Antje Losfeld / Christophe Losfeld (Hgg.): Die Grand Tour des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau und des Prinzen Johann Georg durch Europa. Aufgezeichnet im Reisejournal des Georg Heinrich von Berenhorst 1765 bis 1768, Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2012, 2 Bde., XXX + 658 S., 45 Farbabb., ISBN 978-3-89812-931-2, EUR 49,95
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Seit drei bis vier Jahrzehnten lässt sich eine rege Erforschung historischer Reisen und Reiseberichte registrieren, zu der Historiker, Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker und andere beigetragen haben und weiterhin beitragen. Das Forschungsfeld ist inzwischen sehr umfangreich und mithin unübersichtlich geworden. Als ein großes Zeitalter des Reisens wie auch des Reiseberichtes zeichnet sich jedenfalls das 18. Jahrhundert ab: ein Zeitalter, in dem der Kulturtätigkeit des Reisens eine besonders hohe Wertschätzung entgegengebracht wurde und außerdem auch die Vorstellung bestand, es sei von immenser Bedeutung, dass diejenigen, die das Privileg des Reisens genießen konnten, die menschheitlich wichtige Aufgabe hätten, ihre Erfahrungen und Meinungen zu publizieren und der Lesewelt bekannt zu machen.
Die Forschungstätigkeit der zurückliegenden Jahrzehnte hat nicht nur wichtige inhaltliche Ergebnisse aus der Analyse von Reiseberichten (wie auch, am Rande, unter Auswertung der sachlichen Relikte der Reisekultur) erbracht, sondern auch das Desiderat einer umfassenden Bestandsaufnahme dieser Quellen deutlicher hervortreten sowie den Appetit auf bisher unpublizierte Reiseberichte wachsen lassen. Auch aus einem Zeitalter, das massenhaft Reiseberichte zum Druck gebracht hat, schlummern in den Archiven noch unpublizierte Quellen, die zumindest von historischem Interesse sind und auf die freudige Erwartung der Wissenschaft wie auch eines einschlägigen Lesepublikums rechnen können. So ist auch die hier vorgelegte Edition höchst willkommen.
Sie betrifft die Reise jenes Fürsten Franz von Anhalt-Dessau, den Zeitgenossen als einen Aufklärer auf dem Thron zu schätzen wussten und der der Nachwelt vor allem als Schöpfer des Gartenreiches von Dessau-Wörlitz ein Begriff ist. An der Reise, welche zwischen 1765 und 1768 nach Italien (bis Neapel und Paestum), durch Frankreich und schließlich nach England führte, nahm neben Franz auch dessen Bruder Johann Georg sowie der Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff teil, dessen eigener Reisebericht, Italien betreffend, vor einigen Jahren ebenfalls publiziert wurde. [1] Ferner gehörte auch Georg Heinrich von Berenhorst als Hofmeister des Prinzen Johann Georg zur inkognito reisenden fürstlichen Reisegesellschaft.
Berenhorst, ein unehelicher Sohn des 'Alten Dessauers', des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau, ist der Autor dieses nun vorgelegten Kavalierstourberichtes. Er lebte von 1733 bis 1814, schlug zunächst die militärische Karriere ein, nahm als Offizier in preußischen Diensten an verschiedenen Schlachten des Siebenjährigen Krieges teil (Lobositz, Prag, Kolin, Roßbach), wurde Stabsoffizier bei Prinz Heinrich von Preußen, dann in den Stab Friedrichs des Großen berufen, bei dem er jedoch in Ungnade fiel und 1762 um seinen Abschied ersuchte. Am Dessauer Hof wurde er Kammerherr und Schlosshauptmann, begleitete die Herrschaften auf Reisen durch Europa, wirkte später als Kammerpräsident, Hofmarschall und Oberhofmeister sowie Militärschriftsteller: Sein Hauptwerk trägt den Titel Betrachtungen über die Kriegskunst, ihre Fortschritte, ihre Widersprüche und ihre Zuverlässigkeit. Auch für Laien verständlich, wenn sie nur Geschichte wissen (1797-1799). Der hier edierte, 1775 abgeschlossene und dem Fürsten Franz von Dessau, gewissermaßen als Erinnerung an die gemeinsame Reise der Jahre 1765-1768, gewidmete Text des Kavalierstourberichtes war nicht zur Veröffentlichung gedacht. Er ist in französischer Sprache geschrieben, obwohl Berenhorst selbige erst als Erwachsener erlernt hatte und sich bewusst war, dass er sie nur unvollkommen beherrschte. Antje und Christophe Losfeld haben den Originaltext nun erstmals ediert (in Bd. 2), übersetzt und kommentiert (Bd. 1), nachdem ein Auszug daraus im 19. Jahrhundert bekannt gemacht worden war. Das Original ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Die Edition folgt einer maschinenschriftlichen Version (1934, anonym).
Worin die inhaltliche Bedeutung dieser Quelle liegt, lässt sich nicht leicht beschreiben. Während Erdmannsdorffs Reisetagebuch ganz klar seine Bedeutung für Architektur und Malerei hat, kann man dem Reisetagebuch Berenhorsts keine eindeutige Spezialisierung zuordnen. Die fürstliche Reisegesellschaft besuchte auch Schlachtfelder; selbstverständlich nahm man an Truppenrevuen teil, die von Berenhorst fachkundig kommentiert werden. Trotzdem dürfte die Bedeutung der Quelle für die Militärgeschichte gering sein. Der Reiz besteht wohl im Wesentlichen darin, dass wir hier eine ganz gewöhnliche Adelsreise des 18. Jahrhunderts dokumentiert haben: Städte und Höfe, Reisemodalitäten und Klatsch über Persönlichkeiten. Berenhorst war selber davon überzeugt, kein bedeutender Schriftsteller zu sein. Wenn man auch manche seiner Bemerkungen zum eigenen Stil als captationes benevolentiae verbuchen wird, ist zumindest der Passus am Ende des ersten Teiles (Bd. 2, 195 bzw. Bd. 1, 208) von einer deutlich selbstkritischen Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung geprägt. Die listenartigen Aufzählungen der kennengelernten Persönlichkeiten können allenfalls als Erinnerungsstütze gedient haben, und das gilt auch für einen Teil der ausgeführten Berichte über Städte und Sehenswürdigkeiten. Eine gewisse stilistische Abwechslung entsteht durch eingeschaltete Briefe. Im Übrigen hat Berenhorst nicht verborgen, dass er das berühmte Reisehandbuch von Johann Georg Keyßler zur Hand hatte, ferner das Italienbuch von Jérôme Richard (1766) und manches an Ortsliteratur.
Worin also liegt der Reiz dieser bisher unbekannten Quelle? Kaum im Sachlichen des Berichtes, sondern eher in der Haltung. An geschilderten Persönlichkeiten stechen Johann Joachim Winckelmann und Laurence Sterne hervor (Bd. 1, 102 u.ö. und 86 f.). Allgemein spricht hier ein protestantischer Aufklärer (vgl. etwa die Äußerungen über Loreto, Bd. 1, 42-44, über die Januarius-Verehrung in Neapel, Bd. 1, 67, über Kastraten, Bd. 1, 49 f.). Berenhorst ist lesenswert in Bezug auf den Wandel der Sitten (etwa zum Cicisbeat in Italien: Bd. 1, 125, 129 u.ö.; zur Ablehnung parfümierter Gerüche durch römische Damen: Bd. 1, 57 f.). Er leidet in Italien unter Unsauberkeit und Flöhen. Er hat teil an der zeittypischen Anglophilie (Bd. 1, 226 ff.) Eine gewisse Würze erhält der Text durch schlüpfrige Anekdoten, die ohne Zweifel höfisches Sprechen durchscheinen lassen.
Die Übersetzung ist gut lesbar und sie scheint adäquat. Freilich standen die Übersetzer vor dem Problem, einen Text des 18. Jahrhunderts in einer heute verständlichen Sprache wiedergeben zu müssen, doch hätte man Wendungen heutiger Umgangssprache ("raus" für "heraus". "mal" für "einmal" usw.) noch konsequenter meiden können. An einzelnen Stellen wären auch Verbesserungen im Ausdruck möglich gewesen: Z. B. statt "Kirche St. Pierre" in Rom (Bd. 1, 36, Anm.): "Petersdom"; statt "sehr Heiliger Vater" für den Papst (Bd. 1, 56, Anm.): "Heiligster Vater". Es sind auch ein paar Kasus- und Druckfehler stehengeblieben. Über Kommata will ich nicht rechten. Insgesamt stellt die Übersetzung eine tüchtige Leistung dar.
Die Kommentierung ist sehr eingehend und wertvoll. Ich zweifle zwar am Sinn von Anmerkungen wie 161: "Claude Lorrain (1600-1682)". Das ändert aber nichts daran, dass die meisten der 1151 Anmerkungen nicht nur von forscherlichem Fleiß zeugen, sondern auch für jeden denkbaren Leser ein willkommenes Informationsmittel sein werden (das gilt auch für das Personen- und für das Ortsregister.).
Insgesamt handelt es sich bei der zweibändigen Edition, Übersetzung und Kommentierung einer fürstlichen Grand Tour des 18. Jahrhunderts um eine höchst schätzenswerte Leistung. Wie viel Mühe und Arbeit hinter so einem Werk steht, kann eigentlich nur ermessen, wer so etwas selber schon versucht hat.
Anmerkung:
[1] Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff: Kunsthistorisches Journal einer fürstlichen Bildungsreise nach Italien 1765/66, hg. von Ralf-Torsten Speler, München 2001.
Michael Maurer