Lydie Bodiou / Véronique Mehl / Myriam Soria: Corps outragés, corps ravagés de l'Antiquité au Moyen Age (= Culture et Société Médiévales; 21), Turnhout: Brepols 2011, 528 S., ISBN 978-2-503-54151-8, EUR 75,00
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Caroline J. Goodson: The Rome of Pope Paschal I. Papal Power, Urban Renovation, Church Rebuilding and Relic Translation, 817-824, Cambridge: Cambridge University Press 2010
Laurie Brink, O.P. / Deborah Green (eds.): Commemorating the Dead. Texts and Artifacts in Context. Studies of Roman, Jewish, and Christian Burials, Berlin: De Gruyter 2008
Anne Kirkham / Cordelia Warr (eds.): Wounds in the Middle Ages, Aldershot: Ashgate 2014
Seit den späten 1980er Jahren, in denen etwa der 1989 von Michel Fehrer herausgegebene, dreibändige Sammelband "Fragments for a History of the Human Body" erschien, hat die "Body History" insbesondere in der englisch- und französischsprachigen Geschichtsforschung viele prominente Verfechter gefunden, darunter zahlreiche Mediävisten wie Caroline Walker Bynum [1] oder Jacques Le Goff [2]. Dabei steigt das Interesse an Studien zum Körper in jüngster Zeit spürbar an; der hier zu besprechende Sammelband lässt sich in diesen Trend einordnen. Was bringt er also Neues zum Körper in der Geschichte?
Der inhaltliche Fokus dieses Bandes liegt auf dem gequälten, behinderten, verletzten, gebrochenen oder grotesken Körper. Sein vielleicht größtes Verdienst besteht in der umfangreichen Zusammenstellung verschiedenster Aspekte des Themas für sowohl die antike als auch die mittelalterliche Geschichte, was dem Rezipienten epochenübergreifende Reflektionen ermöglicht. Diese bunte Breite der Einzelstudien macht es jedoch zugleich schwierig, eine konzise, zusammenfassende Rezension anzubieten.
Im Folgenden soll zumindest ein Versuch dazu gemacht werden, der sieben hauptsächliche Stoßrichtungen der vorgelegten Überlegungen benennt. Für eine erste Gruppe von Beiträgen stehen so Darstellungen des außergewöhnlichen oder gemarterten Körpers im Zentrum der Betrachtung. Mediävisten werden einmal mehr an die Studien von Caroline Walker Bynum denken, die sich nicht zuletzt der Fragmentierung von Körpern im Reliquienkult und der spätmittelalterlichen Darstellung des gequälten Heiligen (allen voran in der Passion Christi) widmete. [3] Hier ließen sich einige der Beiträge thematisch anschließen, auch wenn die Autoren selbst ihre Verweise zumeist auf die französische Forschung beschränken. Françoise Perrot (83-88) widmet sich knapp Darstellungen Christi in der Glasmalerei, Esther Dehoux (117-137) französischen Martyriumsdarstellungen der Heiligen Georg und Mauritius, Dominique Alibert (103-116) vor allem am Beispiel des Tympanons von Conques der Darstellung gequälter Verdammter beim Jüngsten Gericht. Für die Antike fügen sich hier die Beiträge von Pascale Ballet und Violaine Jeammet (39-82) über "groteske" Kleinplastiken der Antike ein. Den mittelalterlichen Darstellungen von Körperstrafen, die Barbara Morel jüngst ausführlich für Frankreich behandelte [4], geht zumindest ein Beitrag nach: Isabelle Matthieu (353-367) wertet Illustrationen zu Rechtsquellen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit in Anjou und Maine aus.
Eine zweite Reihe von Autorinnen und Autoren geht dem strafenden Umgang mit dem Körper nach, so Marie-Claire Ferriès (317-334) für den Fall antik-römischer Würdenträger, die doch zugleich den römischen Staat selbst verkörperten, und Myriam Soria (279-289), die die Rolle des (hier vor allem: geschändeten) Körpers von Bischöfen im Investiturstreit beleuchtet. Dem wohl berühmtesten Fall von Peter Abaelard bietet Laurence Moulinier-Brogi (189-216) mit ihrer Untersuchung der Kastration im Mittelalter einen Kontext. Bernard Legras (173-187) untersucht Körperstrafen im ptolemäischen Ägypten und diskutiert dabei den griechischen Einfluss auf ägyptische Rechtstraditionen. Zwei Beiträge zum antiken Griechenland gehen dem Abhacken von Körperteilen nach: Jean-Christophe Couvenhes (419-434) rekapituliert die bei Xenophon berichteten Körperstrafen an athenischen Kriegsgefangenen wie das Handabhacken oder das ins Meer Werfen, während Alexandre Marcinkowski (435-456) das Abschlagen des Kopfes in der Welt des antiken Griechenland in den Blick nimmt.
Der Bestattung von Gefallenen widmen sich in sehr unterschiedlicher Perspektive vier der Beiträge: Die unterschiedlichen Möglichkeiten im Umgang mit Gefallenen in der römischen Antike zählt Nicolas Mathieu (457-472) auf; der bereits durch zahlreiche Publikationen zur mittelalterlichen Archäologie hervorgetretene Anthropologe Patrice Georges (401-418) wirft anhand von drei Skeletten aus dem merowingischen Grabplatz von Erstein die Frage nach den Ursachen von durch Schneidewaffen verursachtem Trauma (Körperstrafe, Kriegsereignis) auf. Dass das Abschlagen insbesondere des Kopfes nicht nur ein Phänomen der griechischen Antike und des christlichen Mittelalters gewesen ist, belegt François Clément (503-522), der die Bedeutung von Leichenteilen im muslimischen Spanien insbesondere anhand der Berichte über abgeschlagene Köpfe als Kriegstrophäe hervorhebt. Einen politisch hoch aufgeladenen Sonderfall ergänzt Maïté Billoré (473-488) mit dem 1265 bei Evesham beim Aufstand gegen den englischen König gefallenen Simon de Montfort, dessen zerstückelter Leichnam zumindest zeitweilig zugleich Objekt der Verehrung werden konnte.
Auf Hinrichtung, Martyrium und Ermordung beziehen sich die drei Beiträge von Marie-Françoise Baslez, Georges Pon und Éric Limousin. Während Baslez (335-351) den hellenistischen Einfluss auf Berichte von der Verfolgung in der jüdischen Literatur in den Blick nimmt, behandelt Pon (249-259) das Martyrium der Heiligen Radegunde; Limousin (489-501) betrachtet die Aufnahme der Ermordungen byzantinischer Kaiser im 9., 10. und 11. Jahrhundert vor dem Hintergrund einer angenommenen Sakralität des kaiserlichen Körpers. Auf die schmerzhafte Seite der Geburt beziehen sich Lydie Bodiou und Pierre Brulé (155-172), deren Beitrag über die Geburt in der Antike zugleich zeigt, wie offen das Gesamtthema des Bandes aufgefasst wurde.
Liturgische und rituelle Fragestellungen behandeln Catherine Baroin, Matthieu Vivas und Élisabeth Rousseau, die die körperlichen Voraussetzungen für das Priesteramt im antiken Rom (291-315), den Ausschluss vom kirchlichen Begräbnis im Hochmittelalter und die Schwierigkeiten der Interpretation der "Sonderbestattungen" (371-381) sowie die Interpretationsmöglichkeiten eisenzeitlicher Funde von Körperteilen außerhalb eines klassischen Grabkontexts in Gallien (383-399) verhandeln. Einer symbolischen Ebene folgen Laurent Hablot (139-151), der sich mit der rituellen Schändung heraldischer Zeichen und deren Rolle für Entehrungen und als Verschärfung der Strafe im Rahmen von Hinrichtungen beschäftigt, sowie Véronique Mehl (263-278), die Beobachtungen über den Geruch des Körpers (Wohlgeruch, Stinken) als Zeichen der inneren Qualität in der griechischen Antike zusammenstellt und somit auf die Vorläufer dieses aus der mittelalterlichen Hagiographie geläufigen Topos hinweist. Der literarischen Darstellung des verletzten, versuchten oder gemarterten Körpers gehen Frédéric Le Blay (217-230) in Bezug auf das Theater Senecas, Sandra Boehringer (231-247) zu den Epigrammata von Martial und Karin Ueltschi (89-102) mit einem Beitrag zu den Verletzungen des Königs der Gralsburg nach.
Der Band verfügt über keinen Index, und eine konzise Beschreibung, was mit dem zerstückelten oder gedemütigten Körpers gemeint ist, fehlt letztlich, woran auch die knappe Einleitung von Robert Halleaux (31-36) und die kurze Zusammenfassung von Jean-Jacques Vincensini (523-528) nichts Grundsätzliches ändern können. Unglücklicherweise verlässt die Forschungsdiskussion über das Gesamtthema den französischsprachigen Raum kaum, was angesichts der regen englischsprachigen Forschung zur "Body History" verwundert. Der Band greift jedoch zahlreiche neue Aspekte des Themas auf, wobei vor allem die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes sichtbar wird, der historische und literarische Schriftquellen, Werke der bildenden Kunst und archäologische Befunde in eine kritische Zusammenschau bringt. Die Beiträge lösen dies in unterschiedlich intensiver Form ein, doch liegt hier zweifellos eine Stärke des Bandes. Mag er sich auch nicht als methodischer Wegweiser eignen und die einzelnen Themen wenig systematisch präsentieren, so eröffnet er doch angesichts einer bislang noch übersichtlichen Zahl von Studien zum negativen Umgang mit dem menschlichen Körper von Lebenden und Toten eine bemerkenswert vielfältige Basis für weitere Forschungen.
Anmerkungen:
[1] Caroline Walker Bynum: Holy Feast and Holy Fast, Berkeley u.a. 1987.
[2] Jacques Le Goff: Une histoire du corps au Moyen Âge, Paris 2003.
[3] Caroline Walker Bynum: Fragmentation and Redemption, New York 1991.
[4] Barbara Morel: Une iconographie de la répression judiciaire, Paris 2007.
Romedio Schmitz-Esser