1-4094-2734-6, GBP 65,00
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Rezension von:
Julian Führer
Deutsches Historisches Institut, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Julian Führer: Rezension von: Ryan P. Freeburn: Hugh of Amiens and the Twelfth-Century Renaissance, Aldershot: Ashgate 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/21014.html


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Ryan P. Freeburn: Hugh of Amiens and the Twelfth-Century Renaissance

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Hugo von Amiens steht meist im Schatten anderer Protagonisten der fundamentalen geistesgeschichtlichen Umbrüche des 12. Jahrhunderts. Umso verdienstvoller ist es, diese Persönlichkeit mit einer modernen Monographie zu würdigen. Hugo stammte wohl aus dem nordfranzösischen Adel, studierte in Laon zu Zeiten Anselms, war Domherr in Thérouanne, dann Mönch cluniazensischer Prägung, ab 1114 Prior von Saint-Martial in Limoges, seit 1123 Abt von Reading, seit 1130 war er Erzbischof von Rouen, zudem wirkte er als päpstlicher Legat und Beichtvater des Königs Heinrich I. von England. Gleich in der Einleitung (1-4) wird Hugo als für seine Zeit eher traditioneller Denker eingeordnet; theologisch von Anselm von Laon beeinflusst, habe er dennoch den Weg hin zu einer systematischen Theologie gewiesen, den nach ihm Hugo von Sankt Viktor, Petrus Lombardus und Thomas von Aquin beschritten haben.

Durch verwandtschaftliche Beziehungen zu Kardinalbischof Matthaeus von Albano, dem Prior (seit 1117) von Saint-Martin-des-Champs vor den Toren von Paris, pflegte Hugo seit den 1120er Jahren enge Kontakte zu den Päpsten und spielte auch im Schisma von 1130 eine nicht unbedeutende Rolle, da er als kürzlich erhobener Erzbischof von Rouen die geistliche Oberaufsicht über die gesamte Normandie innehatte und auf dem Konzil von Reims 1130 die Unterstützung König Heinrichs I. von England für Innozenz II. bekannt gab. Nach dem Tod Heinrichs I. 1135 und vor allem nach dem Scheitern Stephans von Blois erfahren wir nichts mehr von einem Mitwirken Hugos in der weltlichen Machtsphäre Englands. In der geistlichen Sphäre hingegen erweiterte sich sein Wirkungskreis durch die Legatentätigkeit deutlich; Hugo wirkte an der Verurteilung des Gilbert de la Porrée und anderer mit und wurde auf diese Weise auch von Otto von Freising kurz in den Gesta Friderici (I,54) erwähnt.

Die Studie ist in zehn Kapitel gegliedert, die nach einem biographischen Überblick jeweils ein Werk des produktiven Autors gemäß der chronologischen Abfolge ihres Entstehens in Augenschein nehmen und in ihrem jeweiligen historischen, literarischen und geistesgeschichtlichen Kontext interpretieren. Manche Themen beschäftigten Hugo in mehreren Werken, etwa die Frage des Ursprungs der Seele, die in der Epistola Gravioni und dem wesentlich später entstandenen Genesiskommentar In Hexaemeron behandelt wird. Ryan P. Freeburn betont zu Recht, dass das Abfassen von Gedichten und kleineren Schriften in der hohen französischen Geistlichkeit des 12. Jahrhundert eher die Norm als die Ausnahme war.

Ein zentrales Werk Hugos sind die Dialogi, die in sieben Büchern als Antwort auf Fragen eines Matthaeus (wenn dem eine reale Person zugeordnet werden kann, höchstwahrscheinlich Matthaeus von Albano) konzipiert sind. Hugo von Amiens selbst bezeugt, dass es zwei Versionen von diesem Werk gab, die sich auch in der Überlieferung erhalten haben. Unglücklicherweise besteht der vorliegende Druck (Migne PL 192, 1141-1248) aus einer Hybridfassung, die beide Textstufen vermischt, wie überhaupt eine kritische Ausgabe der meisten Werke Hugos aussteht. Ähnlich wie Hugo von Sankt Viktor thematisiert Hugo von Amiens das Verhältnis von historia und allegoria: Die historia könne jeder verstehen, das Erfassen der Schrift mittels der Allegorese hingegen erfordere Bildung (58). Weitere Themenfelder sind das Verhältnis von der Erschaffenheit der Seele und der Erbsünde sowie die Frage nach der Zulässigkeit und Notwendigkeit der Taufe von Neugeborenen. Die Vorgehensweise in den Dialogi wird von Freeburn in die Nähe Hugos von Sankt Viktor (De sacramentis) gerückt, der ebenfalls das kontemplativ-meditative Moment betont (50f.). Die monastische Prägung Hugos von Amiens wird in einer Hierarchisierung der geistlichen Stände deutlich, die die Mönche gegenüber den Regularkanonikern und anderen Klerikern deutlich bevorzugt. Auch in Contra haereticos (Kapitel VIII, 147-184) wird die Rolle der kirchlichen Hierarchie betont, weshalb bestimmte Aufgaben im kirchlichen Leben immer nur durch bestimmte Amtsträger vorgenommen werden dürften (168).

Ebenfalls theologische Probleme behandelt der Kommentar zum Schöpfungsbericht (Kapitel VII, 113-146). In einem weitgespannten Rückgriff auf prägende Genesiskommentare (vor allem Augustinus) und aktuelle Debatten des 12. Jahrhunderts (Abaelard, Hugo von Sankt Viktor, Honorius Augustodunensis, Thierry von Chartres) kann der Verfasser herausarbeiten, dass Hugo von Amiens in Bezug auf die Deutung des Siebentagewerkes und die Erschaffung der Frau im Kontext der Schöpfung eine von seinen Zeitgenossen unabhängige und durchaus originelle Position bezieht, die in vielen Fällen aus Augustinus herzuleiten ist.

Die Vita sancti Adjutoris (Kapitel VI, 99-111) würdigt eine Gestalt, die Hugo persönlich kannte. Adjutor war auf dem Kreuzzug in Gefangenschaft geraten, konnte sich nach etlichen Jahren befreien und lebte fortan als Eremit im Umfeld der neu gegründeten Mönchsgemeinschaft von Tiron. Wenn Hugo von Wundern berichtet, die Adjutor in seiner Anwesenheit gewirkt habe, thematisiert er auch die eigene Angst etwa im Angesicht eines Strudels in der Seine, den Adjutor zum Verschwinden bringt (104). In dieser Schrift sind individuelle Züge der Persönlichkeit Hugos am besten zu fassen.

Etwas außerhalb des hier präsentierten Schriftkorpus steht die sogenannte Reprehensio, die etwas unglücklich in einem eigenen Kapitel (V, 85-98) und dann noch einmal in einer Appendix (239-244) untersucht wird. Bei diesem Text handelt es sich um eine satirische Auseinandersetzung mit der Apologia Bernhards von Clairvaux, in der dieser den Cluniazensern Mängel in der monastischen Disziplin vorhält. Diese Schrift ist, wie Ryan P. Freeburn schlussfolgert (98 und 244), wohl nicht von Hugo verfasst worden, da sowohl inhaltliche als auch sprachlich-stilistische Kriterien nicht mit Hugos sonstigen Werken in Einklang zu bringen sind.

Die Dialogi sind mit etwa zehn noch erhaltenen oder sicher ermittelbaren Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts das verbreitetste Werk Hugos gewesen, während andere Schriften deutlich schmaler überliefert sind. Die Sentenzen des Petrus Lombardus und andere noch systematischer angelegte Schriften entsprachen eher den veränderten Bedürfnissen von Scholaren der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Dem Autor ist zu danken, dass er Hugo von Amiens letztlich als Pionier ins Licht setzt, der vieles entwickelt habe, was andere, heute sehr viel bekanntere mittelalterliche Autoren nach ihm perfektioniert haben. Die "Conclusion" (223-225) schildert nur Tod und Bestattung Hugos, eine eigentliche Zusammenfassung liefert das Buch nicht. Die Anhänge enthalten unter anderem eine Zeittafel und eine sorgfältige Übersicht der Handschriften der Werke Hugos. Insgesamt handelt es sich bei dieser Studie um ein Werk, dem man zwar eine gründlichere Durchsicht bei lateinischen und französischen Zitaten und Literaturangaben gewünscht hätte, das aber durch seinen Zugriff auf das literarische Gesamtwerk Hugos (die Urkunden werden nicht thematisiert) eine wertvolle Einordnung liefert. Das Buch führt den Beweis, dass eine Beschäftigung mit Hugo von Amiens lohnt, und stellt unausgesprochen ein Plädoyer für eine kritische Ausgabe der Schriften dar.

Julian Führer