Florian Lamke: Cluniacenser am Oberrhein. Konfliktlösungen und adlige Gruppenbildung in der Zeit des Investiturstreits (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte; Bd. LIV), Freiburg / München: Verlag Karl Alber 2009, 560 S., ISBN 978-3-495-49954-2, EUR 59,00
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Florian Lamke untersucht in der Druckfassung seiner Freiburger Dissertation die Entstehung der cluniazensischen Priorate am Oberrhein. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage nach den Gründen der Entstehung des Priorats St. Ulrich im Schwarzwald. Die daraus resultierende Studie ist das Ergebnis akribischer Detailarbeit an sehr verschiedenen Quellenkorpora und der aus ihnen hervorgegangenen umfangreichen Literatur. Die immer wieder eingestreuten diplomatischen und überlieferungskritischen Anmerkungen und Exkurse sowie die damit zusammenhängenden Forschungsberichte zeigen, dass der Autor die Fülle und die Vielfalt des Materials souverän beherrscht. Lamke demonstriert, wie bei einer von Thomas Zotz betreuten Dissertation nicht anders zu erwarten ist, umfangreiches Wissen über die adligen Familien des Oberrheingebiets, familiäre Zusammenhänge, Lehns- und Patronatsverhältnisse und sonstige Beziehungen untereinander sowie zu den Klöstern und Prioraten des Raums. An diesen Beispielen versucht Lamke, wie der Untertitel seiner Arbeit verspricht, neue Erkenntnisse über Konfliktlösung und adlige Gruppenbildung im Zeitalter des Investiturstreits zu gewinnen.
Der Autor beginnt mit einer Einführung in den regionalen historischen Kontext; besonders gelungen ist dabei die Darstellung der komplizierten Geschichte Schwabens und speziell des Oberrheingebiets im späten 11. Jahrhundert (Kap. I.2). Es folgt ein gleichfalls informatives kurzes Kapitel über das Kloster Cluny im Zeitalter des Investiturstreits. Anschließend wendet sich Lamke den unterschiedlichen Forschungskontexten der Studie zu und stellt in drei Überblickskapiteln die (deutsche) mediävistische Konfliktforschung, Schriftlichkeit und symbolische Kommunikation, insbesondere bezogen auf Urkunden, sowie den "gruppengeschichtlichen Ansatz" vor. Unter dieser letzten Überschrift geht es einerseits um verschiedene Formen der Gruppenbindung bei Adligen, andererseits um die Rolle von Zeugen in Urkunden.
Im Hauptteil der Studie stellt der Verfasser die Priorate St. Ulrich, Bollschweil-Sölden, St. Alban in Basel, die Priorate im elsässischen Sundgau und das ebenfalls elsässische Kloster Selz vor. Dabei ist die Gewichtung der Einzelfalluntersuchungen sehr unterschiedlich - auch aufgrund der Quellenlage: Das Kapitel zum Priorat St. Ulrich in Zell umfasst fast 170 Druckseiten und stellt somit, auch was die Bezüge in den anderen Kapiteln angeht, eindeutig das Zentrum der Untersuchung dar, während die Priorate im elsässischen Sundgau zusammen auf kaum mehr als 20 Seiten abgehandelt werden. Innerhalb der einzelnen Fallbeispiele kommt Lamke zu zahlreichen interessanten und wohldurchdachten Ergebnissen, die die Gründungsereignisse und die folgende Entwicklung der Priorate in einem neuen Licht erscheinen lassen. Sie im Einzelnen wiederzugeben fehlt hier der Raum, hingewiesen sei aber auf die überzeugenden Überlegungen Lamkes zu den Hintergründen der komplizierten Überlieferungslage von St. Alban in Basel und ihren Zusammenhang mit der Exkommunikation Bischof Burkhards. In der Behandlung der Fallbeispiele kommt den quellenkritischen Überlegungen sowie prosopographischen und besitzgeschichtlichen Studien über die Schenker- und Gründerkreise der Priorate eine große Bedeutung zu. Zum Teil greifen die Ausführungen hier weit über die Untersuchungszeit bis ins Spätmittelalter aus.
Lamke legt bei seinen Analysen zur Entstehung und Entwicklung der Priorate - zu Recht - großen Wert auf die Bedeutung derjenigen Personenkreise, die nicht den allerhöchsten Führungsschichten angehörten. Doch berücksichtigt er auch die Gründerpersönlichkeiten wie Bischof Burkhard von Basel für das dortige St. Albanspriorat und Ulrich von Zell für sein Priorat in Zell, aber auch für das nach 1087 gegründete, von Zell abhängige Frauenpriorat in Bollschweil, das vor 1115 nach Sölden verlegt wurde. Dabei geraten in der Argumentation die eingangs vorgestellten theoretisch-methodischen Grundlagen, insbesondere die Konfliktforschung, etwas in den Hintergrund.
In zwei Schlusskapiteln fasst Lamke die Ergebnisse seiner Studie zusammen: Zunächst würdigt er die Rolle der cluniazensischen Priorate sowie ihrer Unterstützer und Leiter - besonders Ulrich von Zell und Burkhard von Basel - im Zusammenhang mit der seit der Mitte der 1080er Jahre beginnenden Entspannung in Schwaben und insbesondere am Oberrhein ("Konfliktlösungen im Investiturstreit"). Anschließend betrachtet er "adlige Gruppenbildung im Umfeld der oberrheinischen Cluniacenserpriorate" und identifiziert unterschiedliche Adelskreise, die mit den Prioraten in Verbindung stehen.
Der Autor hätte es dem Rezensenten und den anderen Lesern etwas einfacher machen können die umfangreichen und wertvollen Ergebnisse dieser Untersuchung, die über den Oberrhein und Schwaben hinaus relevant sind, zu rezipieren. Ein weiterer Lesedurchgang hätte die etwas zu häufigen stilistischen Unebenheiten beseitigen und der oft unnötig komplizierten Begrifflichkeit entgegenwirken können. Zudem wäre eine deutliche Straffung möglich gewesen, manche Exkurse und Schilderungen der Wege und Irrwege der vorangegangen Forschung hätten auch in einer Fußnote zusammengefasst werden können. Ebenfalls hilfreich wäre es gewesen, die unzähligen genannten Orte und Landschaften genauer zu verorten. Zumindest der mit den Verhältnissen Südwestdeutschlands in der Untersuchungszeit einigermaßen vertraute Rezensent hatte immer wieder Schwierigkeiten, den Ausführungen geographisch zu folgen. Die Lage (und die Existenz?) des Sülchgau oder des Kandertals etwa dürften nur einer Minderheit der angedachten Leserschaft bekannt sein. Hier wären bessere Erklärungen oder auch Karten hilfreich gewesen.
Lamkes Ergebnisse tragen zu einem neuen, differenzierten Blick auf die Geschichte des so genannten Investiturstreits am Oberrhein und darüber hinaus bei. Sie zeigen, wie wertvoll es sein kann, die lokalen Gegebenheiten so genau wie möglich in den Blick zu nehmen. Einmal mehr wird dabei deutlich, wie unbefriedigend die übliche Aufteilung der Akteure in Gegner und Befürworter der Kirchenreform, Anhänger des Papstes oder des Kaisers ist. Es bleibt zu wünschen, dass die Arbeit auch jenseits des Oberrheingebiets rezipiert wird und weitere regionalen Studien anregt.
Thomas Kohl