Rezension über:

Julia Anna Riedel: Bildungsreform und geistliches Ordenswesen im Ungarn der Aufklärung. Die Schulen der Piaristen unter Maria Theresia und Joseph II. (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 77), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, XIV + 611 S., ISBN 978-3-515-09911-0, EUR 87,00
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Rezension von:
Christine Absmeier
Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Christine Absmeier: Rezension von: Julia Anna Riedel: Bildungsreform und geistliches Ordenswesen im Ungarn der Aufklärung. Die Schulen der Piaristen unter Maria Theresia und Joseph II., Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/22701.html


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Julia Anna Riedel: Bildungsreform und geistliches Ordenswesen im Ungarn der Aufklärung

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In ihrer 2010 an der Universität Tübingen als Dissertation angenommenen Arbeit untersucht Julia Anna Riedel das Schulwesen im Königreich Ungarn während des 18. Jahrhunderts. Sie charakterisiert es durch zwei konkurrierende Hauptakteure, den Piaristenorden einerseits und die staatliche Verwaltung andererseits, die trotz unterschiedlicher Interessen aufeinander angewiesen waren und mehr oder weniger gut zusammenarbeiteten. Über Einzelbefunde zur Bildungsgeschichte hinaus beschreibt Riedel den Übergang des rein kirchlich organisierten Schulwesens unter die Aufsicht des Staates im Zuge einer aufgeklärten und gemeinwohlorientierten Politik. Damit erschließt Julia Riedel dem Leser eine vielschichtige Bildungsregion, die trotz ihres hohen Stellenwerts aufgrund der Sprachbarriere im deutschen Sprachraum bisher größtenteils unbekannt geblieben ist. Die Arbeit stützt sich auf gründliche und umfangreiche Quellenlektüre, die Bestände in Wien, Budapest und Rom umfasst. Zudem geht die Autorin souverän mit teilweise sehr unterschiedlichen Urteilen um, die der älteren deutschsprachigen Literatur, der Tradition des Piaristenordens sowie der ungarischen Nationalgeschichtsschreibung entstammen.

Nach einer umfangreichen Einleitung, in der Riedel ihre Methode erläutert sowie den Forschungsstand anhand von zentralen Begriffen nachzeichnet, stellt sie den Piaristenorden als wichtigsten Träger des Bildungswesens in Ungarn vor. Zunächst skizziert sie allgemein das ungarische Schulwesen und die Konkurrenz zwischen Jesuiten und Piaristen (47-66), um dann auf die Geschichte des Ordens und besonders seine Entwicklung in Ungarn einzugehen (74-123). Ein weiteres Kapitel beschreibt die in den Ordensschulen praktizierte Didaktik und Methodik im Vergleich zu der der Jesuiten (124-151). Der Einfluss der Aufklärung auf Angehörige des Piaristenordens wird anhand von Biografien herausragender Ordensangehöriger untersucht, die unter anderem durch Publikationen an zeitgenössischen Diskursen teilnahmen (152-181). Schließlich macht Riedel unter den Piaristen zahlreiche "geistliche bürgerliche Gelehrte" mit eindeutig säkularen Zügen aus (182-236).

Das dritte und umfangreichste Kapitel mit dem Titel "Bildungsreform und geistliches Ordenswesen" (237-510) widmet Riedel den Auswirkungen staatlicher Einflussnahme auf das traditionell in den Händen der Kirche gelegene ungarische Schulwesen. Leitfrage der Untersuchung ist, ob die staatlichen Initiativen gegen den Orden gerichtet waren, ob sie von den Ordensangehörigen als Bedrohung wahrgenommen wurden und mit welchen Strategien dieser Herausforderung begegnet wurde. Zunächst beschreibt Riedel ausführlich die Schulpolitik Maria Theresias (237-257). Mit Blick auf die Berater Maria Theresias und auf ihre Praxis der Förderung wird deutlich, dass sich gerade der Piaristenorden der besonderen Wertschätzung der Herrscherin erfreute und als Bildungspartner maßgeblichen Einfluss auf staatliche Bildungskonzepte hatte (258-287). In dieser Konsequenz interpretiert Riedel die ungarische Schulreform von 1777 nicht als radikale Abkehr von allen bisher gepflegten Bildungspraktiken. Die Bedeutung dieser Reform liege vielmehr in der Errichtung einer staatlichen Schulaufsicht über die kirchlichen Schulen, was eine Säkularisierung des ungarischen Schulwesens bedeutete (288-303). Die Berichte dieser neuen Behörde, die Riedel im Folgenden analysiert (304-325), monierten vor allem organisatorische Mängel im ungarischen Bildungswesen, ohne nennenswerte Kritik an den Inhalten und der Unterrichtspraxis zu üben.

Viel Aufmerksamkeit widmet Riedel der Schul- und Kirchenpolitik Maria Theresias und Josephs II. Dabei stützt sie sich unter anderem auf königliche Verordnungen, wie sie vor allem die Ungarische Statthalterei an die Piaristen richtete. Wie Riedel herausarbeitet, war Maria Theresia daran gelegen, den Katholizismus zu stärken und den Orden auch zukünftig für die Bildung und Erziehung ihrer Untertanen in den Dienst zu nehmen. Offensichtlichen Defiziten des Ordenswesens, wie sie von Anhängern der Aufklärung immer häufiger formuliert wurden, versuchte sie durch ihre Verordnungen abzuhelfen (326-336). Die Kirchenpolitik Josephs II. griff dagegen stark in die Ordensstruktur der Piaristen ein, zwischenzeitlich wurde sogar die Aufhebung erwogen. Aufgrund seines Nutzens für die Volksbildung entschied man sich aber trotzdem für die Beibehaltung des Ordens (337-383).

Einfluss auf diese Entscheidung hatten zahlreiche "Lobbyisten", die die Beratungen in Wien für den ungarischen Piaristenprovinzial verfolgten und ihm Bericht erstatteten. Durch Auswertung der einschlägigen Korrespondenz kann Riedel feststellen, dass der Provinzial bestens über die Tätigkeit der Behörden informiert war, und dass Vertreter des Piaristenordens gezielt den Kontakt zu höheren Beamten suchten, um Vorschläge im Sinne des Ordens zu unterbreiten (384-394).

Durch die staatliche Überwachung des Ordens kam dessen desolate Finanzlage ans Licht. Die drohende Auflösung und mangelnde Perspektiven untergruben die Disziplin gegenüber der Ordensführung, brauchbare Lehrer fehlten aufgrund zahlreicher Austritte und verschärfter staatlicher Vorschriften (395-420). Welche Strategien Ordensleitung und -angehörige entwickelten, um mit der Krise umzugehen, beleuchtet Riedel quellennah aus verschiedenen Blickwinkeln (421-470). Sie zeigt, dass sich der Orden trotz des Rückgangs der Mitgliederzahlen mit einem Tiefpunkt Mitte der 1790er Jahre wieder konsolidieren konnte und im Zusammenspiel mit den staatlichen Stellen an einer inneren Reform arbeitete (481-510).

Das besondere Verdienst der Untersuchung liegt in der gründlichen Quellenlektüre, die Riedel mit einer sorgfältigen Rezeption der einschlägigen Literatur verbindet. Sie weiß die teilweise einseitigen Urteile deutsch- wie auch ungarischsprachiger, ordensgeschichtlicher und säkularer Forschung zu relativieren und beleuchtet ihren Gegenstand zuverlässig von allen Seiten. Über daraus resultierende, gelegentliche Redundanzen sieht man angesichts der präzisen, stets angemessenen Sprache gern hinweg. Besonders wertvoll ist die reiche Ausstattung des Bandes mit Karten, Grafik und Statistiken, die über die eigentliche Argumentation hinaus vertiefte Einblicke in das Piaristenschulwesen in Ungarn bietet. In ihrer Arbeit belegt Riedel die hohe gesellschaftliche Bedeutung des Piaristenordens, der von Maria Theresia unterstützt, von Joseph in Frage gestellt und schließlich als nützlich in seinem Wirken für die Allgemeinheit bestätigt wurde.

Christine Absmeier