Ignacio Czeguhn / José Antonio López Nevot / Antonio Sánchez Aranda u.a. (Hgg.): Die Höchstgerichtsbarkeit im Zeitalter Karls V. Eine vergleichende Betrachtung (= Schriftenreihe des Zentrums für rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung Würzburg; Bd. 4), Baden-Baden: NOMOS 2011, 339 S., ISBN 978-3-8329-6146-6, EUR 79,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ludolf Pelizaeus (éd.): Les villes des Habsbourg du XVe au XIXe siècle. Communication, art et pouvoir dans les réseaux urbains, Reims Cedex: ÉPURE - Éditions et Presses universitaires de Reims 2021
Yolanda Rodríguez Pérez: The Dutch Revolt through Spanish Eyes. Self and Other in historical and literary texts of Golden Age Spain (c. 1548-1673), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008
Markus Reinbold: Philipp II. von Spanien. Machtpolitik und Glaubenskampf, Gleichen: Muster-Schmidt 2009
Ignacio Czeguhn / Heiner Lück (Hgg.): Kaiser Karl V. und das Heilige Römische Reich. Normativität und Strukturwandel eines imperialen Herrschaftssystems am Beginn der Neuzeit, Stuttgart: S. Hirzel 2022
Anja Amend-Traut / Ignacio Czeguhn / Peter Oestmann (Hgg.): Urteiler, Richter, Spruchkörper. Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021
Der Sammelband erweckt schon wegen seines ambitionierten Titels ein erhöhtes Interesse, können Leserinnen und Leser doch eine zumindest Europa umfassende vergleichende Betrachtung der Höchstgerichtsbarkeiten in wenigstens einigen der zahlreichen politischen Gebilde der Alten Welt erhoffen. Der Blick auf das Inhaltsverzeichnis dämpft diese Erwartungen, denn es gibt Beiträge zum Reichskammergericht (Jürgen Weitzel, Ignacio Czeguhn), zum Reichshofrat (Wolfgang Sellert, Eva Ortlieb) und zur obersten Justiz im Königreich Kastilien-León (José Antonio López Nevot, Antonio Sánchez Aranda, Carlos Garriga, Pedro Ortego Gil, Alejandro Martínez Dhier) sowie zu anderen Fragen der Justiz, nämlich zur Wiederbesiedlung der nach der Vertreibung der Morisken in den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts in Granada frei gewordenen Landstriche (Yolanda Quesada Morillas), zur Konzeption der Justiz bei Karl V. (Ricardo de la Blanca Torres) und zu den Bemühungen während der Regierungszeit dieses Herrschers, die gesamten Gesetze von Kastilien-León zu sammeln (María José María e Izquierdo). Nach dieser Aufzählung der einzelnen Beiträge wirkt der dritte Satz des Vorwortes der vier Herausgeber des Bandes recht rätselhaft, heißt es doch dort: "Mit Karl V. befanden sich insgesamt fünf Höchstgerichte in Spanien, dem heutigen Belgien und dem Heiligen Römischen Reich [...] in der Hand eines Herrschers[,] und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem der Kaiser oder König höchster Richter war" (7). Mit "dem heutigen Belgien" sind wohl die Territorien des Niederländischen Reichskreises gemeint, zu denen auch die heutigen Niederlande, Luxemburg und Teile des Nordostens des heutigen Frankreichs gehörten.
Abgesehen davon, dass die Höchstgerichtsbarkeit in den habsburgischen Niederen Landen im Band gar nicht problematisiert wird, erweckt die nicht weiter erläuterte Zahl "fünf" enorme Unsicherheit. Welche fünf Höchstgerichte meinen die Herausgeber? Auf diese Zahl kommt der Rezensent beim besten Willen nicht. Denn sollten sich die Herausgeber auf die Appellationsgerichtshöfe in den Territorien der zusammengesetzten spanischen Monarchie beziehen, was die Beiträge von Martínez Dhier über die Real Audiencia und Chancillería von Granada und jener von Ortego Gil über die Audiencia von Galicien nahezulegen scheinen, wird die Zahl der obersten Gerichtshöfe bedeutend höher. Es sei daran erinnert, dass schon Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien 1489 die Real Audiencia und Chancillería von Valladolid als obersten Gerichtshof begründeten, danach jene von Ciudad Real, später transferiert nach Granada (1494 bzw. 1505), die Audiencia von Zaragoza, die von Barcelona (beide 1493) sowie jene von Valencia (1507). Bereits 1511 richtete König Ferdinand II. einen eigenen Appellationsgerichtshof in der Neuen Welt ein, die Audiencia von Santo Domingo. Unter Karl V. wurde kurz nach der Eroberung des Aztekenreiches in der Stadt México 1527 ein Appellationsgerichtshof geschaffen, weitere derartige Gerichtshöfe in Neu-Spanien entstanden 1542 in Guatemala und 1548 in Guadalajara. Im Bereich des späteren Vizekönigreiches Perú gab es ab 1535 die erste Audiencia in Panamá, 1542 folgte Lima und 1548 Santa Fe de Bogotá. Unter Philipp II. wurden noch weitere Appellationsgerichtshöfe begründet, doch das tut hier nichts zur Sache. Die Frage bleibt unbeantwortet: Was meint die Zahl "fünf"?
Auf den Inhalt der einzelnen Beiträge muss hier nicht zu genau eingegangen werden. Weitzel schreibt in deutscher Sprache über Rechtsmittel zum und am Reichskammergericht, bei diesem Themenbereich ist er seit mindestens vierzig Jahren durch Monographien und Aufsätze bestens ausgewiesen. Ähnliches gilt für die Beiträge von Sellert und Ortlieb, deren Werke allen bestens bekannt sind, die sich mit dem Reichshofrat beschäftigen. Bei den drei Artikeln verwundert allerdings, dass ihnen jeweils eine englische Zusammenfassung nachgestellt wurde. Eine Zusammenfassung in spanischer Sprache hätte die Bedürfnisse der potentiellen LeserInnen des Bandes wohl besser getroffen. Aber gut, englische Zusammenfassungen haben auch die restlichen Artikel, die mit einer noch zu nennenden Ausnahme in spanischer Sprache verfasst sind. Diese englischen Zusammenfassungen scheinen die neueste Forschungspolitik widerzuspiegeln, die der englischen Sprache immer mehr an Vorrang einräumt. Wer sich mit der Zeit Karls V. beschäftigt, muss aber wohl zwangsläufig Spanisch und / oder Deutsch können, also wäre es mit Blick auf den potentiellen LeserInnenkreis besser gewesen, die jeweiligen Artikel mit deutschen oder spanischen Zusammenfassungen zu versehen.
Nun zu den spanischsprachigen Artikeln. Czeguhn stützt sich bei seinem kurzen Beitrag über die Organisation und Entwicklung des Reichskammergerichts mehrheitlich auf gedruckte Literatur. Ihm ist allerdings zugute zu halten, dass es nach Wissen des Rezensenten über das Reichskammergericht in spanischer Sprache nahezu keine Literatur gibt. Falls spanischsprachige WissenschaftlerInnen das Buch also entdecken sollten, könnten sie aus dem Artikel durchaus Gewinn schöpfen. Die folgenden fünf Beiträge bringen erstmals wirklich einige neue Forschungsergebnisse. Es sind dies die Aufsätze von López Nevot über das Verhältnis zwischen munizipaler und oberster Justiz in Kastilien, von Sánchez Aranda über die prozessualen Reformen in der obersten kastilischen Justiz, von Garriga über die Konsolidierung der obersten Justiz in Kastilien, von Martínez Dhier über die Ordenanzas der Audiencia und Chancillería von Granada und vor allem von Ortego Gil über die Audiencia von Galizien. Der letztgenannte Beitrag, mit seinen fast hundert Seiten wahrlich ein Buch im Buche, ist wirklich spannend zu lesen, bringt viel Neues und hat seine Berechtigung im Band, obwohl die Audiencia erst 1563 unter Philipp II., dem Sohn des Kaisers, gegründet wurde, weil der Weg hin zur Entstehung dieser Audiencia unter Karl V. detailreich geschildert wird. Der Artikel verdient zweifellos eine breite Rezeption.
Der Beitrag von Quesada Morillas über den Consejo de Población (Rat der Besiedlung) im Königreich Granada in der Regierungszeit Philipps II. überschreitet den zeitlichen Rahmen, der im Buchtitel vorgegeben scheint, eindeutig. Zudem handelt es sich bei diesem Werk größtenteils um ein Exzerpt eines umfangreicheren Artikels, der 2008 in Spanisch im Internet publiziert wurde. [1] Ein erkennbarer Fortschritt für die Wissenschaften ist durch den drei Jahre später erfolgten Nachdruck in einer anderen Sprache nicht zu erkennen, sondern es entstehen höchstens neue terminologische Zweifel. Denn 2008 nannte die Autorin in ihrem dem Artikel beigegebenen englischen Abstract das Ratsgremium noch "Council of Population", während in der Version von 2011 von einem "Council of Repopulation" gesprochen wird.
Auf die beiden Miszellen von de la Blanca Torres und María e Izquierdo ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen (nicht unerwähnt dagegen kann bleiben, dass der Name der letztgenannten Autorin im Inhaltsverzeichnis verstümmelt wiedergegeben wird). Es bleibt nur noch die Frage nach einem abschließenden Urteil. Nun, das Buch ist, wie mancher Sammelband, der auf einem Symposion basiert - im vorliegenden Fall war dies ein Treffen in Granada im Jahre 2008 - sehr heterogen. Hervorragende Forschungsartikel stehen neben zusammenfassenden allgemeinen Beiträgen. Hier wären die Herausgeber gefordert gewesen, zumindest in ihrer Einleitung eine größere Kontextualisierung der einzelnen Artikel zu erstellen. Vor allem aber bleibt die Ankündigung im Untertitel des Bandes ("Eine vergleichende Betrachtung") ein leeres Versprechen. Denn die vergleichende Betrachtung bieten weder die AutorInnen noch die Herausgeber. Wir haben wieder einmal einen Band vor uns, in dem, um ein Bild aus einem kommerziellen Werbesujet in übertragener Form zu übernehmen, das nicht drin ist, was draußen drauf steht.
Anmerkung:
[1] Yolanda Quesada Morillas: Los moriscos del Reino de Granada: su expulsión y el Consejo de Población, in: Revista Electrónica de la Facultad de Derecho de la Universidad de Granada, Oktober 2008, http://www.refdugr.com/documentos/articulos/26.pdf (zuletzt aufgerufen am 10.8.2013).
Friedrich Edelmayer