Silvia Flubacher / Simone Zweifel (Hgg.): Das Familienbuch des Johann Conrad Schweighauser. Ein Basler Selbstzeugnis aus den Jahren 1663-1712 (= Selbst-Konstruktion. Schweizerische und Oberdeutsche Selbstzeugnisse 1500-1850; Bd. 5), Basel: Schwabe 2012, 198 S., ISBN 978-3-7965-2831-6, EUR 40,50
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Die Bearbeitung autobiographischer Themen hat seit einigen Jahren in der Geschichtswissenschaft hohe Konjunktur. Dem großen Interesse entspricht jedoch vielfach nicht die Qualität der Editionen, mit denen die archivalisch überlieferten Aufzeichnungen zugänglich sind. Diesem Manko haben zumindest für frühneuzeitliche Zeugnisse aus dem Schweizer und oberdeutschen Raum die ersten vier Publikationen in der Reihe "Selbst-Konstruktion" erfolgreich entgegengearbeitet. Der 2012 erschienene fünfte Band steht in dieser Tradition.
Die vorgelegte Quellenedition ist aus einer Gruppenarbeit von acht Studierenden hervorgegangen, die 2008 am Historischen Seminar der Universität Basel unter der Leitung von Kaspar von Greyerz und Roberto Zaugg durchgeführt worden ist. Die Publikation gliedert sich in drei Teile: die Edition, einen einführenden wissenschaftlichen Kommentar sowie einen Anhang, der aus Literatur- und Quellenverzeichnis, Personen- und Ortsregister und einem Glossar besteht. Das Glossar stellt die Lebensdaten und Verwandtschaftsverhältnisse von 22 Personen zusammen, denen im Familienbuch eine hervorgehobene Bedeutung zukommt.
Der überwiegend von den beiden Herausgeberinnen verfasste wissenschaftliche Kommentar führt zunächst knapp in die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Verhältnisse ein, denen Johann Conrad Schweighauser (1648-1713) in seiner Heimatstadt Basel begegnete. Es schließt sich eine Darstellung der in ihren Umrissen durch zwei Publikationen von 1883 und 1976 teilweise bekannten Familiengeschichte an, die hier allerdings nicht über die Eltern hinausgeht. Im Zentrum steht der Autor mit seinen direkten Nachfahren. Schweighauser ergriff als Sohn eines Notars ebenfalls diesen Beruf und durchlief eine beachtliche soziale und vor allem politische Karriere (unter anderem Kirchenältester, Mitglied in städtischen Gremien). 1671 heiratete er eine Pfarrerstochter, mit der er zwölf Kinder hatte, von denen allerdings nur sechs das Erwachsenenalter erreichten. Im Alter von 15 Jahren begann er mit seinen Aufzeichnungen. Damals trat er in die Notariatsgeschäfte seines Vaters ein. Mit der Erfahrung dieses neuen Lebensabschnitts dürfte die Motivation zur Abfassung der überwiegend chronologischen Aufzeichnungen verbunden sein.
Da in den Aufzeichnungen der familiären Ereignisse "nicht nur die biologische, sondern auch die soziale Familie mitgemeint ist" (11), behandelt ein weiterer Beitrag des Kommentarteils den Aspekt der Taufpatenschaft "als Form der sozialen Vernetzung" (44). Bei den Taufpatenschaften der Familie Schweighauser wurden bis auf wenige Ausnahmen nur Personen von gleichem oder möglicherweise höher angesehenem sozialen Stand ausgewählt (Meister, Pfarrer, Amtsträger), wobei sich Beziehungsschwerpunkte zu bestimmten Familien erkennen lassen. Das Taufritual hatte also seine sozial bindende Kraft auch im reformierten Basel nicht verloren, ungeachtet gegenläufiger Tendenzen seitens der protestantischen und im Übrigen auch der katholischen Kirchenlehre. Die insgesamt 269 Taufeinträge (zumeist in der Form: "ein kindt zum h[eiligen] tauff gehoben" (95)), später auch die Taufpatenschaften seiner Kinder, sowie die Notizen über familiäre Ereignisse - allen voran Todesnachrichten - nehmen im Verlauf der Aufzeichnungen immer breiteren Raum ein. Hingegen reduziert sich die Darlegung stadtpolitischer (zum Beispiel Bürgermeister- oder Ratswahl), sozialer (Pest, Unzucht, Hinrichtung, Tod und sehr häufig auch Freitod) und natürlicher Geschehnisse. So hat Schweighauser seine Beobachtung von Kometenerscheinungen in den Jahren 1664/65 in Form von Skizzen festgehalten. Der reformierte Glaubensangehörige deutete sie zeittypisch als Zeichen Gottes, "vnß damit von vnßeren sünden abzumahnen" (89). Den soziologischen und religiösen Hintergründen dieser Thematik widmet sich der vierte kommentierende Beitrag.
Der eigentlichen Textedition des Familienbuchs, der im Original des Basler Staatsarchivs 49 Blätter im Oktavformat zugrunde liegen und die in der Druckfassung auf 81 Seiten übertragen wurde, sind drei kurze Erläuterungstexte zu Form und Entstehung, Transkriptionsprinzipien und zur prosopographischen Recherche vorangesetzt.
Den Autorinnen und Autoren ist es mit der Edition und Kommentierung des Familienbuches gelungen, eine wertvolle Quelle adäquat zu präsentieren. Die Erläuterungen sind informativ; allein wären einige, vermutlich auf die Beteiligung mehrerer Verfasser zurückgehende inhaltliche Wiederholungen und Unregelmäßigkeiten bei den Anmerkungen bzw. in Literaturhinweisen vermeidbar gewesen. Das ausführliche und detaillierte Personenregister ist hervorzuheben. Alle Beiträge zeichnen sich durch eine klare Sprachführung aus. Dem Gesamteindruck kommt auch die ansprechende Aufmachung des Buches zugute.
Die lesenswerte Edition ist über die Basler Stadt- und schweizerische bzw. oberdeutsche Regionalgeschichte hinaus durchaus von Interesse, insbesondere sicherlich für vergleichende Studien zu sozialen Klientelverhältnissen. Man mag bedauern, dass Schweighausers Schilderungen in Gänze gesehen letztlich stereotyp erscheinen und nur selten tiefere Einblicke in seine Persönlichkeit zulassen. Das ist freilich bei vergleichbaren Quellen aus dieser Zeit kaum anders und dem Genre eigen. So schildert er beispielsweise seine Hochzeit lediglich mit folgenden Worten: "hab jch mit meiner lieben haußfrawen Valeria Stöckhlin [...] hochzeit gehalten, nachdeme zuuor beyderseiths geliebte eltern jhren guten consens vnd willen hierzu gegeben [...] Warzu er der liebe Gott seinen getrewen sägen vnd gnade verleihen wolle" (106-107). Vielleicht ist dieser Erkenntniswunsch angesichts der Lebensumstände, die Schweighausers Persönlichkeit prägten, und des vorliegenden Genres des Familienbuchs auch zu viel verlangt. Denn Schweighauser erlebte den frühen Tod jedes zweiten Kindes, und sein Alltag war den Aufzeichnungen nach von Erfahrungen durchzogen, deren subtile Beschreibung - wie im Falle Felix Platters, der aber auch das Genre des Tagebuchs bediente [1] - eine sicher nur selten erreichte menschliche Leistung darstellt. Schon 1672 schrieb der damals 24jährige Johann Conrad Schweighauser: "Gebohren werden vnd sterben ist ein alltäglich geschicht" (110).
Anmerkung:
[1] Felix Platter: Tagebuch (Lebensbeschreibung) 1536-1567, hg. von Valentin Lötscher (= Basler Chroniken, Bd. X), Basel / Stuttgart 1976.
Olaf Richter