Sudhir Hazareesingh: In the Shadow of the General. Modern France and the Myth of De Gaulle, Oxford: Oxford University Press 2012, XIV + 238 S., ISBN 978-0-1953-0888-4, GBP 18,99
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Wer ein gutes Buch über Charles de Gaulle erwartet, liegt mit der jüngsten Studie des in Oxford lehrenden Politologen Sudhir Hazareesingh daneben und sollte lieber auf die Biographien von Éric Roussel oder, als nicht-französischer Leser, von Jonathan Fenby zurückgreifen [1]. Im Mittelpunkt von Hazareesinghs lesenswerter Studie steht allerdings nicht der Mensch, sondern der Mythos de Gaulle, der in der französischen Öffentlichkeit zu seinen Lebzeiten und vor allem nach dem Tod des Präsidenten der V. Republik 1970 entstanden ist. Insofern handelt es sich um einen Beitrag zu der seit den 1980er Jahren laufenden Debatte über den Umgang mit der französischen Geschichte seit der Zeit der Besatzung, der Kollaboration und der Résistance. [2] Hazareesinghs Ziel ist es nicht, den Mythos zu entlarven, sondern sich auf ihn einzulassen - "to occupy the whole of its physical, intellectual, and emotional space" (6) -, um die Mechanismen der Mythenbildung offenzulegen. Methodisch bewegt er sich damit an der Schnittstelle von Kultur- und Politikgeschichte.
Hazareesingh nähert sich seinem Thema auf unterschiedlichen empirischen Ebenen, die sich in der systematischen Kriterien folgenden Gliederung der Arbeit widerspiegeln. In einem ersten Schritt (Kapitel 2) gilt sein Interesse der Person als "myth-maker" (Maurice Agulhon [3]) in eigener Sache. De Gaulles Aufruf zum Widerstand am 18. Juni 1940 bildete nur den Auftakt; Reisen quer durch Frankreich nach der Befreiung im August 1944 und sorgsam inszenierte Auftritte als Chef der Provisorischen Regierung in Paris ließen nach und nach das Bild einer Republik entstehen, deren Einheit der General verkörperte.
Die Memoiren, die er nach seinem Rücktritt im Januar 1946 verfasste und ab 1954 veröffentlichte, lieferten den Franzosen, wie Hazareesingh dann herausarbeitet (Kapitel 3), eine erste kohärente Deutung der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, in der sich de Gaulle als Personifizierung des nationalen Willens und als Schlüsselfigur der Résistance präsentierte. Das Werk markiere, so lautet die These, "the true takeoff point of the Gaullian myth" (56). Nach de Gaulles Rückkehr an die Macht 1958 untermauerten seine am 18. Juni wiederkehrenden Besuche der 1960 eingeweihten Gedenkstätte des Freien Frankreichs am Mont Valérien und die mediale Inszenierung seines Privathauses La Boissière in Colombey-les-Deux-Églises als kräftespendendes Refugium diesen Mythos (Kapitel 4).
Die Auswertung Tausender privater Briefe an de Gaulle zeigt besonders eindrucksvoll, wie die Bevölkerung seine Nähe suchte (5. Kapitel). Der General wurde als gütiger "Father of the Nation" kanonisiert und religiös überhöht. Die gemeinsame Trauer nach seinem Tod "sealed the General's mythical status once and for all in the national consciousness and imagination" (111) und ließ die Kritik an seinem autoritären Vorgehen gegen die Studentenproteste im Mai 1968 und die Schmach seines Rücktritts 1969 verblassen - das zeigt der aufschlussreiche Blick in die Kondolenzbücher. De Gaulles Landhaus im Département Haute-Marne, in dem er 1958 als einzigen ausländischen Gast Konrad Adenauer empfangen hatte, wurde fortan zu einer Pilgerstätte.
In den 1990er Jahren mutierte de Gaulle endgültig von einer großen historischen Figur zu einer politischen Legende, zur Personifizierung des politischen Systems, zu einer emblematischen Figur in Frankreich, ja der Welt. Das liegt daran, so argumentiert der Politologe, dass die Schlüsselwerte des Gaullismus - starker Staat, Verteidigung der Nation, Verkörperung der Republik durch ihren Präsidenten - zu Bestandteilen der politischen Kultur in Frankreich geworden sind. Ob im öffentlichen Raum, im Bildungswesen oder in der Geschichtswissenschaft: De Gaulle war allgegenwärtig. Das vorläufige Endergebnis dieser Arbeit am Mythos sieht Hazareesingh darin, dass sein Protagonist zu einem Objekt der Belletristik, des Theaters, des Comics gar geworden ist.
Auch wenn de Gaulle und staatliche Institutionen die Mythenbildung nach Kräften vorangetrieben haben, verwirft Hazareesingh zu Recht den reduktionistischen Gedanken der Manipulation "von oben" zugunsten einer Erklärung, die auf die Gefühle zielt, die jenen Mythos nicht zuletzt wegen seiner subversiven Elemente "von unten" getragen haben. Nur so kann er das Paradoxon erklären, dass de Gaulle in dem Moment zur Legende wurde, als er als politische Kraft ausgespielt hatte. Die maßgeblichen Bedingungsfaktoren ergeben sich aus dem jeweiligen historischen Kontext. Der Mythos verlieh der zeitgenössischen Gegenwart einen Sinn, indem er de Gaulle als Verkörperung der nationalen Versöhnung präsentierte und, auf lange Sicht, die Kluft zwischen Rechts und Links überbrückte, die Frankreich seit 1789 gespalten hatte: Er verschob die Grenzen innerhalb der politischen Lager, versöhnte die Rechte mit der Republik und die Linke mit der Nation (179). Dass der Gaullismus die Entwicklung einer partizipativen politischen Kultur erschwert hat - man denke an Sarkozys Präsidialstil -, fällt für den Politikwissenschaftler dagegen weit weniger ins Gewicht.
Hier setzt die Kritik an. Zum einen ist der teleologische bias nicht zu übersehen: Das Argument erklärt die Entstehung und Entwicklung einer erfolgreichen Arbeit am Mythos, dessen Wirkungsmacht zu Beginn des 21. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht hat. De Gaulles Mythos sei am Ende nationalisiert, universalisiert, privatisiert (170, vgl. 146). Bei soviel mythischer Wirkungsmacht bleibt für widerstreitende Interpretationen der Kriegs- und Nachkriegsjahre zu wenig Platz. Dabei hätten insbesondere die Deutungskonflikte, in die Gaullisten und Neo-Gaullisten mit ihren Widersachern gerieten, wertvolle Hinweise auf die Durchsetzung des Mythos geben können. Das betrifft sowohl die Linke (die Kommunisten in der PCF und der Gewerkschaft CGT, die die Macht eines Einzelnen und den Kapitalismus ablehnten) als auch die Rechte (in der Tradition des Vichy-Regimes oder der Pieds-noirs).
Zum anderen hätte eine explizite und stringente Konzeptualisierung hier gegensteuern können. Hazareesingh verwendet ganz unterschiedliche Leitbegriffe wie Mythos, Charisma, säkulare Religion oder Kult, ohne sie systematisch zu diskutieren und für seine Analyse zu nutzen. Auch der wiederkehrende, bereits zeitgenössische Vergleich von de Gaulle und Napoleon bzw. von Gaullismus und Bonapartismus (v.a. 176 f.), kommt eher beiläufig daher. So hätte man anhand des Phänomens de Gaulle Zuschreibungs- und (Wieder-) Aneignungsprozesse, den Gebrauch von Geschichte zu parteipolitischen Zwecken, die Verformbarkeit des historischen Stoffes oder auch die Bedeutung des Generationswandels noch stärker herausarbeiten können.
Ungeachtet dieser Anregungen ist die gut strukturierte und klar argumentierende Studie ein Gewinn für unser Verständnis der Vergegenwärtigung von Vergangenheit in Frankreich, von der politischen Kultur der V. Republik und von Gründungsmythen, die im Zweiten Weltkrieg wurzeln. Es ist deshalb gut, dass die zunächst auf Französisch erschienene Arbeit jetzt auch auf Englisch vorliegt und, so steht zu hoffen, ein noch größeres Publikum erreicht. Sicher ist, dass der Band eines Tages selbst Teil jener Geschichte zweiten Grades (Pierre Nora) sein wird, die er analysiert.
Anmerkungen:
[1] Éric Roussel: De Gaulle, Paris 2002; Jonathan Fenby: The General: Charles de Gaulle and the France He Saved, New York 2012.
[2] Vgl. nur Henry Rousso: Le Syndrome de Vichy 1944-1987, Paris 1987; Olivier Wieviorka: La Mémoire désunie. Le souvenir politique des années sombres, de la Libération à nos jours, Paris 2010.
[3] Maurice Agulhon: De Gaulle. Histoire, symbole, mythe, Paris 2000.
Jörg Echternkamp