Ilya V. Gaiduk: Divided Together. The United States and the Soviet Union in the United Nations, 1945 - 1965 (= Cold War International History Project Series), Stanford, CA: Stanford University Press 2012, XXI + 328 S., ISBN 978-0-8047-8292-0, USD 60,00
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Die UNO habe ihr Hauptquartier in den späten 1950er Jahren nach amerikanischen und sowjetischen Anregungen nach Berlin verlegen wollen, um die Deutsche Frage zu lösen. Das berichtet Ilya Gaiduk einleitend (1), wenn er sich über den Mangel an Kenntnis und Interesse über die UN-Geschichte auch in Fachkreise beklagt - der Rezensent fühlt sich eingeschlossen. Im Text finde ich dann aber nur eine russische Aufzeichnung über ein (folgenloses) Gespräch Nikita Chruschtschows mit UN-Generalsekretär U Thant vom August 1962 genau zu diesem Thema(285f.). Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass der Verfasser, einer der besten russischen Kenner des Kalten Krieges, in Moskau tätig, aber sehr gut verwurzelt in der entsprechenden US-Szene, zumal um das Washingtoner Woodrow Wilson Center, vor der Publikation des Bandes starb. So sind dem Buch auch zwei ehrende und persönliche Vorworte/Nachrufe von Christian Ostermann und James Hershberg beigegeben.
Gaiduk, ein im persönlichen Umgang sehr gewinnender Historiker, war bekannt geworden durch zwei Bände über die Sowjetunion und den Vietnamkrieg. Nun legt er nicht etwa eine Geschichte der sowjetischen UN-Politik in deren ersten Jahrzehnten vor, sondern eine gleichgewichtete Geschichte der Aktionen der beiden Supermächte, ja die USA sind sogar auf dem Schutzumschlag - nachvollziehbar - mit größeren Schrifttypen bedacht worden. Die letzte Monographie zum Thema Sowjetunion und UN gab es 1962 von Alexander Dallin; Gaiduks Arbeit läuft in manchem parallel zu der immer noch in diesem methodischen Ansatz führenden zweibändigen Arbeit des britischen Diplomaten Evan Luard [1]. Aber Gaiduk hat sich gründlich in US-amerikanischen, russischen und auch britischen Archiven umgesehen und liefert so zumal für die Sowjetunion viele interessante Einzelheiten, viele neue Zitate und Einschätzungen zumal Stalins.
Insgesamt schreibt Gaiduk eine fein ziselierte Diplomatiegeschichte, nimmt das Forum der UN zum Anlass, die jeweilige Politik der Großmächte und deren Interaktionen zu verdeutlichen. Das beginnt mit den Nachkriegsplanungen, geht über Dumbarton Oaks 1944, San Francisco 1945 zu der dann ab 1946 aktiv in die Weltpolitik eingreifenden UNO. Allerdings erwies sich deren erste Aktion gerade gegen die Sowjetunion in der Iranfrage als wenig hilfreich für die Durchsetzungskraft einer Organisation, die doch in manchem als Instrument einer von den Großmächten geführten Weltordnung gedacht war. Im Palästinakonflikt 1946/48 liefen die Fronten jedoch anders, ebenso wie acht Jahre später in der Suezkrise, als die USA und die Sowjetunion gegen das spätkoloniale Abenteuer Frankreichs und Großbritanniens vorgingen - nur dem Anschein nach jedoch gemeinschaftlich. Ansonsten herrschte nach diesem "tense opening" von 1946 bald eine weitgehende Konfrontation, die Gaiduk mit US-Rhetorik versus sowjetischer Propaganda auf den Begriff bringt.
Wir erfahren viel über den bürokratischen Betrieb, die Wahlen zu Sicherheitsrat und Vollversammlung, die Querelen um den Generalsekretär - Trygve Lie wurde ab 1950 nach seiner Politik im Korea-Krieg ebenso von Moskau geschnitten wie Dag Hammarskjöld in der Kongokrise; nur sein Unfalltod konnte die Blockade lösen. "Frost, Thaw, and Crises" steht über einem Kapitel der fünfziger Jahre, könnte aber auch für weite Strecken der Gesamtperiode in Gaiduks Buch gelten. Stalin betrieb in den letzten Jahren vor seinem Tod 1953 eine sehr konfrontative UN-Politik, ließ darüber hinaus auch kleinere Staaten herablassend behandeln. Das änderte sich unter seinen Nachfolgern. Aber die Sowjetunion als Champion des antiimperialistischen Kampfes hatte dennoch Schwierigkeiten, Gefolgschaft unter den dekolonisierten Staaten zu finden. Am deutlichsten wurde das bei Chruschtschows Dekolonisierungsrede vor der Vollversammlung 1960, als eben nicht der sowjetische Resolutionsentwurf mit Forderungen nach sofortiger Unabhängigkeit aller Kolonien angenommen wurde, sondern ein ähnlicher, von Dritte-Welt-Staaten entworfener, dem auch die USA zustimmen konnten. Doch das hat man anderswo auch schon gründlich gelesen.
Am spannendsten finde ich die seit dem Sieg der chinesischen Kommunisten im Bürgerkrieg laufenden sowjetischen Bemühungen um die Ersetzung der Republik China/Taiwan durch die Volksrepublik China, für die auch viele Quellen zu den bilateralen Beziehungen Moskau-Beijing präsentiert werden. Neu sind auch die bis in die späten fünfziger Jahre wenig ausgeprägten Versuche, die Ostblockstaaten unmittelbar zu koordinieren - dazu gab es (Vor-)Konferenzen in Prag. Besonderes Augenmerk legt Gaiduk auf die gelegentlichen Erfolge Moskaus, etwa in der Vollversammlung mehr Staaten hinter eigene Resolutionen zu versammeln und damit das fortschrittliche Lager zu stärken.
Insgesamt aber kontextualisiert Gaiduk wenig, auch nicht die großen Krisen. Meist zieht er sich hinter zusammenfassenden Meinungen US-kritischer westlicher Autoren zurück oder betont, da gäbe es Kontroversen. Vorbehalte gegenüber jüngerer russischer Apologie der Sowjetzeit findet sich auch einmal. Es gibt Kritik am Diktator Stalin, an Chruschtschows erratischem Vorgehen, aber gleichsam paritätisches Bemängeln der Politik der beiden Supermächte. Ein starker Impuls geht dahin, die Sowjetunion als reagierend und die USA als offensiv agierend darzustellen. Dem mag man nicht immer zustimmen, aber anregend ist diese Perspektive allemal. Über die revolutionäre oder gar imperialistische Politik Moskaus lässt sich Gaiduk kaum aus. "Overall the two countries' attitudes and policies towards the UN had striking similarities and developed in parallel to a certain extent... American and Soviet tactics in the UN also often resembled one another. Each was prepared to resort to all kind of maneuvers - flattery, persuasion, and even outright pressure - with the purpose of rallying the votes of other members in support of their respective positions" (302). "To a certain extent" - über die Grenzen dieser Übereinstimmung hätte man sich in dieser Schlusszusammenfassung, aber auch durchgängig im Text, mehr Auskunft gewünscht.
Ab 1965 begann für Gaiduk eine neue Phase der UN-Geschichte mit eher unpolitischen Themen - genau diese stehen aber mittlerweile im Vordergrund neuerer Ansätze der UN-Geschichte etwa im UN-Intellectual History Project (http://www.unhistory.org/). Sie erweisen sich freilich gar nicht als so unpolitisch und haben ihre Wurzeln durchaus in den ersten beiden Jahrzehnten der UN. Was Gaiduk hier liefert, ist eine gründlich den internationalen Forschungsstand aufnehmende und zahlreiche Quellen, zumal sowjetischer Provenienz, erschließende Arbeit, die bleibende Nützlichkeit haben wird. Schade, dass dies die letzte Arbeit dieses russischen Historikers war.
Anmerkung:
[1] Alexander Dallin: The Soviet Union at the United Nations. An Inquiry into Soviet Motives and Objectives, New York 1962; Evan Luard: A History of the United Nations, Vol 1: The Years of Western Domination, 1945-1955, London 1982; ders.: A History of the United Nations, Vol 2: The Age of Decolonization, 1955-1965, London 1989.
Jost Dülffer