Shireen Moosvi: People, Taxation and Trade in Mughal India, Oxford: Oxford University Press 2008, XXXV + 304 S., ISBN 978-0-19-806631-6, GBP 14,99
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Die 65-jährige Shireen Moosvi ist eine der ganz wenigen Professorinnen, die bisher an dem traditionsreichen Department of History der 1920 gegründeten Aligarh Muslim University gearbeitet haben. Sie steht damit in einer Reihe sehr illustrer Kollegen: Mohammad Habib, S.A. Rashid, Nurul Hasan, Satish Chandra, K.A. Nizami, Satish Chandra, Irfan Habib, M. Athar Ali und Athar Abbas Rizvi - Namen, die natürlich jeder kennt, der sich mit der Geschichte des Mogulreiches beschäftigt...
Vorgelegt hat sie nun eine Sammlung einiger der ihr offenbar wichtigen Aufsätze, die in den Jahren von 1982 bis 2002 an den unterschiedlichsten Orten publiziert worden sind. Da Shireen Moosvi - ganz in der Tradition des Geschichtsinstitutes in Aligarh - einen deutlichen Schwerpunkt in der Wirtschaftsgeschichte hat, bilden der erste Teil des Buches drei substantielle Beiträge zur ökonomischen Situation in Nordindien vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Neben einer quantitativen Studie, die den Versuch unternimmt, strukturelle Entwicklungen aus dem wenigen Datenmaterial abzuleiten, das auf uns gekommen ist ["The Indian Economic Experience, 1600-1900: A Quantitative Study" (1-34)] finden sich hier zum einen eine Einschätzung der Rolle, die der erhöhte Zufluss von Silber aus Europa nach der Eroberung Südamerikas für die Zusammenhänge auf dem Subkontinent spielte ["The Silver Influx, Money Supply, Prices and Revenue-Extraction in Mughal India" (35-80)], und zum anderen interessante Anmerkungen zu den Zinssätzen im 17. und 18. Jahrhundert ["A Note on Interest Rates in the Seventeenth and Early Eighteenth Centuries" (81-88)].
Ein zweiter Fokus der angesehenen Historikerin liegt auf der Erschließung neuen Quellenmaterials. Leider sind die umfangreichen Archive aus den Hauptstädten und den Provinzen bis auf ganz wenige Ausnahmen im Laufe der Zeit zerstört worden. Geblieben ist zunächst einmal umfangreiches Material aus der Dekkhan-Region, die man zurzeit in dem Andhra Pradesh Record Office in Hyderabad aufbewahrt. Diese Akten stammen aus der zentralen Verwaltung des Gouverneurs in Aurangabad, das während der letzten 30 Jahre der Herrschaft von Aurangzeb de facto als Hauptstadt des Reiches fungierte. Desweiteren existiert noch die Inayat Jang Collection in dem Nationalarchiv in Neu Delhi. Nach 25 Jahren steht man mittlerweile kurz davor, die 137.000 Einzelstücke aufgenommen und katalogisiert zu haben. Und schließlich haben wir noch die reiche Sammlung von Fermanen, Erlassen, Anordnungen und Berichten aus Amber, die sich heute in den State Archives von Rajasthan in Bikaner befinden.
In dem "Taxation and Imperial Finance" überschriebenen dritten Teil ihres Werkes widmet sich Shireen Moosvi der Aufbereitung und Interpretation einzelner Dokumente, wobei sie dem Leser in der Regel auch jeweils sehr nützliche Übersetzungen an die Hand gibt. In "Problems of Mughal Revenue Administration. Todarmal's Original Memorandum, March 1582" (159-174) behandelt sie beispielsweise die zufällig im Anhang zu einer Handschrift des von Abu l-Fazl Allami (gest. 1602) verfassten "Akbarnama" im Original erhaltenen Vorschläge des Finanzministers Todar Mal (gest. 1586) zur Reform der Fiskalverwaltung (British Library, Add. 27247, ff. 31b-32b). Ebenso spannend sind die Anordnungen bezüglich einiger Steuerregularien, die Aurangzeb 1665 einem Verwaltungsbeamten namens Rasikdas zukommen ließ. ["Reforming Revenue Administration. Aurangzeb's Farman to Rasikdas, 1665" (175-185)] Da aus den 70 Jahren vor der Abfassung dieses Fermans keinerlei ähnliches Material erhalten blieb, ist das Dokument natürlich besonders wertvoll. Auf der Basis von neun verfügbaren Abschriften hat Moosvi eine ausgezeichnete Übertragung in die englische Sprache machen können. Wie die von Akbar initiierte flächendeckende Finanzreform in den Provinzen umgesetzt wurde, kann man schließlich sehr schön einem weiteren Erlass entnehmen, den Shah Jahan 1633 nach Kashmir schicken ließ. ["A Programm of Reliefs for the People of Kashmir: An Imperial Edict to Shahjahan" (186-198)] Abu l-Fazl gibt uns zwar ein paar Informationen über die Einführung des herrscherlichen Steuersystems nach der Eroberung der Region durch Akbar im Jahr 1586. Der Padishah selbst kontrollierte die Ergebnisse während dreier Inspektionsreisen 1589, 1592 und 1597. Von dem langfristigen Erfolg erfahren wir jedoch erst aus dem genannten Dokument, das in drei unterschiedlichen Fassungen vorliegt.
Die übrigen drei Artikel dieses Abschnittes befassen sich dann noch mit einem Aspekt der von Shah Jahan verfolgten Baupolitik ["Expenditure on Buildings under Shahjahan: A Chapter of Imperial Financial History" (199-212)], der komplexen ökonomischen Situation der Mogulherrscher auf dem Dekkhan ["The Mughal Empire and the Deccan. Economic Factors and Consequences" (213-228)] und der massiven Finanzkrise in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ["Scarcities, Prices and Exploitation: 'The Agrarian Crisis', 1658-70" (229-242)], die Moosvi als "a watershed between the earlier and more vigorous phase of Mughal Indian economy and its later phase of decline" (242) ansieht.
Sehr originell sind die vier Abhandlungen, die unter dem Titel "Ecology, Demography and Gender" zusammengefasst sind. Sehr weit gesteckt sind die Ausführungen zu "Ecology, Population Distribution and Settlement Pattern in Mughal India" (89-102), "Data on Mughal-Period Vital Statistics. A Preliminary Survey of Usable Information" (103-118) und "Urban Population in Pre-Colonial India" (119-134). Näher anzuschauen lohnt sich vor allem der Beitrag über "Work and Gender in Mughal India" (135-157). Auch hier haben wir es mit einer überaus problematischen Quellenlage zu tun. Neben Abu l-Fazl Allamis "A'in-i Akbari" (ca. 1595) schien es nicht viel zu geben. Insofern kann es nur begrüßt werden, dass Shireen Moosvi auf ein illustriertes Unikat von Muhammad Shadiyabadis "Miftah al-Fuzala" gestoßen ist, das der Autor 1468-69 in Malwa ausdrücklich mit dem Ziel verfasst hat, Worte, die mit dem Alltagsleben zu tun haben, näher zu erläutern. Ergänzend nimmt sie zum einen ein 1825 von James Skinner (1778-1841) in Haryana auf Persisch geschriebenes und exzellent bebildertes Werk ("Tashrih al-Awqam") über die verschiedenen Kasten hinzu. Zum anderen zieht sie noch Francis Buchanans (lebte 1769-1829) "A Journey from Madras" (1800-01) und seine detaillierten, zwischen 1806 und 1812 durchgeführten Surveys hinzu. So kann Moosvi eine Reihe von faszinierenden Erkenntnissen über die Arbeitswelten von Frauen zur Mogulzeit gewinnen.
Im Mittelpunkt eines abschließenden vierten Blocks steht die Beziehung des Mogulreiches zum Meer. Die Verf. möchte zwar nicht die weithin vertretene Grundannahme bestreiten, dass die Politik des muslimischen Herrschaftsverbandes eher auf den Subkontinent ausgerichtet war als auf den Indischen Ozean. Dennoch partizipierte man natürlich an dem transregionalen Handel und kontrollierte nach der Einnahme von Surat 1573 einen der wichtigsten Häfen an der Westküste Indiens. In ihrem Artikel "Shipping and Navigation under Akbar" (243-256) verdeutlicht sie das Verhältnis der Elite zum Wasser sehr schön am Beispiel der Wallfahrt der herrscherlichen Familie. Kenntnisse über die zeitgenössischen Schiffe beruhen in der Regel auf der Beschreibung in europäischen Quellen. Aus diesem Grund sind die Informationen, die Moosvi einer bis zur Veröffentlichung ihres Aufsatzes unbekannten Handschrift (Bibliothèque Nationale, Blochet, Suppl. Pers. 482) entnehmen kann, von großem Wert. ["Mughal Shipping at Surat in the First Half of Seventeenth Century" (257-174)] Ein unbekannter Beamter hatte 1647 eine größere Anzahl von Dokumenten aus der Regierungszeit von Jahangir und Shah Jahan zusammengestellt, die alle in irgendeiner Beziehung zu Surat standen. Das von Moosvi näher untersuchte und übersetzte Material hat drei mogulzeitliche Schiffstypen ("Shahi", "Ganjawar" und "Sahibi") zum Gegenstand. Ebenso aufschlussreich ist die Auswertung von anderen Dokumenten, die das soziale Leben in der Hafenstadt Surat beleuchten. ["Travails of a Mercantile Community. Aspects of Social Life at the Port of Surat (Earlier Half of the Seventeenth Century)" (275-287)] Anhand dreier Eheverträge führt uns Moosvi die Lage von Frauen aus der städtischen Mittel- und Unterschicht vor Augen. Der Sammelband schließt mit einem kurzen Beitrag zum Thema: "Gujarat Ports and their Hinterland: The Economic Relationship" (288-296).
Alles in allem können wir sehr froh sein, dass nun 16 Aufsätze aus der Feder einer der großen Damen der indischen Mogulforschung gebündelt zur Verfügung stehen. Auch wenn man einigen Schlussfolgerungen aufgrund der Dürftigkeit der zur Verfügung stehenden Daten durchaus skeptisch gegenüberstehen kann, bieten vor allem die auf der Analyse einzelner neuen Quellen basierenden Beiträge zahlreiche neue Einsichten.
Stephan Conermann