Natalino Bonazza / Isabella Di Leonardo / Gianmario Guidarelli (a cura di): La Chiesa di San Bartolomeo e la comunità tedesca a Venezia, Venedig: Maricianum Press 2012, 392 S., ISBN 978-88-651-2146-7, EUR 53,99
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Wer sich mit der Geschichte der Deutschen in Venedig beschäftigt, wird unmittelbar an den am Rialto gelegenen Fondaco dei Tedeschi denken, das deutsche Handelshaus in der Lagunenstadt, dessen Name sich von dem arabischen Funduk herleitet und durch das die venezianischen Behörden dem Handel der Gäste aus dem Norden einen festen Ort zuweisen und ihn kontrollieren wollten (ebenso wie etwa im Falle des Fondaco dei Persiani oder des Fondaco dei Turchi). Weniger stand bisher der spirituelle Kristallisationspunkt des deutschen Lebens in Venedig im Zentrum des Interesses: die nahe des Fondaco gelegene, im Jahr 840 gegründete und seitdem mehrfach wiedererbaute Kirche San Bartolomeo. Ihr ist der interdisziplinäre Erstlingsband der Publikationsreihe Chiese di Venezia, Nuove prospettive di ricerca gewidmet.
In drei jeweils durch eigene - auch weiterführende Hinweise gebende - Einleitungen erschlossenen Sektionen finden sich insgesamt vierzehn Beiträge zur Geschichte und Kunstgeschichte der Kirche, hauptsächlich vom fünfzehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert.
Die erste Sektion ("Intorno a San Bartolomeo: Idee, persone e commerci") eröffnet Bernd Roeck mit einer übergreifenden Darstellung zu den Deutschen in Venedig in der Frühen Neuzeit, in der er insbesondere kulturellen Austauschprozessen nachgeht. Anschließend beschäftigt sich Andrew John Martin mit dem ehemaligen Altarbild der Kirche San Bartolomeo, dem berühmten Rosenkranzfest (1506) Albrecht Dürers, unter der Fragestellung nach (teilweise ad vivum ausgeführten) Portraits und Kryptoportraits und nach der Bedeutung des Bildes für Dürers Karriere. Thomas Eser geht der Präsenz der Nürnberger in San Bartolomeo im Zeitalter Dürers nach. Dabei präsentiert er zwei neue Quellen in Gestalt von Verträgen für Nürnberger Kapläne an San Bartolomeo. Ferner wertet er das im Bestand Imhoff des Germanischen Nationalmuseums erhaltene Sebaldsbüchlein, ein weitgehend unbekanntes Rechnungsbuch der Sebaldsbruderschaft der Nürnberger an San Bartolomeo zu den Jahren 1464 bis 1514, personengeschichtlich sowie chronikalisch aus und stellt auf dieser Grundlage die These auf, Dürers Altarbild könne anlässlich des Niedergangs der Bruderschaft Anfang des 16. Jahrhunderts als Versuch der Wiederbelebung der Fraternität gesehen werden. Eine weitere, diesmal venezianische Personengruppe nimmt Erin Mae Black in Augenschein, indem sie eine im August 1508 durch den Franziskaner Luca Pacioli in San Bartolomeo gehaltene Eröffnungsrede zum beginnenden Semester an der Scuola del Rialto prosopographisch auswertet.
In der zweiten Sektion ("Dallo spazio urbano al luogo di culto: Committenze, artisti e opere") analysiert Donatella Calabi den merkantilen und urbanistischen Kontext des Fondaco und der Kirche im Rialto sowie die Wiederaufbaumaßnahmen nach dem Brand von 1505. Isabella di Lenardo untersucht die Kunstpatronage der verschiedenen deutschen Bruderschaften in der Kirche San Bartolomeo mit einem Fokus auf der Malerei. Im Anschluss konzentriert sich Valentina Sapienza auf die seit 1361 in San Bartolomeo ansässige Matthiasbruderschaft und den von ihr gestalteten Altar. Das Altarbild - der Heilige Matthias auf dem Weg (San Mattia in cammino) von Leonardo Corona (1595) - interpretiert Sapienza als Darstellung des langen Weges, auf dem die Bruderschaft nach Streitigkeiten und einem Rauswurf aus der Kirche wieder in sie zurückgelangte. Der Bruderschaft der Wollweber (fustagneri) war hingegen die erste Kapelle rechter Hand im Jahr 1503 zugewiesen worden. Ihrer Ausgestaltung und dem Einfluss anderer Bruderschaften geht Martina Frank nach und identifiziert, aufgrund eines Funds im Archiv der venezianischen Familie Manin und Stilanalysen, Giuseppe Pozzo als Architekten des Altars (1705). Der Neubau des Glockenturms der Kirche (1747-1754) ist hingegen - wie Massimo Favilla und Ruggero Rugolo in ihrem Beitrag nachweisen - dem Architekten Giovanni Maria Scarpato zuzuweisen.
Die dritte Sektion ("Dentro a San Bartolomeo: Vita religiosa e pastorale") ist dem innerkirchlichen Leben in San Bartolomeo gewidmet. Elena Quaranta untersucht die Musik und Liturgie an San Bartolomeo, die als Pfarrkirche die Besonderheit aufwies, direkt dem Patriarchen von Venedig unterstellt zu sein. Quaranta kommt aber letztlich zu dem Schluss, dass sich San Bartolomeo insgesamt im Einklang mit der venezianischen Praxis befunden habe. Silvia Pichi charakterisiert anschließend eingehend die verschiedenen Bruderschaften an San Bartolomeo, die sich aus den in Venedig ansässigen Arbeitern rekrutierten, und beschreibt für die Fraternitäten das Nebeneinander von professioneller Korporation und devotionellen Bedürfnissen. Beispielhaft präsentiert sie die Bruderschaft der Ballenbinder (ligadori) und ihre mariegola (dies der venezianische Begriff für ein Statutenbuch). Kommen so insbesondere die berufsspezifischen Gruppen in den Blick, so untersucht Michele Cassese das Leben der Lutheraner in San Bartolomeo vom sechzehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert, das von einer - im Vergleich mit anderen Städten - größeren Toleranz für den neuen Glauben getragen war. Diese sei in Venedig garantiert worden, solange die Ultramontanen keinen Anlass für Anstoß im öffentlichen Raum gegeben hätten ("[...] che questi oltramontani non dessero scandalo ne' luoghi publici [...]", 255). Wie Davide Trivellato aufzeigen kann, diente die Kirche San Bartolomeo im sechzehnten Jahrhundert auch dem Generalvikar des Patriarchen von Venedig als Ort, an dem er seine Kanzleiaktivität versah, sofern der Generalvikar auch Pfarrer dieser Kirche war. Dem Ende der Pfarrei San Bartolomeo geht abschließend Fabio Tonizzi im Rahmen einer Skizze der Biographie des letzten vicario perpetuo der Kirche, Bartolomeo Zender (1736-1821), nach.
Der mit einem wertvollen Dokumentenanhang, Farbabbildungen der Kunstwerke sowie Schemata in guter Qualität, englischen Abstracts der Beiträge und einer Gesamtbibliographie versehene Band arbeitet erstmals die Geschichte und Kunstgeschichte der Kirche San Bartolomeo auf und erweist sich zudem als wichtiger Baustein für die Geschichte der Deutschen in Venedig. Darüber hinaus sollte er zum Vergleich, beispielsweise mit der "deutschen Nationalkirche" in Rom, Santa Maria dell'Anima, anregen.
Tobias Daniels