Andrew Bolton (ed.): Punk. Chaos to Couture, New Haven / London: Yale University Press 2013, 240 S., 219 Farbabb., ISBN 978-0-300-19185-1, EUR 37,70
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Titel und Ort der Ausstellung scheinen dem Wesen des Punk zunächst grundlegend zu widersprechen: Die Jugendmode der 1970er-Jahre, die - jedenfalls in England - ihren Ursprung im Arbeitermilieu hatte, war gerade gegen das Establishment und die Welt der Reichen, die mit dem Begriff "Couture" verbunden werden, und das Bürgertum, in dessen Kultur das Museum als Bewahrer von Tradition und Vergangenheit eine grundlegende Rolle spielt, eingestellt. Mit Musik und einer selbstgestalteten Mode bekundete Punk trotzig eine Gegenposition. Das Sponsorship der Ausstellung durch einen Luxus-Retailer und die Unterstützung durch eines der maßgeblichsten Modemagazine scheinen bei diesem Thema fast als Anachronismus. Auch das Nachbauen des Toilettenraumes des Clubs CBGB in New York im Zustand von 1975 erinnert etwas an einen Erlebnispark, in dem sich der Besucher in sicherer Distanz am Ungewohnten und Abenteuerlichen erfreut. Der Zustand des rekreierten Toilettenraumes kontrastiert dann auch mit der elegant-statuarischen Positionierung der Mannequins in den feinen Museumsräumen.
Die von Andrew Bolton konzipierte Ausstellung versucht, das Wesen des Punk in seiner Äußerung der Kleidung zu erkunden und die Unterschiede der Punk-Bewegung in England und den USA aufzuzeigen. Hierzu hat er Zeitzeugen, "authentische" Stimmen, herangezogen - John Lydon (a.k.a. Johnny Rotten von den "Sex Pistols"), Richard Hell als Vertreter der amerikanischen Punk-Szene und Jon Savage als Kritiker, der die Punk-Bewegung miterlebte. Zugleich scheint das Thema durchaus aktuell - das Selbermachen von Mode, wie es gerade im englischen Punk gepflegt wurde, ist aktueller denn je, und auch die Ästhetik, wenn auch nicht die Inhalte, scheinen sich in der zeitgenössischen Mode wieder anzudeuten. Das Thema entspricht also dem Zeitgeist und dürfte damit auch für jüngere Besucher sehr attraktiv sein.
Der Katalog erscheint zunächst als ein durch die Farbe Schwarz bestimmtes, opulentes Fotobuch, das Schnappschüsse aus den Clubs und von der Straße, Bilder von Modeschauen und aus Magazinen verbindet und damit, jedenfalls in den beiden letzten Fällen, Modeentwürfe bereits inszeniert vorstellt. Geordnet werden die Abbildungen nach den Unterpunkten und der Gliederung der Ausstellung. Bolton wählte hierfür die Kapitel "Clothes for Heroes", "d.i.y. hardware", "d.i.y. bricolage", "d.i.y. graffity and agitprop" sowie "d.i.y. destroy". Bezieht sich der Titel des ersten Kapitels auf den Namen eines der Punk-Läden von Vivienne Westwood in der King's Road in London, so handelt es sich bei denjenigen der anderen Kapitel eher um Gestaltungs- und Herstellungsweisen, die auch mit der Verwandlung von Kleidung durch Punk in Verbindung gebracht werden können, die aber auch unter anderen Namen als Techniken der Haute Couture fungieren. Bolton stellt in den drei Kapiteln Metalldekorationen wie Sicherheitsnadeln, Ketten, Hundehalsbänder, die Kombination aus Vorhandenem unterschiedlichster Art (vorzugsweise Trash und Abfall, Zeitungen und Mülltüten), das Auftragen von Schrift und Slogans sowie das Zerfetzen und Zerstören der Kleidung vor.
In diesen Überschriften deutet sich bereits ein Problem der Ausstellung an - dasjenige einer gewissen Beliebigkeit und der zu allgemein gefassten Begrifflichkeit, die es erlaubt, Modelle einzuschließen, welche sich bei "Punk" nicht unbedingt aufdrängen würden, aber durch die der Brückenschlag zur "Couture" möglich wird. So taucht das berühmte Sicherheitsnadel-Kleid von Versace aus dem Jahr 2004 auf, weil es mit Punk das Motiv der Sicherheitsnadel gemeinsam hat, die einzelne Kleidungsteile zusammenhält, erscheinen die löchrigen Gewänder von Comme des Garçons und Yohi Yamamoto von 1983, ohne hier den philosophischen Hintergrund und die japanische Ästhetik genauer zu berücksichtigen, die handbemalten Krinolinenkleider von Dolce & Gabbana von 2008, die eher auf das Thema Kunst und Mode verweisen, oder Modelle der Couture-Collection von Karl Lagerfeld für Chanel von 2011, bei der die Optik zwar eine, wenn auch eher vage Anlehnung an Punk zeigen mag, in der es aber vorzugsweise doch um das Feiern des Couture-Handwerks und seiner Möglichkeiten zu gehen scheint. Punk-Elemente werden auch in Form des Revolutionären, Unangepassten und Unkonventionellen bei Martin Margiela, Hussein Chalayan oder Moschino, gefunden, ohne detaillierter auf deren konkrete Motivationen einzugehen. Auffällig ist auch, dass es nicht nur bei vielen der Arbeiten aus den 1980er- und 1990er-Jahren oberflächliche Parallelen gibt, sondern dass eine freie Weitergestaltung von Punkelementen im Element des Anarchischen am klarsten und innovativsten bei den Engländern Westwood, McQueen und Galliano deutlich wird, wohingegen in Entwürfen junger Modeschöpfer aus den letzten Jahren eher eine nostalgische Nachbildung vorzuliegen scheint.
Andrew Bolton betont in seiner Einleitung, dass die ästhetischen Aspekte des Punk im Mittelpunkt der Ausstellung ständen. Dabei macht er den Unterschied zwischen amerikanischem und englischem Punk darin fest, das ersterer eher aus der Mittelklasse stammte und künstlerisch motiviert war, zweiter dagegen seinen Ausgangspunkt im Arbeitermilieu nahm und eine soziokulturelle Ausrichtung aufwies. Den Bezug zwischen Punk und Couture formuliert er nun in der Kombination der beiden Punk-Bewegungen: auf der einen Seite die Kunst, auf der anderen die einmalige Gestaltung von Kleidung - beim Punk durch den Träger selbst, bei der Couture dagegen unter einem Designer in hochspezialisierten Ateliers. Hier entsteht nach einer Idee etwas Einmaliges, während im englischen Punk Vorhandenes umwandelt oder originell kombiniert wurde. Als weiteres verbindendes Element erachtet Bolton die Konzentration auf die Gegenwart und die Suche nach dem Neuen. Für Bolton ist, wie er abschließend in seiner Einführung festhält, das verbindende Element zwischen Punk und Couture das Hinterfragen traditioneller Vorstellungen und Erwartungen von Schönheit und Mode sowie das Selbermachen als Demokratisierung der Kreativität und Durchbrechung der Konsumschlaufe. Dieses definiert er als Erbe des Punk. Das Vorwort ist wesentlich für das Verständnis der Ausstellung, wenn man in ihr nicht nur eine willkürliche Sammlung von derzeit aktuellen und bereits berühmten Entwürfen sehen möchte.
Boltons Schwerpunkt liegt, wie von ihm selbst definiert, auf der Kleidung. Um den soziokulturellen Hintergrund, vor dem die Punk-Kleidung entstand, zu erfahren, helfen die Zeitzeugen-Berichte, die zugleich aus individueller Sicht die unterschiedlichen Standpunkte der New Yorker und Londoner Punk-Bewegung darlegen. Jon Savage liefert dazu den musikhistorischen Hintergrund, indem er die jeweiligen Bands und die Clubs in New York und London skizziert. Deutlich wird dabei, dass Punk durch Rebellion, Zufälle, Persönliches, Provokation und frühere Jugendbewegungen bestimmt wurde, dass aber auch bereits das wirtschaftlich-künstlerische Potential durch Impresarios wie Malcolm McLaren erkannt wurde. Deutlich wird dabei weiterhin, dass Punk Kleidung und Mode eher skeptisch gegenübersteht und in ihr eine Äußerung der Konsumwelt sieht, gegen die sich Punk gerade stellt. So schließt auch Richard Hell: "Clothes are empty" (19). Tatsächlich scheinen die Fotos von den Kreationen der Modedesigner oftmals blutlos, inszeniert, künstlich, verglichen mit den Punk-Fotos, in denen Kleidung und Aufmachung zwar weniger schön, doch ungleich authentischer, phantasievoller und furchtloser wirken. Das ehemals Anarchisch-Ungezügelte scheint in den Modefotos in eine letztlich kühle, stilvoll-modische Variation übersetzt.
So verbleibt nach der Lektüre der kurzen Texte und der Betrachtung der Abbildungen, die nur Bildunterschriften, aber keine weiteren Katalogerläuterungen erhalten, sondern zumeist kurz durch Bolton in seiner Einführung angesprochen werden, ein ambivalenter Eindruck: Das Aufzeigen des historischen Hintergrunds und die historische Bildergalerie sind aufschlussreich und informativ, doch bleibt bei Betrachtung der chronologisch gesehenen Post-Punk-Fotos oftmals der Eindruck einer Kommerzialisierung der Rebellion, der Rebellion als Attitude und gerade nicht der Fortdauer des Punk. So aufschlussreich und faszinierend die einfühlsame Einleitung, die engagierten Essays und die Fülle der Abbildungen sind, so hätte ein reflektierender Ansatz für etwas klarere Zuordnungen sorgen können.
Michaela Braesel