Andrew B. Gallia: Remembering the Roman Republic. Culture, Politics and History under the Principate, Cambridge: Cambridge University Press 2012, XIV + 320 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-1-107-01260-8, GBP 60,00
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Dass die Gleichzeitigkeit von Monarchie und Republik im römischen Principat zu zahlreichen Paradoxien führte, ist ein bekanntes Problem, mit dem nicht nur die moderne Forschung, sondern auch die antiken Akteure zu kämpfen hatten [1]. Die Frage, wie die Erinnerung an die Republik in der Kaiserzeit ausgestaltet wurde, liegt daher eigentlich auf der Hand und es ist einigermaßen erstaunlich, dass trotz des in den letzten Jahren stark gewachsenen Interesses an Erinnerungskulturen in Rom [2] dieses Thema bislang vergleichsweise wenig behandelt wurde. Zwar liegt mit dem Buch von Alain Gowing ein anregender Überblick vor [3], doch vertiefte Detailuntersuchungen fehlen. Genau diese Lücke füllt die Monographie von Andrew Gallia: In sechs Fallstudien zeichnet er nach, wie Erinnerungen an die Republik in der bewegten Zeit zwischen Neros Sturz und dem Principat Traians in verschiedenen Kontexten und Medien ausgehandelt wurden.
In einer knappen Einleitung (1-11) werden die methodischen Grundlagen umrissen. Die unterschiedlichen Konzeptionen von kollektivem, sozialem und kulturellem Gedächtnis werden kurz gestreift, doch auf eine vertiefte Debatte wird verzichtet. Gallia selbst sieht Erinnern nicht als statische Repräsentation der Vergangenheit, sondern als soziale Praxis. Dieser Ansatz ist insofern fruchtbar, als das Bild von der Republik in der Kaiserzeit keineswegs kanonisch war, sondern zwei gegensätzliche Modi des Erinnerns existierten: Entweder man sah die Republik in einer Kontinuität zur eigenen Zeit oder aber als untergegangene Epoche in Opposition zur monarchischen Gegenwart. Die Erinnerung an die Republik war daher in einem steten Aushandlungsprozess begriffen und nicht ohne weiteres von einzelnen Akteuren zu kontrollieren und umzudeuten. Die Studie untersucht somit nicht nur Erinnerungskulturen, sondern auch die Frage, in welchem Ausmaß sich in einer Kultur ohne Massenmedien Erinnerungen kontrollieren lassen. Gallia geht dabei von einzelnen Fallstudien aus und zeichnet die Bedeutungsangebote nach, die Erinnerungen relevant werden ließen und auf die einzelne Akteure rekurrieren konnten. Dabei werden verschiedenste Quellengattungen in Zusammenhang mit sozialen Praktiken gestellt und ein dichtes Netz möglicher, oft ambivalenter Erinnerungsmodi und Sinngebungen rekonstruiert.
Den Auftakt bildet die Verwendung des libertas-Begriffs nach dem Sturz Neros (12-46). Gallia wehrt sich gegen die vereinfachende Deutung, dies knüpfe an eine augusteische (und damit monarchische) Konzeption von libertas an, und argumentiert überzeugend, dass Galba und seine Anhänger durchaus auf eine republikanische, explizit antityrannische libertas rekurrierten. Eine Konzeption von libertas zu kreieren, die republikanische Erinnerungen ausblendete, war nicht möglich, wohl aber, diese libertas primär als moralische Geisteshaltung aufzufassen, die dann keinen direkten Widerspruch zur politischen Ordnung des Principats darstellte. Im zweiten Kapitel (47-85) wird der Wiederaufbau des Juppiter-Tempels auf dem Kapitol durch Vespasian untersucht. Für den Kaiser war dies ein heikles Unterfangen, da der Tempel als republikanischer Erinnerungsort par excellence Assoziationen weckte, die ein Princeps eher vermeiden wollte, gleichzeitig jedoch als Sinnbild von Roms expansiver imperialer Tradition dem erfolgreichen Militär Vespasian positive Anknüpfungspunkte bot. Dass sich republikanische Erinnerungen der Kontrolle des Princeps auch entziehen konnten, zeigt das dritte Kapitel (86-127): Domitians exemplarische Bestrafung der Vestalin Cornelia bezieht sich zwar auf republikanische Vorbilder, wurde aber zu einem exemplum seiner Grausamkeit, nicht zuletzt weil die verurteilte Vestalin ihrerseits auf gegenläufige Traditionsstränge rekurrieren konnte. Im Kapitel "Persuasion" (128-177) widmet sich Gallia dem Dialogus des Tacitus und der Frage, wie sich die Wertschätzung von eloquentia vor dem Hintergrund der durch Delatoren geprägten Praxis der Kaiserzeit veränderte und wie dies den Blick auf die Zeit der Republik beeinflusste. Wie die Aristokratie sich in ihrer literarischen Produktion an die Vergangenheit erinnerte, untersucht das Kapitel "Inscription" (178-216), wo mit Silius Italicus und Frontinus zwei scheinbar sehr unterschiedliche Autoren analysiert werden, die aber gewisse Ähnlichkeiten aufweisen: Beide erweitern die Erinnerung über die römische Republik hinaus und beziehen die griechische Kultur mit ein, und bei beiden stehen moralische beziehungsweise praktische Lehren, nicht aber das politische System im Vordergrund. Den Abschluss bildet eine glänzende Studie zu Traians Restitutionsmünzen (217-247), in der Gallia die verschiedenen Probleme dieser Prägungen auslotet und überzeugend zeigt, wie über Beischriften und Ikonographie eine Kontinuität zu republikanischen exempla konstruiert wird mit dem optimus princeps als alles übertreffendes exemplum der Gegenwart. Ein kurzes Fazit (248-253), zwei Appendices (mit Plin. epist. 4,11 und einem Katalog der Restitutionsmünzen), eine umfangreiche Bibliographie und ein Index runden diesen gelungenen Band ab.
Gallias Monographie ist eine überaus anregende Lektüre mit vielen treffenden Einzelbeobachtungen. Jede der sechs Studien kann für sich allein stehen und bietet eine beeindruckende Materialfülle und eine fundierte Auseinandersetzung mit der Forschung. Was den Band als Ganzes betrifft, so bleibt jedoch letztlich ziemlich unscharf, was nun genau diese res publica ist, um deren Erinnerung gerungen wird - der Blick auf den libertas-Begriff, auf Erinnerungsorte, Vorstellungen von eloquentia etc. strapaziert teilweise die Geschlossenheit der Argumentation. Gallia ist sich dieses Problems durchaus bewusst und man muss darin auch keine Schwäche des Buches sehen: Dass die Erinnerungen an die res publica komplex, widersprüchlich und fragmentiert waren, liegt nicht an Gallia, sondern an der römischen Praxis des Erinnerns, und genau dies nachvollzogen zu haben ist das große Verdienst seiner Studie.
Anmerkungen:
[1] Erinnert sei hier lediglich an Richard Klein (Hg.): Prinzipat und Freiheit (Wege der Forschung; Bd. 135), Darmstadt 1969; die paradoxe Grundstruktur des Principats als Schlüssel zu dessen Verständnis betont in neuerer Zeit vor allem Aloys Winterling: Politics and Society in Imperial Rome, Malden u.a. 2009.
[2] Zu nennen wären hier unter anderem Uwe Walter: Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom (Studien zur Alten Geschichte; Bd. 1), Berlin 2004; Elke Stein-Hölkeskamp / Karl-Joachim Hölkeskamp (Hgg.): Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt, München 2006 sowie die Arbeiten von Matthew B. Roller (unter anderem: The Exemplary Past in Roman Historiography and Culture, in: Andrew Feldherr (ed.): The Cambridge Companion to the Roman Historians , Cambridge 2009, 214-230 oder Demolished Houses, Monumentality, and Memory in Roman Culture, in: Classical Antiquity 29, 2010, 117-180).
[3] Alain M. Gowing: Empire and Memory. The Representation of the Roman Republic in Imperial Culture, Cambridge u.a. 2005. Das Buch behandelt einen deutlich längeren Zeitraum (Tiberius bis Traian) als der hier zu besprechende Band und fokussiert, mit Ausnahme eines Kapitels zu den Kaiserforen, primär auf die literarische Überlieferung.
Jan Meister