Dorothea Wendebourg (Hg.): Sister Reformations. The Reformation in Germany and in England. Symposium of the 450th Anniversary of the Elizabethan Settlement, 23--26. September 2009, Tübingen: Mohr Siebeck 2010, XIV + 355 S., ISBN 978-3-16-150596-6, EUR 94,00
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Zwischen Intimfreundschaft und 'Zickenkrieg' - das soziale Nahverhältnis der Schwesternschaft hat viele Facetten. Welchen Gewinn bringt die sororiale Semantik für die Analyse zweier kirchlich-religiöser Reformprozesse des 16. Jahrhunderts in unterschiedlichen kulturellen und politischen Räumen - genauer gesagt: im Königreich England und im Reich? Die äußerst knappe Einleitung zum angezeigten Tagungsband beschränkt sich darauf, den chic klingenden Titel im Sinne einer verbindenden "Fragebewegung" (VIII) zu deuten. Versammelt sind sowohl Fallstudien zur englischen Reformationsgeschichte als auch - teilweise vergleichend angelegte - Forschungsüberblicke.
Die Themenwahl fokussiert stark auf die Beziehungen zwischen der von Wittenberg ausgehenden lutherischen Reformation und England. Carl R. Trueman resümiert die englische Lutherrezeption in der Frühphase, vor allem bei Tyndale und Barnes. Tyndales erasmianische Bibelhermeneutik setzte dem Verständnis von Luthers Dialektik Grenzen und führte schließlich zu einem stärkeren Interesse an der Zürcher Bundestheologie. Rory McEntegarts 'reassessment' der Beziehungen zwischen Heinrich VIII. und den deutschen Lutheranern ist ein solides Resümee des Forschungsstandes. [1] McEntegart betont, wie ernsthaft sich der junge Heinrich mit Luthers Theologie auseinandersetzte und dass später, 1535 und 1538, eine Verständigung der englischen Unterhändler mit den Schmalkaldenern durchaus möglich schien. Schließlich hielten letztere aber starr an ihrer Ablehnung von Kelchentzug, Privatmesse, Mönchsgelübde, Zölibat und verpflichtender Ohrenbeichte fest; Heinrich reagierte mit den antievangelischen Sechs Artikeln von 1539. McEntegart folgert, das Interesse des Königs an lutherischer Theologie habe den religiösen Diskurs im Fluss gehalten und eine religionspolitische Tradition begründet, die auf die Vermeidung einseitiger bekenntnismäßiger Festlegungen zielte (52). Damit ist die theologische Komponente einer politisch-diplomatischen Zweckbeziehung vielleicht etwas überbewertet.
Der materialreiche Aufsatz Dorothea Wendebourgs zum Thema "Die deutschen [das heißt: lutherischen] Reformatoren und England" überschneidet sich teilweise mit McEntegart. Wichtig ist Wendebourgs Erinnerung daran, dass Heinrichs Kirchenreform durch den initialen Bruch mit Rom von einer ganz anderen Ausgangsstellung herkam als diejenige im Reich (90). Abschließend verweist sie auf Bucer, der beharrlicher als die Wittenberger seine Hoffnung auf eine Verständigung mit den Engländern setzte. Dass Thomas Cranmer sich bei seinen kirchlich-liturgischen Reformen am "Measured Approach" des Straßburger Reformators orientierte, diesen aber rasch in der Abendmahlsfrage theologisch links überholte (163), zeigt N. Scott Amos' interessanter Beitrag. Während seines Englandaufenthalts fühlte sich Bucer freilich bald isoliert, seine theologisch in Zürich sozialisierten englischen Gegner waren unter Cranmer die Stichwortgeber bei Hof. Doch Amos argumentiert überzeugend, dass Bucer über seinen Cambridger Freundeskreis nach 1559 indirekt großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Elizabethan Settlement erhielt.
Andere Aufsätze spiegeln noch deutlicher den inzwischen längst maßgeblichen Schwenk des Forschungsinteresses auf die oberdeutsch-reformierte Prägung des Anglikanismus spätestens seit der edwardianischen Reformation wider. [2] So Diarmaid MacCulloch, der auf drei Konfliktfelder zwischen englischen und Wittenberger Reformatoren hinweist, die sich bereits in den 1520er Jahren abzeichneten: die schärfere Betonung der ethischen Komponente des alttestamentlichen Gesetzes, der Abscheu vor Bildern und Heiligenverehrung sowie die Skepsis gegenüber Luthers substantialistischer Abendmahlslehre. Unter Cromwell und Cranmer und zuletzt während des marianischen Exils der englischen Theologen schwang das Pendel endgültig hinüber - nicht, wie MacCulloch selbstkritisch gegenüber der etwas älteren Forschung bemerkt, zur engen Adaption Calvins, sondern zum internationalen Reformiertentum mit Vermigli und Bullinger als weiteren Leitfiguren und einer selbst definierten theologischen Agenda. Diese war thematisch schmaler und basierte deutlich weniger auf eigenständiger Bibelexegese als die der Wittenberger. Eine Illustration dieser These bietet Ashley Nulls Studie über die theologischen Verständigungsprobleme zwischen Cranmer und seinen lutherischen Gewährsleuten im Reich in Heinrichs Scheidungsangelegenheit: Angetan, aber schließlich überfordert von Luthers Absolutierung der Schriftautorität und dessen Folgerung evangelischer Freiheit wandte Cranmer sich den Oberdeutschen zu, deren biblische Theologie seinem humanistischen Verlangen nach berechenbaren sittlichen Folgen der Rechtfertigung des Sünders eher entsprach (149). Alec Ryrie, der vor zehn Jahren das Absterben lutherischer Theologie in England auf die 1540er Jahre datiert hat, erklärt in einem anregenden Beitrag und mit einer Fülle neuen Materials, inwiefern Luther im englischen Diskurs immerhin bis weit ins 17. Jahrhundert ein durchaus respektables Nachleben als religiöse Heldengestalt erhielt. Damit verband sich die Invektive gegen seine orthodoxen Nachfolger, die man de facto kaum las, deren Ubiquitätslehre man aber als 'pseudo-lutherisch' abqualifizierte. Luthers Kreuzestheologie und seine Vorstellung, Kennzeichen der wahren Kirche sei die Verfolgungssituation, blieben demgegenüber bei manchen anglikanischen Theologen populär.
Insgesamt bleibt die Lektüre abwechslungsreich, abgeklärte Interpretation wechselt mit engagierter Neueinsicht. Einmal mehr werden die Unterschiede im historiographischen Stil bzw. die Beharrlichkeit "verschiedene[r] reformationsgeschichtliche[r] Wissenschaftskulturen" (VIII) diesseits und jenseits des Kanals deutlich. Wo Martin Ohst und Thomas Kaufmann solide und erschöpfende Vergleiche zwischen deutscher und englischer Martyriumsdeutung bzw. zwischen Elizabethan Settlement und Augsburger Religionsfrieden vorlegen, verfehlt Martin Davies' Versuch eines Vergleichs zwischen der Confessio Augustana und den 39 Artikeln deutlich die notwendige theologiehistorische Tiefenschärfe. Umgekehrt kann man sich ein funkelndes Kabinettstück wie den Aufsatz von David J. Crankshaw, der anhand der aufregenden Geschichte des Siegels des 'vicegerent in spirituals' über "Ecclesiastical Statesmanship in England in the Age of Reformation" referiert - und damit die Frage nach der Trennung zwischen Kirchen- und Staatsgewalt unter den wechselnden Regentschaften neu verhandelt -, kaum aus der Feder eines deutschen Reformationshistorikers vorstellen.
Ein Manko bleibt der vollständige Verzicht auf die Erörterung methodischer Fragen. Ein zeitgleich erschienener und thematisch eng verwandter, teilweise mit denselben Autoren bestückter Sammelband bei Oxford University Press [3] hat mit den "reception studies" wahrhaft keinen übermäßig innovativen Ansatz als roten Faden gewählt. Trotzdem wirkt er deutlich homogener, außerdem klarer am Forschungsstand orientiert - im Vergleich sozusagen die etwas attraktivere Zwillingsschwester.
Anmerkungen:
[1] Vgl. aber inzwischen Katharina Beiergrößlein: Robert Barnes, England und der Schmalkaldische Bund (1530-1540), Gütersloh 2011.
[2] Vgl. aus der Fülle neuerer Publikationen nur W. J. Torrance Kirby: The Zurich connection and Tudor political theology, Leiden 2007.
[3] Polly Ha / Patrick Collinson (eds.): The Reception of Continental Reformation in Britain, Oxford 2010.
Johannes Wischmeyer