Rezension über:

Ralph J. Hexter / David Townsend (eds.): The Oxford Handbook of Medieval Latin Literature, Oxford: Oxford University Press 2012, XIX + 636 S., ISBN 978-0-19-539401-6, GBP 95,00
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Rezension von:
Julia Knödler
Bayerische Staatsbibliothek, München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Julia Knödler: Rezension von: Ralph J. Hexter / David Townsend (eds.): The Oxford Handbook of Medieval Latin Literature, Oxford: Oxford University Press 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1 [15.01.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/01/21322.html


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Ralph J. Hexter / David Townsend (eds.): The Oxford Handbook of Medieval Latin Literature

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Die Reihe der "Oxford Handbooks" hat sich zum Ziel gesetzt, einen "State of the Art"-Überblick über einzelne Fachgebiete oder Themenkomplexe zu präsentieren, der Wissenschaftler wie auch fortgeschrittene Studierende ansprechen und dabei sowohl Ein- als auch Weiterführendes anbieten soll. Um die Erwartungen, die üblicherweise an ein Handbuch gestellt werden, nicht zu enttäuschen, weisen die Herausgeber bereits im Vorwort darauf hin, nicht feste Antworten auf aktuelle Forschungsfragen geben zu wollen, sondern die Forschungsfragen selbst in ihrer Offenheit ins Zentrum der Untersuchung zu stellen (xi). Der Band soll ausdrücklich in Ergänzung zu der von F. A. C. Mantello und A. G. Rigg 1996 herausgegebenen Einführung in das Fach Mittellatein benutzt werden (xiv) [1].

Das Handbuch enthält auf sieben Kapitel verteilt 28 Beiträge von ausgewiesenen Fachvertretern und Nachwuchswissenschaftlern: Nach einem einführenden Teil der beiden Herausgeber folgen die Gruppen "Latinity as Cultural Capital", "Manuscript Culture and the Materiality of Latin Texts", "Styles and Genres", "Systems of Knowlegde", "Medieval Latin and the Fashioning of the Self" und "Periodizations". Die Einzelbeiträge ähneln sich in ihrem Aufbau: Sie beginnen mit allgemeinen Bemerkungen, exemplifizieren diese anhand ausgewählter Beispiele und enden immer mit Hinweisen zu weiterführender Literatur sowie einer Auswahlbibliographie zum vorgestellten Thema. Lateinische Zitate werden durchweg ins Englische übersetzt, so dass auch Nicht-Philologen leichten Zugang zu den Texten finden, und es ist demgemäß sicher kein Zufall, dass der letzte Beitrag des Handbuchs mit einem Plädoyer Jan M. Ziolkowskis für die Etablierung neuer bzw. Fortführung bestehender Übersetzungsreihen endet, welche mittellateinische Texte einem größeren Lesepublikum erschließen (607-609).

Die Essays repräsentieren mit wenigen Ausnahmen die englischsprachige, vor allem die nordamerikanische Forschung, deren Vertreter - wie Townsend in seinem einführenden Beitrag zu "current questions and future prospects of medieval latin studies" beklagt (5) - häufig ein Außenseiterdasein fristen, da das Fach "Mittellatein" in den amerikanischen Universitäten in der Regel größeren Fachbereichen wie Englisch, Geschichte, Religionswissenschaft oder Altphilologie zugeordnet ist. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, wenn die Beschäftigung mit mittellateinischer Sprache und Literatur von den Herausgebern mit dem Hinweis auf gewisse Parallelitäten zur Funktion des modernen Englischen als Weltsprache gerechtfertigt wird (xii) und es in mehreren Beiträgen um Latein als Zweit- und Übersetzungssprache sowie um das Verhältnis zwischen Latein und den Volkssprachen geht.

Unter bildungsgeschichtlicher Perspektive lesenswert sind in erster Linie die Beiträge aus dem dritten Kapitel: Andrew Taylor mit "Readers and Manuscripts", Rita Copeland mit "Gloss and Commentary" und Ralph J. Hexter mit "Location, Location, Location: Geography, Knowledge, and the Creation of Medieval Latin Textual Communities". Aus dem fünften Kapitel dürfte der Aufsatz von Andrew Hicks zu "Martianus Capella and the Liberal Arts" und aus dem sechsten Kapitel der Beitrag Mia Münster-Swendsens zu "Regimens of Schooling" von besonderem Interesse sein.

Andrew Taylor untersucht Lesegewohnheiten und deren Wandel - beispielsweise geht er der Frage nach, ob und wie laut oder leise gelesen wurde - und erläutert die Zusammenhänge von Lesepraxis, Buchproduktion und Layout von Büchern. Wurden im frühen Mittelalter Bücher noch vollständig gelesen, setzte sich mit der Scholastik und den neuen wissenschaftlichen Methoden des ausgehenden Hochmittelalters die Technik des Querlesens und des ausschnittsweisen Lesens durch. Zu den "professional readers" dieser Zeit zählt er auch Spezialisten, die bibliothekarische Aufgaben übernehmen, Bücherlisten und -kataloge erstellen sowie Register und Verweissysteme innerhalb von Handschriften anlegen.

Rita Copeland geht es um die Standardisierung wissenschaftlicher Kommentierung, die seit dem 13. Jahrhundert im universitären Umfeld zu konstatieren ist; am Beispiel der Glossierung von Statius' Thebais untersucht sie diesen Prozess genauer.

Hinter Hexters Titel, eingeleitet mit der idiomatischen Wendung "Location, Location, Location", verbirgt sich ein Beitrag, der die Formen der Überlieferung und Bearbeitung vor allem antiker Texte behandelt. Bücher sind in Hexters Augen auch Produkte einer bestimmten "location"; seiner Ansicht nach befördern die spezifischen Bedingungen einer solchen "location" Prozesse wie die Entstehung der Karolingischen Minuskel. Dass bei so viel terminologischer Innovation einmal ein paar Kleinigkeiten durcheinandergeraten - der in der Paläographie unter der Bezeichnung "a-b-Typ" firmierende Schriftstil wurde nicht im Skriptorium von Luxeuil, sondern in Corbie entwickelt -, muss wohl verziehen werden.

Andrew Hicks beschreibt in seinem Essay nicht nur, wie Martianus Capella im mittelalterlichen Schulbetrieb rezipiert wurde, sondern zeigt auch anhand der Edition eines bislang ungedrucken Kommentars, wie ein mittelalterlicher Accessus aufgebaut ist und wie Wissen systematisiert wurde.

Wie wenig wir darüber wissen, wie im Mittelalter der Unterricht an Schule und Universität im Einzelnen gestaltet war, thematisiert Mia Münster-Swendsen, die ihre Ausführungen in erster Linie auf Quellen wie das Metalogicon des Johannes von Salisbury und die Casus Sancti Galli Ekkehards von St. Gallen stützt. Hier sei angemerkt, dass die Analyse von Schulhandschriften zusätzliche Erkenntnisse bringen kann, wie die germanistische Forschung bereits - auch an mittellateinischen Texten - nachweisen konnte [2].

Insgesamt bietet das Handbuch eine Fülle anregender Beiträge für Mediävisten aller Fachrichtungen. Bedauerlich ist allerdings, dass auf Abbildungen vollständig verzichtet werden musste, so dass die Beiträge mit paläographischen und kodikologischen Hinweisen gerade für Nicht-Spezialisten vermutlich zu abstrakt bleiben.


Anmerkungen:

[1] F. A. C. Mantello / A. G. Rigg: Medieval Latin. An introduction and bibliographical guide, Washington 1996.

[2] Zu nennen wären hier beispielsweise die Arbeiten von Henkel, Nikolaus: Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte. Ihre Verbreitung und Funktion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1988 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 90) und Baldzuhn, Michael: Schulbücher im Trivium des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, 2 Bde., Berlin, New York 2009 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 44).

Julia Knödler