Rezension über:

Stefan Heid (Hg.): Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte, Freiburg: Herder 2011, 551 S., ISBN 978-3-451-30705-8, EUR 98,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Holger Hammerich
Institut für Kirchen- und Dogmengeschichte, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Holger Hammerich: Rezension von: Stefan Heid (Hg.): Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte, Freiburg: Herder 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/22682.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Stefan Heid (Hg.): Petrus und Paulus in Rom

Textgröße: A A A

Waren Petrus und Paulus in Rom, und haben sie dort das Martyrium erlitten? Die Beschäftigung der Forschung mit dieser Frage erfolgt in Wellenbewegungen. Bis zur Jahrtausendwende herrschte eine relative Ruhe, wie der einleitende Forschungsbericht von Ernst Dassmann (13-31) feststellt (26). Die dann allmählich einsetzende Flut der Beiträge erreicht einen Höhepunkt mit der Untersuchung von Otto Zwierlein, Petrus in Rom, Berlin 2009, 2. Auflage 2010. Er bestreitet auf Grund der literarischen Zeugnisse, dass die beiden Apostel überhaupt in Rom waren und dort zu Märtyrern geworden sind. Mit dieser These setzten sich zwei Tagungen der Görres-Gesellschaft in Rom und in Freiburg 2010 auseinander. Die Beiträge sind in dem vorliegenden Band dokumentiert, teilweise auch von den Autoren weiter geführt worden.

Es spricht für das Klima der Debatte, dass unter den 23 Beiträgen auch Otto Zwierlein selbst noch einmal zu Worte kommt (444-467). Doch es geht um mehr als eine Auseinandersetzung mit Zwierlein. Es liegt vielmehr eine umfassende Befassung mit dem Thema vor.

Zwierlein hatte sich fast nur auf literarische Belege gestützt. In dem Kongressband wird das archäologische Material umfassend aufgearbeitet. Winfried Weber stellt den Verlauf der Grabungen unter dem Petersdom dar und äußert sich kritisch zu einigen Rückschlüssen der Ausgräber (67-113). Harald Mielsch zieht aus der Umgebung des vermuteten Petrusgrabes Folgerungen für das Petrusgrab selbst: Seine archäologisch fassbare Geschichte beginnt erst um 160-180 mit der Errichtung der Memoria (383-404). Caterina Papi zeigt an einem Graffito, dass die konstantinische Bauhütte überzeugt war, über dem Petrusgrab ihre Basilika zu errichten (114-125). Hugo Brandenburg führt dann archäologische und literarische Zeugnisse zusammen (351-382).

Natürlich setzen sich mehrere Beiträge mit den zentralen Belegen Zwierleins auseinander: mit der Frage, ob der Name Babylon im 1. Petrus 5,13 auf Rom zu beziehen ist, mit der Erwähnung der beiden Apostel im 1. Clemensbrief 5 und den apokryphen Apostelakten. Exemplarisch sei hier die Frage herausgegriffen, wie es zu erklären ist, dass die Apostelgeschichte den Tod des Paulus nicht berichtet. Rainer Riesner sieht in der Abschiedsrede in Milet Apostelgeschichte 20 den Tod des Apostels vorausgesagt. Gegen die Datierung Zwierleins setzt Riesner eine extreme Frühdatierung. Dafür beruft er sich auf angelsächsische Autoren (153-179). Auf festeren Grund gelangt man mit Wilhelm Blümer. Er schließt aus der Textüberlieferung, dass die Apostelgeschichte deutlich vor 110 entstanden sein muss (405-421). Raban von Haehling vermutet vorsichtig, dass das Schweigen dem "politischen Kalkül der frühen Christen" geschuldet ist, die ihre Loyalität gegenüber dem römischen Staat erweisen wollen (538-547). Diese Vermutung hätte sich noch erhärten lassen mit einem Hinweis auf die Tendenz des Lukas, der sowohl im Evangelium als auch der Apostelgeschichte die Tendenz erkennen lässt, die Römer zu entlasten. Aber wahrscheinlich

liefert Horacio E. Lona mit einer beiläufigen Bemerkung die überzeugendste Erklärung: Nach dem literarischen Plan der Apostelgeschichte will sie eine Geschichte der Ausbreitung des Evangeliums von Jerusalem nach Rom sein (224) und keine Biographie des Paulus. Diese in der neutestamentlichen Exegese übliche Interpretation, die sich auf 1,8 stützt, kann aber durch die Vermutung von Haehlings durchaus bereichert und gestützt werden.

Im Übrigen geht Horacio E. Lona in seinem Beitrag zum 1. Clemensbrief (221-246) detailliert den angeblichen "Filiationen" des Briefes vor allem aus der Apostelgeschichte nach und widerlegt sie Stück für Stück. Gemeint sind damit angebliche Zitate aus früheren Schriften, mit denen Zwierlein die Spätdatierung des 1. Clemensbriefes auf circa 120 begründen will.

Fast alle Autoren (von den nur zwei Autorinnen ist eine erwähnt) haben unter der Einschränkung zu leiden, dass die Quellen für die entscheidende Anfangszeit ausgesprochen spärlich fließen. Deshalb liegt ein Schwerpunkt vieler Beiträge auf der Gedächtnis- oder Erinnerungskultur. Beide Ausdrücke finden sich. Der Herausgeber Stefan Heid will aus dem Römerbrief des Ignatius schließen, dass es schon zu dieser Zeit Märtyrergräber des Petrus und des Paulus in Rom mit einer liturgischen Verehrung gab (283-308). Ignatius will ja von den Bestien in der Arena gefressen werden und lehnt ein Begräbnis und damit ein Grabmal ab. Die Römer wollen das öffentliche Aufsehen durch einen so spektakulären Märtyrertod in der Arena vermeiden, das zu unkontrollierten Reaktionen der aufgebrachten Menge führen könnte. Stattdessen bieten sie dem Bischof von Antiochien ein Grabmal und ein Totengedächtnis wie für die beiden Apostel. Es würde bedeuten, dass es schon vor Polykarp von Smyrna circa 165 einen Märtyrerkult in Rom gab. Das alles sind Rückschlüsse aus dem Römerbrief, möglich aber nicht zwingend. Die entscheidende Voraussetzung für diese These ist die Annahme eines lebhaften Botenverkehrs zwischen Ignatius und Rom (285). Aber nach der entscheidenden Belegstelle 10,2 handelt es sich nicht um Boten, sondern um andere Märtyrer aus dem Osten, die Ignatius vorausgegangen sind. Man kann also durchaus bezweifeln, dass es schon eine Verehrung an den Grabstätten des Petrus und des Paulus gab, wie Stefan Heid annimmt gegen die bisherige Datierung, die einen Märtyrerkult erst mit Polykarp ansetzt.

Dagegen geht Walter Ameling von dem Zufallscharakter der frühen Überlieferung aus. Er rechnet mit einer langen Anfangszeit lediglich mündlicher Erinnerung (468-491). Die schriftliche Überlieferung ist durch Zufälle bestimmt und steht hinter der noch lebendigen Erfahrung deutlich zurück. Ein Märtyrerkult kommt in Rom erst später als in anderen Gemeinden im 3. Jahrhundert auf (484). Erst mit der zunehmenden Intellektualisierung der Gemeinde beginnen schriftliche Äußerungen eine Rolle zu spielen. So entstehen Petruserzählungen.

Unter Erinnerungskultur im weiteren Sinne lässt sich auch der Beitrag von Christian Gnilka einreihen (247-282). Er bezieht sich in einer entscheidenden Passage auf das Echo bei Tertullian. Aus der Schrift Scorpiacae 15,3 schließt Gnilka, dass Tertullian auf die Akten zum

Prozess des Petrus und des Paulus verweist. Sie sollen ohne Schwierigkeiten im Staatsarchiv einzusehen sein. Sehr plastisch stellt Gnilka es sich so vor, dass der erfolgreiche Anwalt Tertullian einen einflussreichen Freund ins Staatsarchiv schickt und so "die gewünschte Information" erhält (254). Selbst wenn man einmal davon absieht, dass schon Timothy Barnes sowohl den Romaufenthalt als auch die Tätigkeit als Anwalt in Frage stellt, malt sich diese "Hypothese" die Verhältnisse zu einfach aus. Nach Walter Ameling widerspricht diese Interpretation "allem, was wir von antiken Archiven wissen" (485).

Schwer einzuordnen ist die anregende Untersuchung von Tassilo Schmitt über die Christenverfolgung unter Nero (517-537). Nach Schmitts Analyse ist die Verbindung vom Brand Roms und der Christenverfolgung unter Nero erst nachträglich von Tacitus konstruiert worden.

Für die Debatte um Petrus und Paulus in Rom stellt Ernst Dassmann in seinem Forschungsüberblick zur Zeit ein Patt zwischen Gegnern und Befürwortern fest. Dassmann rechnet kaum damit, dass der Kongress diesen Zustand "nachhaltig" überwinden können wird (30f). Seine skeptische Erwartung hat sich nachträglich bestätigt. Man wird auf die Anfangsfrage, ob Petrus und Paulus in Rom waren und dort das Martyrium erlitten haben, nur antworten können: Es gibt keine vernünftigen Gründe, die Anwesenheit und das Martyrium der beiden Apostel zu leugnen. Man kann diese Behauptung aber auch nicht zwingend widerlegen. Eine ähnliche Antwort haben schon Lietzmann und Dinkler gegeben.

Auch nach den neuen archäologischen Funden, die Lietzmann noch nicht kannte, verbietet die Quellenlage ein weitergehendes Urteil. Die umfangreiche Bestandaufnahme, die dieser Kongressband geleistet hat, stellt dieses Urteil nun auf eine neue Grundlage. Sie ist facettenreich und keineswegs einseitig. Man wird sich in Zukunft kaum solide mit dem Thema auseinandersetzen können, ohne das vorliegende Werk heranzuziehen.

Holger Hammerich