Rezension über:

Michel Soëtard: Jean-Jacques Rousseau. Leben und Werk (= C.H. Beck Wissen; 2734), München: C.H.Beck 2012, 128 S., 10 Abb., ISBN 978-3-406-63197-9, EUR 8,95
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Rezension von:
Helmut Reinalter
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Helmut Reinalter: Rezension von: Michel Soëtard: Jean-Jacques Rousseau. Leben und Werk, München: C.H.Beck 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1 [15.01.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/01/21197.html


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Michel Soëtard: Jean-Jacques Rousseau

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Jean-Jacques Rousseau zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten politischen Philosophen des 18. Jahrhunderts. In einem komprimierten Überblick versucht Michel Soëtard, den französischen Aufklärer unter besonderer Berücksichtigung seines Lebens und Werkes darzustellen. In der Biographie Rousseaus zeigen sich viele Widersprüche seiner Zeit, die auch sein Denken und Handeln betrafen. Sein Werk ist zu einer wichtigen Quelle von intellektuellen Auseinandersetzungen, ja sogar zu einer Art Gratwanderung zwischen Aufklärung und Romantik, zwischen Genfer Demokratie und Pariser Monarchie geworden.

Rousseaus Biographie kann, wie der Verfasser zeigt, von seinem Werk nicht getrennt werden. Leben und Werk bilden bei ihm eine Einheit, was der Autor auch gut herausgearbeitet hat. Diese Erkenntnis bestimmt die Gliederung des vorliegenden Essays: Leben - Werk - Denken. Methodisch ist diese Vorgehensweise schwierig darzustellen und in der Interpretation und Systematisierung nicht einfach zu ordnen. Viele Paradoxien durchziehen nicht nur Rousseaus Leben, sondern auch sein Denken und Werk. Im Erziehungsroman Emile verkündet er in diesem Zusammenhang: "Ich ziehe vor, eher ein Mensch von Paradoxen als ein Mensch von Vorurteilen zu sein" (Einleitung, 7). Unter diesen Vorurteilen verstand er weitgehend die Widersprüche und Brüche seines Jahrhunderts.

Soëtard meint, dass die Idee der Erziehung genau jene Brücke darstelle, mit deren Hilfe der Abgrund der Widersprüche überwunden werden könne. Im Emile und auch im Gesellschaftsvertrag existieren bei Rousseau die "natürlichen" und die "bürgerlichen Menschen" nebeneinander, sowie darüber hinaus auch das "Glaubensbekenntnis" neben der "bürgerlichen Religion" und das "Herz" neben dem "Verstand". Daraus ergibt sich für den Verfasser eine interessante Interpretation des Erziehungsromans Emile, der primär kein Traktat über die Erziehung war, sondern eine Abhandlung über "die ursprüngliche Güte des Menschen". Der Emile stellt für Rousseau die Möglichkeit dar, Wegweiser dafür zu sein, wie man durch geeignete Erziehungsmethoden die Humanität erneuern könne. So mancher Autor hat daher von Parallelisierungen des Lebens und der Schriften Rousseaus bewusst Abstand genommen. Rousseau hat aber selbst deutliche Hinweise auf die innere Struktur seines Werkes gegeben, wie Soëtard betont: "Die beiden ersten Diskurse gelten der déconstruction der alten Welt, Emile oder Über die Erziehung wird zum Projekt, um eine neue Welt aufzubauen" (8).

Diese Feststellungen gelten auch für Rousseaus weitere Schriften, insbesondere den "Contrat social". Dabei werden zwei zentrale Stränge der politischen Philosophie bei Rousseau miteinander verknüpft: einerseits die Unveräußerlichkeit der politischen Rechte, die Volkssouveränität, andererseits die Forderung, dass die Volksherrschaft von der volonté générale, dem Gemeinwillen und der Einsicht in das "gemeinsame Gute", getragen werde. Im Staat des Gesellschaftsvertrags bedarf die Vernunft, um Gesetz zu werden, der Zustimmung aller. In der Ablehnung einer theokratischen Staatskonzeption liegt höchstwahrscheinlich das Ziel des "Gesellschaftsvertrags".

Bemerkenswert ist im vorliegenden Buch auch der Epilog des Verfassers, in dem der Versuch unternommen wird, den widersprüchlichen Philosophen Rousseau aus der "Sackgasse" einseitiger Interpretationen herauszuführen und ihn in seinen Paradoxien zu belassen. Nur so könne man seine Bedeutung für das abendländische Denken annähernd ermessen und beurteilen. Dies ist deshalb wichtig, weil das Subjekt Rousseau viel Zustimmung, aber auch Ablehnung erhalten hat. Nur wenige Schriftsteller haben - wie er - Klatsch, Verleumdungen, Anfeindungen und Hass auf sich gezogen, und Voltaire hat ihn sogar als "Prügelknaben" instrumentalisiert.

Helmut Reinalter