Michaela Marek / Dusan Kovác / Jirí Pesek u.a. (Hgg.): Kultur als Vehikel und als Opponent politischer Absichten. Kulturkontakte zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre (= Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa; Bd. 37), Essen: Klartext 2010, X+ 587 S., ISBN 978-3-8375-0480-4, EUR 49,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Rita Krueger: Czech, German, and Noble. Status and National Identity in Habsburg Bohemia, Oxford: Oxford University Press 2009
Markian Prokopovych: In the Public Eye. The Budapest Opera House, the Audience and the Press, 1884-1918, Wien: Böhlau 2014
Iris Engemann: Die Slowakisierung Bratislavas. Universität, Theater und Kultusgemeinden 1918-1948, Wiesbaden: Harrassowitz 2012
Der aus einer Doppeltagung der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission hervorgegangene Sammelband untersucht das komplexe und vielschichtige Zusammenspiel von Kultur und Politik im Zeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre aus der Perspektive verschiedenster Fachdisziplinen. Dabei wird weder ein normatives Konzept von "Kultur" zugrunde gelegt, noch sollen "Funktionen oder Rollen von Kultur im Dienste bzw. gegenüber der 'Politik'" das einzige Interpretationsmuster vorgeben. Vielmehr will der Band verstanden werden als Versuch, "den Blick für das offene und das latente Zusammenwirken von fachdisziplinär - also künstlich - getrennten Ebenen sozialen Handelns zu schärfen", so Michaela Marek in ihrer Einleitung (14). Die so entstehende große Bandbreite ist dabei trotz des ihr inhärenten Risikos der Beliebigkeit durchaus gewollt und im Hinblick darauf, dass es an nicht-nationalen Kulturgeschichten des hier behandelten multiethnischen Raums empfindlich mangelt, ausgesprochen zu begrüßen.
Der Band gliedert die Texte in mehrere Kapitel, deren Fokus nicht streng, aber doch lose disziplinär bestimmt wird; innerhalb der Kapitel wiederum erfolgt die Reihung grob chronologisch. Diesen Kapiteln sind drei einleitende Texte vorangestellt, in denen auf die Begriffe "Kultur", "Kulturgeschichte" und "Kulturbeziehungen" eingegangen wird und insbesondere Konzept und Ziel der beiden Tagungen sowie des Sammelbandes näher erläutert werden.
Das Kapitel "Kultur als Objekt der Politik" versammelt Beiträge, die sich mit klassischen kulturpolitischen Fragestellungen beschäftigen und dabei vor allem staatliche Stellen als Akteure in den Blick nehmen - alle Texte behandeln den Zeitraum nach 1939. Das folgende Kapitel "Gesellschaftliche Arenen" verdeutlicht die Schwierigkeiten des sehr breiten und offenen Ansatzes des Sammelbandes. Hier finden sich Texte, bei denen der Zusammenhang zwischen Kultur, hier in einem vorwiegend soziologischen Verständnis, und Politik, eher allgemein verstanden als Sphäre der Macht, etwas diffus bleibt - besser gelingt diese Verknüpfung dann doch den Texten in den Kapiteln mit klarer definierten Gegenstandsbereichen. "Politische Interessen in Bildung und Wissenschaft" behandelt sowohl schul- bzw. bildungspolitische Aspekte als auch politisch zu verstehende Aktionen von Akteuren aus Universität und Wissenschaft. Das Kapitel "Medien: Rezeption, Reflexion, Propaganda" zeigt an Beispielen aus Theater, Presse, Kino und Fernsehen, wie diese Medien sich im multinationalen Umfeld positionierten und welcher Beitrag zur Identitätsbildung (sei es in Abgrenzung oder in Annäherung zum jeweils "Anderen") in diesen Medien geleistet wurde. "Literarische Grenzüberschreitungen" untersucht die Literatur und den Literaturbetrieb von Produktions- wie von Rezeptionsseite, und das Kapitel "Bildende Künste als Medium von Politik und Diplomatie" beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten offizieller sowie inoffizieller Kulturkontakte im Bereich der bildenden Künste.
Dass bei 33 Beiträger/inne/n die Qualität der Texte und der Reflexionsgrad der Begriffe und Konzepte nicht durchgängig hochwertig ausfällt, ist wohl kaum zu vermeiden, und dass bei dem gewählten langen Zeitraum und der Anzahl der beteiligten Disziplinen vermutlich nicht jede Leserin und jeden Leser alle Aufsätze gleichermaßen interessieren werden, liegt auch auf der Hand. Doch sind es mitunter gerade die Texte, die einen anderen Zeitabschnitt, eine andere Disziplin oder eine andere Region behandeln als man selbst, deren Lektüre neue Einsichten eröffnen. Die Zusammenstellung verschiedener möglicher Kulturbegriffe, die Länge des behandelten Zeitraums, die unterschiedlich zu fassenden Zusammenhänge zwischen Politik und Kultur (die von den Herausgebern explizit so verstanden werden wollen, dass sie über die Beeinflussung von Kultur durch Politik hinausgehen) sowie die verschiedenen Zugangsweisen der einzelnen Disziplinen böten genug Möglichkeiten für Konfusionen - insgesamt muss aber festgehalten werden, dass hier ein lesenswerter Sammelband vorliegt, der der selbstgestellten Aufgabe, "aufzuspüren, wo, in welcher Weise und mit welcher Wirkungskraft Kultur sei es als Geistesprodukt oder als Praxis politische Relevanz erlangen konnte" (13), durchaus gerecht wird.
Katharina Wessely