Gisela Naegle (Hg.): Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter. Faire la paix et se défendre à la fin du Moyen Âge (= Pariser Historische Studien; Bd. 98), München: Oldenbourg 2012, 424 S., ISBN 978-3-486-70481-5, EUR 44,80
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Das fragile Verhältnis von Krieg und Frieden hat seit etwas mehr als einem Jahrzehnt die deutsche Mediävistik aus ganz unterschiedlichen disziplinären Perspektiven wieder sehr beschäftigt. In anderen Staaten Westeuropas hält dieses Forschungsinteresse sogar schon deutlich länger an. Dabei interessiert man sich in jüngerer Zeit vor allem für die Regeln und Mechanismen des Konfliktaustrages, die sich im oszillierenden Wechselspiel zwischen den Polen abspielten. Einen Beitrag zur vergleichenden Annäherung an solche Frage will der vorliegende Band leisten.
Schon auf den ersten Blick fällt die überlegt strukturierte Anlage auf: Gerahmt werden die zwölf Einzelstudien des Bandes nicht nur durch eine umfangreiche Einleitung der Herausgeberin (9-48), sondern auch von einem bündelnden Kommentar von Pierre Monnet (357-372), einer hilfreichen Auswahlbibliographie, zweisprachigen Resümees und sehr umfangreichen Registern. Damit wird auf lobenswerte Weise von Anfang an sehr nachdrücklich versucht, eine starke Verbindung zwischen den Einzelbeiträgen herzustellen und den Band jenseits einer bloßen Buchbindersynthese als ein thematisches Ganzes zu stärken. Mit einigem Erfolg.
Die Binnengliederung erfolgt dann entlang dreier thematischer Schwerpunkte. Die Beiträge der ersten Sektion befassen sich mit "Friedenssuche und Verteidigung", mitunter also auch den Legitimationen und Delegitimationen von kriegerischer Gewalt als Mittel der Friedenswahrung. Sehr konsequent verfolgt Jean-Marie Moeglin am Beispiel des Hundertjährigen Krieges die Idee, die Geschichte mittelalterlicher Kriege als eine der Suche nach Frieden umzuschreiben (51-82). Kriegerische Gewalt diente dabei, so Moeglin, in der Hauptsache dazu, den Gegner zu Friedensverhandlungen zu bewegen. So zeigen sich auch die Ähnlichkeiten zum Institut der Fehde, die Christine Reinle in ihrem Beitrag behandelt (83-120). Schon lange wird von Rechtshistorikern erörtert, ob und wenn ja inwieweit diese denn nun dem mittelalterlichen Verständnis nach Recht war. Reinle zeigt sehr quellennah auf, wie kontrovers besonders die letztere Frage bereits im Spätmittelalter von Juristen und Theologen beantwortet wurde. Zu Recht betont sie, wie wichtig gerade der von der Rechtsgeschichte lange übersehene Impuls von Theologie und Kirchenrecht für die normative Durchdringung des spätmittelalterlichen Fehdewesens war. Die Bedeutung von Landfriedensbündnissen für die kollektive Sicherheit im Reich - auch aber deren Konsequenz für dessen stark föderale Ausprägung - zeigt Horst Carl in seinem vergleichsweise knappen, aber chronologisch vom 14. bis ins 16. Jahrhundert reichenden, spannenden Beitrag sehr einleuchtend auf (121-138). Ebenfalls mit Bündnissen, mit der Institution der hermandades im spätmittelalterlichen Kastilien nämlich, setzt sich Máximo Diago Hernando auseinander (139-159). Insbesondere deren mitunter prekäres Verhältnis zum Königtum - bis hin zur Auflösung durch Alfons XI. - bietet spannende vergleichende Perspektiven.
Die nächsten vier Beiträge beschäftigen sich mit dem Themenkomplex "Verhandeln und Frieden schaffen" und damit vor allem mit der diplomatischen Praxis. Stéphane Péquignot tut das am Beispiel der Konflikte des neu inthronisierten Königs Juan II. von Aragón mit seinen katalanischen Beherrschten in den Jahren 1460 bis 1472, wobei insbesondere die Rolle ausländischer Mächte näher beleuchtet wird (163-188). Mit dem Feldzug König Henrys V. von England in der Normandie in den Jahren ab 1417 befasst sich Bertrand Schnerb, näher in - mit den während dieses Feldzuges ausgehandelten - Kapitulationen einzelner Festungen (215-264). In einem Anhang werden die bisher gedruckten Quellen übersichtlich zusammengestellt. Schnerb kann aufzeigen, wie sehr Henry V. versuchte, nicht nur als Eroberer, sondern auch als legitimer Herrscher der Normandie aufzutreten. Auf den städtischen Raum schwenkt Christiane Kalpisch-Zuber in ihrem sehr interessanten, aber leider ebenso knappen Beitrag um (189-197). Sie begreift innerstädtischen Unfrieden als ein Ungleichgewicht der Ehre, zu dessen Ausgleich zurückgekehrt werden müsse. Ihre historische Fallstudie entstammt dem Florenz des 14. Jahrhunderts, das mit den sogenannten pacierei eine spannende Quellengattung zur Illustration dieser Dimension städtischer Friedenswahrung aufweist. Ganz auf die Mikroebene wechselt dann Julie Claustre, die sich mit schuldrechtlichen Konflikten im spätmittelalterlichen Paris beschäftigt (199-214). Auch hier spielt die gewaltsame Eskalation und spielen außergerichtliche Regelungsformen eine gewisse Rolle. Insgesamt aber bewegt sich dieser Beitrag deutlich am weitesten von den anderen dieses Bandes weg.
Auch im dritten Schwerpunkt - "Friedensgedanken oder Kriegspläne?" - spielt die Diplomatie noch eine gewisse Rolle. So versucht sich Franck Collard an einer Reinterpretation der Auseinandersetzungen um die Zurückweisung Margaretes von Österreich als eigentlich vorgesehener Gemahlin des französischen Königs Charles VIII. (343-356). Eingehend untersucht er die gelehrten Argumentationen, wobei von französischer Seite insbesondere das Ideal des rex pacificus immer wieder eine große Rolle spielte. Die Hochzeit habe, so hieß es, ein immanentes Risiko für den Frieden dargestellt. Jean Devaux bespricht den Abschluss des berühmten Friedens von Péronne zwischen Karl dem Kühnen und dem französischen König Louis XI. im Jahre 1468 (329-342). Vor allem aber ist es ihm um den dadurch inspirierten Livre de Paix sowie das dramatische Stück La Paix de Péronne bestellt, beide verfasst vom burgundischen Hofhistoriografen George Chastelain. Entgegen der bisher herrschenden Interpretation, Chastelain habe darin seinem Misstrauen gegenüber dem ausgehandelten Frieden Ausdruck verliehen, vertritt Devaux die Auffassung, beide Werke zielten eher darauf ab, Karl an seine Herrscherpflichten zu gemahnen. Den theoretischen Werken des Jean Juvénal des Ursins (Loquar in tribulacione, 1439/40) und des Enea Silvio Piccolomini (Pentalogus, 1443) spürt Herausgeberin Gisela Naegle in ihrem Beitrag nach (267-314). Vor allem letzterer widmet der Diplomatie im Übrigen breiten Raum. Deutlich zeigt aber Naegle auch auf, wie sehr Piccolominis Traktat schon von Nützlichkeitserwägungen durchdrungen war, während sein französischer Zeitgenosse sich noch sehr den traditionellen klerikalen Werten verbunden fühlte. Jacques Paviot schließlich befasst sich mit dem Friedensdiskurs im Umfeld der Kreuzzüge des Spätmittelalters (315-327). Erwartungsgemäß wird vor allem der für den Erfolg einer solchen Unternehmung nötige Frieden unter den Herrschern der Christenheit betont.
Der lesenswerte Band vermittelt eine ganze Reihe schlaglichtartiger Perspektiven auf ein Grundthema mittelalterlicher Politik. Erste Bausteine für eine vergleichende Betrachtung von Mechanismen der Friedenswahrung und Friedenssuche im westeuropäischen Mittelalter liefert er damit allemal. Auch die Bemühungen vor allem der Herausgeberin, diese einzelnen Bausteine in einige vorläufige, größere Betrachtungslinien einzufügen, sind sehr zu begrüßen. Systematisch stehen wir damit aber noch immer am Anfang. Es wäre sehr zu hoffen, dass dieser Band Nachfolger findet, um nun auch die nächsten Schritte weiterzugehen.
Hiram Kümper