Rezension über:

Eyal Ben-Eliyahu / Yehuda Cohn / Fergus Millar (eds.): Handbook of Jewish Literature from Late Antiquity. 135-700 CE, Oxford: Oxford University Press 2012, XXVI + 162 S., ISBN 978-0-19-726522-2, GBP 25,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Günter Stemberger
Institut für Judaistik, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Günter Stemberger: Rezension von: Eyal Ben-Eliyahu / Yehuda Cohn / Fergus Millar (eds.): Handbook of Jewish Literature from Late Antiquity. 135-700 CE, Oxford: Oxford University Press 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/06/21825.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Eyal Ben-Eliyahu / Yehuda Cohn / Fergus Millar (eds.): Handbook of Jewish Literature from Late Antiquity

Textgröße: A A A

Das Buch ergänzt den aus einer Tagung der British Academy von 2008 hervorgegangenen Band. [1] Wie Philip Alexander im Vorwort ausführt, wendet auch dieser Band sich an alle, die auf dem Gebiet der Spätantike arbeiten und dabei auch jüdische Quellen benützen wollen oder müssen, ohne darin Experten zu sein. Für sie ist eine Einführung auf mittlerer Ebene erwünscht, die weniger technisch als die "Einleitung in Talmud und Midrasch" des Rezensenten (München 92011) ist und ein breiteres Spektrum als diese abdeckt, auch Targum, Piyyut, Gebete, Inschriften und Zauberschalen einschließt, und damit auch den Begriff "rabbinisch" dekonstruiert.

Nach einem Guide to Electronic Resources und einem Glossar folgt als erstes Kapitel eine historische Einleitung, die die Bedeutung der griechischen Kultur in Palästina, die Urbanisierung und die religiöse Verteilung in der Provinz schildert. Da Juden Palästinas zwei- bis dreisprachig waren, ist Hebräisch und/oder Aramäisch als Sprache ihrer Literatur bewusst gewählt, während Christen derselben Region Griechisch schrieben, Syrisch nur in den östlichen Provinzen. Instruktiv ist der Vergleich mit der zeitgleichen christlichen Literatur der Region: Besonders Mischna, Tosefta und Talmudim haben kein christliches Gegenstück; es gibt keine jüdische Geschichtsschreibung. Teilweise Parallelen findet man in der Literatur zur Bibel, Midrasch, Peschitta und Targum, weniger in den Biographien christlicher Mönche im Vergleich mit Anekdoten über einzelne Rabbinen.

Das Kapitel "Talmudic Texts skizziert Mischna und Tosefta, palästinischen und babylonischen Talmud in Inhalt, Aufbau und literarischer Eigenart, ebenso die "Kleinen Traktate" und die "Äußeren Traktate" (Derekh Erets, Soferim, Avot de-Rabbi Natan B und andere). Weitere Kapitel präsentieren Midraschtexte, mystische und magische Literatur, aramäische Bibelübersetzungen (Targumim), liturgische Texte mit besonderer Betonung der liturgischen Dichtung, Historiographie, Apokalyptik und Dokumente (Synagogen- und Sepulkralinschriften, Amulette, Zauberschalen und Urkunden). Alle Kapitel beginnen mit einer knappen Darstellung der Eigenart und besonderen Problematik der jeweiligen Textgruppe; die einzelnen Schriften und Dokumente werden kurz beschrieben; es folgen jeweils Angaben zu Datierung, Sprache(n), Druckausgaben, Übersetzungen, Kommentaren und Handschriften sowie eine Auswahlbibliographie. Offenbar soll jeder Abschnitt für sich gelesen werden können, weshalb es auch öfter Wiederholungen gibt.

Der Band bietet auf knappem Raum zuverlässig alle wesentlichen Informationen. Natürlich kann man einzelne Informationen diskutieren, die schon aus Platzmangel nicht immer genügend differenziert sein können. Zum babylonischen Talmud etwa heißt es: "for practical purposes it seems fair to treat the Bavli as pre-dating the Islamic conquest of the Sassanid Empire in around 640 CE" (39) - die heute verbreitete These einer anonymen ("stammaitischen") Schicht wird zwar kurz erwähnt, die Bedeutung dieser bis ins späte achte Jahrhundert reichenden Bearbeitung aber nicht gewürdigt.

Es herrscht eine gewisse Tendenz zu Frühdatierungen, so etwa zu den "Äußeren Traktaten": "Most of the material is Tannaitic, but in some of the tractates there is also an Amoraic layer" (45); Avot de-Rabbi Natan B wird als tannaitisches Werk bezeichnet, auch wenn M. Kisters Datierung ("after the fifth century, but before the ninth century") erwähnt wird (57; die 58 genannte Übersetzung Neusners gibt Fassung A wieder, die in diesem Buch gar nicht behandelt wird).

Die halakhischen Midraschim werden im Allgemeinen in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts datiert, auch wenn man zu Mekhilta und Sifra auf eine längere spätere Entwicklung verweist (70 nennt die Übersetzung zu Sifre Numbers von J. Neusner in der Ausgabe von 1986, die nur 115 der 161 Abschnitte enthielt; die vollständige Übersetzung von 1996 ist nicht genannt). Von den haggadischen bzw. amoräischen Midraschim werden die nach 640 entstandenen Sammlungen nur kurz erwähnt (80); erstaunlich ist dann aber, dass Kohelet Rabba (Redaktion meist um 800 datiert) wegen früher Schichten aufgenommen, dagegen die Tanchuma-Literatur (grob zwischen fünftem und neunten Jahrhundert einzuordnen) nicht genannt wird. Auch in der Hekhalot-Literatur werden Frühdatierungen im Gefolge von G. Scholem bevorzugt, ebenso in der magischen Literatur (so etwa beim Sefer ha-Razim, dem "Buch der Geheimnisse", das nur sehr bedingt in den Zeitrahmen des Buches passt - die Ausgabe von B. Rebiger und P. Schäfer, Tübingen 2009, II 9, datiert es in das siebte oder achte Jahrhundert).

Dieselbe Tendenz zu Frühdatierungen begegnet in der Darstellung der Targumim; nur so kann etwa Pseudo-Jonatan (meist in Endfassung um etwa 800 datiert) hier aufgenommen werden (117 nennt bei den englischen Übersetzungen von Targum Neofiti A. Sperber, The Bible in Aramaic, 1992; doch enthält Sperber nur den aramäischen Text der Targumim, Neofiti gar nicht; dafür fehlt Sperber 119 bei den Textausgaben von Pseudo-Jonatan). Die sprachliche Datierung des Prophetentargums vor Mitte zweites Jahrhundert (122) ist sehr optimistisch; für spätere Erweiterungen siehe B. Chilton. [2] Dagegen werden die Targumim zu den Hagiographa nicht vorgestellt, obwohl einzelne von der Entstehungszeit her mindestens so sehr wie Targum Yerushalmi für dieses Buch relevant wären (siehe J. Florit-Ribera, [3]). Ob Werke wie Megillat Taanit Batra oder die Toledot Yeshu in den zeitlichen Rahmen des Bandes gehören, ist sehr fraglich.

Die bei einem Werk wie diesem zentralen bibliographischen Angaben sind sorgfältig ausgewählt, Druckfehler selten: Auf Seite 53 und 54 heißt es jeweils Cornel statt richtig Coronel; auf Seite 82 müsste es statt B. Lewis richtig L. Barth heißen; auf Seite 156 ist statt Y. Yardeni richtig A. Yardeni zu lesen. Im Abschnitt "Apokalyptik" heißt es mehrfach, dass es keine elektronischen Ausgaben gibt, obwohl diese sehr wohl vorhanden sind: So auf Seite 149 zu Reuyot Yehezqel oder auf Seite 151 zum Sefer Eliyahu (die Texte sind sowohl in den Maagarim wie auch in den Bar-Ilan Responsa vorhanden) und zum Sefer Zerubavel (in Bar-Ilan zu finden). Auch die Nistarot de-R. Shimon bar Yohai (die den zeitlichen Rahmen des Bandes sprengen), wozu auf Seite 154 Electronic Resources gar nicht mehr genannt werden, findet man in den Maagarim und in Bar-Ilan.

Doch das sind Details; bei der Fülle der hier gebotenen Informationen sind Errata fast unvermeidlich. Datierungen sind auf diesem Gebiet noch oft Ermessensfragen. Insgesamt ist das Buch eine höchst gelungene und zuverlässige Einführung in die jüdische Literatur der Spätantike. Dem angezielten Leserkreis bietet es alle wesentlichen Informationen auf engstem Raum und ermutigt dazu, auch als Nichtspezialist diese Literatur in die eigene Forschung mit einzubeziehen. Das Buch ist voll zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Martin Goodman - Philip Alexander (Hg.): Rabbinic Texts and the History of Late Roman Palestine, (Proceedings of the British Academy 165), London 2010.

[2] B. Chilton: Targum Jonathan of the Prophets, in: J. Neusner / A. J. Avery-Peck: Encyclopaedia of Midrash, Leiden 2005, II 889-927.

[3] J. Florit-Ribera: Hagiographa, Targums to, in: Encyclopaedia of Midrash I, Leiden 2005, 148-173.

Günter Stemberger