Katharina Ulrike Mersch: Soziale Dimensionen visueller Kommunikation in hoch- und spätmittelalterlichen Frauenkommunitäten. Stifte, Chorfrauenstifte und Klöster im Vergleich (= Nova Mediaevalia; Bd. 10), Göttingen: V&R unipress 2012, 514 S., 31 Farbabb., ISBN 978-3-89971-930-7, EUR 70,90
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Interdisziplinäre Forschungsarbeiten, in deren Fokus mittelalterliche Frauenkonvente stehen, sind nur spärlich vorhanden. So ist Katharina Ulrike Mersch zu danken, die dieses Wagnis in ihrer 2009 an der Georg-August-Universität Göttingen eingereichten Dissertation auf sich genommen hat. Darin verbindet Mersch kunsthistorische und historische Methoden zur Erforschung hoch- und spätmittelalterlicher Frauenkommunitäten, der Forderung von Jeffrey F. Hamburger aus dem Jahr 1992 folgend, "dass die Kunst- und Architekturgeschichte von Frauenklöstern nur mithilfe einer Sozialgeschichte der weiblichen Spiritualität geschrieben werden könne. Vice versa käme auch die Sozialgeschichte weiblichen religiösen Lebens nicht ohne kunst- und architekturgeschichtliche Bezüge aus" (11). Bildmedien werden darauf folgend als "wichtige Kommunikationsträger der Klöster" aufgefasst (11).
Um beide Disziplinen zu verbinden, folgt Mersch einem sozial- und mediengeschichtlichen Ansatz: "Die Stifte und Klöster werden im Folgenden als soziale Systeme begriffen, die sich im Austausch mit ihrer Umwelt über Kommunikation konstituieren" (14). Dabei verwendet Mersch einen systemtheoretischen Kommunikationsbegriff nach Niklas Luhmann. Die Kommunikation unterteilt Mersch in Information, Mitteilung und Rezeption [1], als Analyseschema ergibt sich dabei folgendes: 1. die formale, stilistische und ikonographische Untersuchung nach kunsthistorischer Methode, 2. die Erforschung des Entstehungskontexts der Mitteilung und 3. die Rezeption, die Nutzung des entsprechenden Objektes.
Mit der vorgestellten Vorgehensweise will Mersch neue Erkenntnisse über soziale Beziehungen mittelalterlicher Frauengemeinschaften erlangen sowie Prämissen überprüfen: Waren die Konvente durch die Klausur beschränkt und wurde ihnen Kommunikation nur von außen aufgezwungen? War die Ordenszugehörigkeit das bestimmende Element? Um diese Vorannahmen überprüfen zu können, wählt Mersch einen komparativen Ansatz und untersucht Stifte, Chorfrauenstifte [2], Benediktinerinnen, Zisterzienserinnen, Dominikanerinnen- und Klarissenkonvente. Die Kommunitäten werden nach Marc Bloch als geschlossene und selbstreferentielle Sozialsystem (21) aufgefasst. Es handelt sich dabei um örtliche gebundenen Personenverbände, die nach einer gemeinsamen Regel lebten oder leben sollten. "Frauengemeinschaften konstituieren sich als soziale Systeme über - eben auch in Bildern manifest gewordene - Kommunikationsprozesse und orientieren sich dabei an ihrer Umwelt, die auch andere Themen kannte als das der Kontemplation" (21f.). Die Gemeinschaften befanden sich mit ihrer Außenwelt in sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Austausch. Die Austauschpartner konnten die Orden, die Bischöfe, andere Konvente, weltliche Herrscher oder die Herkunftsfamilien der Konventualinnen sein.
Es erwies sich als besonders vielversprechend, Phasen der Krise oder des Wandels zu beachten. Hier folgt Mersch den Beobachtungen von Franz J. Felten und Gert Melville, die Transformationsphasen als besonders ergiebig für die vergleichende Ordensforschung einschätzen, da in solchen Phasen das Klosterleben intensiv reflektiert werde.
Mersch wählt als Untersuchungszeiten die Phase der Reformbewegung des Hochmittelalters, die "Zeit der zunehmenden Bedeutung der monastischen Orden seit dem 13. Jahrhundert" (17) und die Zeit der Reformen des Spätmittelalters. Gefragt wird, ob die Formen und Inhalte visueller Kommunikation mit den Vorstellungen der Reformer oder Visitatoren zum regelkonformen Bildgebrauch übereinstimmten oder welche Vorstellung stattdessen vorherrschten.
Die Arbeit gliedert sich in drei thematische Kapitel, denen eine Einleitung sowie ein Methodenkapitel vor- und ein Ausblick nachgeschaltet wurden. Die thematischen Kapitel III. bis V. untergliedern sich in Kapitel zu einzelnen Kommunitäten, die wiederum nach gleichem Schema aufgebaut wurden um die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Dieses Vorgehen hat sich hinsichtlich der Übersichtlichkeit sehr bewährt. Die Teile zu den einzelnen Kommunitäten sind untergliedert in Thesenbildung, historische Entwicklung der untersuchten Kommunität, Analyse der visuellen Medien und Fazit, wobei Thesenbildung und Fazit jeweils korrespondieren. Diese sehr klare Struktur ermöglicht Mersch eine große Anzahl von Konventen zu behandeln: Die Frauenstifte St. Cosmas und Damian in Essen und St. Severin in Quedlinburg, die Chorfrauenstifte St. Odilia in Hohenburg und St. Maria, Peter und Paul in Heiningen, das Benediktinerinnenkloster Ebsdorf, das Zisterzienserinnenkloster Wienhausen, der Dominikanerinnenkonvent Maria-Meding in Mödingen sowie der Klarissenkonvent St. Klara in Köln. Zudem zieht Mersch immer wieder weitere Konvente zu Präzisierung einzelner Fragestellungen hinzu, wie beispielsweise das Chorfrauenstift Andernach. Die Auswahl der Kommunitäten ist der Überlieferung von Objekten geschuldet, dabei wurde die Datenbank FeMoData (Female Monasticism's Database) als Recherchemedium genutzt.
In den Auswertungskapiteln nutzt Mersch in der Regel ein Hauptobjekt, das ausführlich untersucht wird, weitere Werke werden in die Überlegungen miteinbezogen. In dieser Vorgehensweise liegt eine Stärke der Arbeit, so kann Mersch komparatistisch arbeiten. Besonders hervorzuheben ist, dass Mersch die untersuchten Objekte nicht nur in den Entstehungskontext einordnet, sondern auch deren Verwendung untersucht, etwa in Form von liturgischer Einbindung in Passionsspiele oder Eucharistie. Ebenso erwies sich die Strategie, Transformationsprozesse in Zeiten von Wandel und Reform in den einzelnen Konventen zu untersuchen, als sehr fruchtbar.
Ergebnis der Arbeit ist die Feststellung, dass sich die Frauenstifte mittels visueller Medien in ihrem sozialen Umfeld positionieren. Einfluss auf die Bildinhalte haben dabei die Kanoniker und Orden, aber auch die soziale Herkunft der Konventualinnen, kirchliche Institutionen und Laien. Tradition und Zeitgeist dürfen als Impulsgeber ebenfalls nicht unterschätzt werden. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Grenzen zwischen Frauenkonventen verschiedener Orden fließend sind.
Der einzige Kritikpunkt an der Arbeit besteht darin, dass sich Mersch mit Blick auf die Stofflichkeit der einzelnen untersuchten Objekte sehr stark auf Forschungsergebnisse der Kunsthistoriker verlassen muss. Allerdings kann sie die durch ihr Studium erworbene Expertise zur Kontextualisierung und Ikonographie der Objekte einbringen.
Der von Mersch eingeschlagene Weg hat zu erstaunlichen Ergebnissen geführt, welche die Forschung zu mittelalterlichen Frauenkommunitäten sehr vorantreiben werden: Einmal mehr muss hinterfragt werden, ob die Ordenszugehörigkeit das bestimmende Moment im Leben von Nonnen und Kanonissen war.
Anmerkungen:
[1] Mersch vermeidet bewusst den Begriff des "Verstehens", der bereits von der Hermeneutik besetzt wurde.
[2] Mersch versteht darunter Stifte, die im 12. Jahrhundert reformiert wurden oder in Folge im Geiste der Reform gegründet worden sind.
Julia Bruch