Poul Villaume / Odd Arne Westad (eds.): Perforating the Iron Curtain. European Détente, Transatlantic Relations, and the Cold War 1965-1985, Kopenhagen: Museum Tusculanum Press 2010, 272 S., ISBN 978-87-635-2588-6, USD 61,00
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Im Zeitalter der Entspannung wurde der Eiserne Vorhang etwas durchlässiger. Neben die Konfrontation der Supermächte trat allmählich eine intensivierte friedliche Interaktion, insbesondere der europäischen Staaten. Den damit verbundenen Vorgängen in den Jahren 1965 bis 1985 geht der von Poul Villaume und Odd Arne Westad herausgegebene Sammelband nach. In ihrer Einleitung geben sie drei Erklärungen für die Dauerhaftigkeit der Détente in Europa: die Anziehungskraft des westeuropäischen "way of life" auf die osteuropäischen Völker, die Bereitschaft der westdeutschen politischen Führung, die europäischen Nachkriegsgrenzen zu akzeptieren, und die Stabilität der Allianzbeziehungen zwischen Westeuropa und den Vereinigten Staaten. Mehr als diese apodiktischen Bemerkungen hat die Einleitung, die etwas vollmundig mit "The Secrets of European Détente" überschrieben ist, an konzeptionellen Überlegungen nicht zu bieten. Überdies haben die referierten Aussagen mit den Beiträgen, die auf Vorträge einer Konferenz in Kopenhagen im Jahre 2007 zurückgehen, nicht viel zu tun. Die Chance, grundlegende Thesen und Periodisierungen in der Einleitung zu erörtern, wird damit vertan. Gerade letzteres wäre durchaus von Interesse gewesen: Warum war nach Auffassung der Herausgeber die Entspannung in Europa nicht, wie im globalen Maßstab, 1979 mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan beendet? Und warum wird 1985 zum Endpunkt erklärt? Ging damals die Détente mit dem Machtantritt von Michail Gorbatschow nicht erst in ihre entscheidende Phase?
Die Konzeptionslosigkeit spiegelt sich auch im Aufbau des Bandes wider: Auf allgemeinere Ausführungen zum Kalten Krieg folgen Beiträge zur Reaktion von zwei Ostblockstaaten auf die westliche Entspannungspolitik; zwei weitere Aufsätze gehen dann auf das transatlantische Verhältnis bzw. die amerikanische Politik zwischen 1969 und 1976 ein. Zwei Abhandlungen widmen sich Spezialthemen aus dem KSZE-Prozess und drei Autoren geht es schließlich um damit im Zusammenhang stehende Netzwerke der Menschenrechtspolitik. Außer dem Umstand, dass alle Artikel etwas mit Entspannungspolitik zu tun haben, hält den Band recht wenig zusammen.
Gleichwohl sind einige Aufsätze durchaus lesenswert. Das gilt etwa für die Ausführungen Wanda Jarząbeks zur polnischen Reaktion auf die westdeutsche Ostpolitik und die Ost-West-Entspannung zwischen 1966 und 1978. Nachdem Gomułka 1969 von sich aus die Initiative gegenüber der Bundesrepublik ergriffen hatte, um bei der Entspannung der Ost-West-Beziehungen nicht ins Hintertreffen zu geraten, war für Polen Détente vor allem ein Instrument, um den Charakter der internationalen Beziehungen zu verändern; überdies hoffte Warschau auch auf einen Wandel der Beziehungen innerhalb des sowjetischen Blocks, so dass Polen mehr Bewegungsspielraum erhalten und sein Herrschaftssystem stabilisiert würde.
In der Reaktion der ostdeutschen Führung auf die Détente unterscheidet Oliver Bange zwischen Ulbricht, der darauf mit einer offensiven, ideologisch geprägten Westpolitik antworten wollte, und Honecker, der stärker defensiv und eher pragmatisch reagiert habe. Letzterer habe eher contre coeur und unter sowjetischem Druck der KSZE-Schlussakte zugestimmt. Aus einer Bemerkung Honeckers gegenüber Breschnew vom Juni 1975, dass es immer die Staatssicherheit gegeben habe und diese noch existiere, schließt Bange, dass der SED-Generalsekretär darin die entscheidende, letzte Sicherung gegen die Unterwanderung aus dem Westen gesehen habe. Freilich ist dieses Zitat aus dem Zusammenhang gerissen: Dieser Passus bezog sich allein auf die Bekämpfung feindlicher "Agenturen" wie Fluchthelferorganisationen, deren Geschäft durch die KSZE-Schlussakte erleichtert werde.
Giovanni Bernardini befasst sich vor allem mit der westlichen Antwort auf den Budapester Appell der Warschauer Vertragsorganisation (WVO): Während Bonn sich für eine Europäische Sicherheitskonferenz ausgesprochen habe, sei Washington eher reserviert gewesen. Es waren daher vor allem die Bundesrepublik und ihre westeuropäischen Partner, die schließlich die Vereinigten Staaten zu einer positiven Reaktion bewogen hätten. Mit einem stärkeren Fokus auf die amerikanische Politik schließt sich der Beitrag Stephan Kieningers an, der die plausible These vertritt, dass Nixon und Kissinger nicht verstanden hätten, dass Brandt und Bahr mit ihrer Entspannungspolitik auch eine Transformation des Ostens im Auge hatten; nur das State Department in Washington habe in den Jahren von Nixons Präsidentschaft an der "bridge building policy" (114) festgehalten und auf die dynamischen Elemente des KSZE-Prozesses gesetzt.
Thomas Fischer widmet sich als einziger dem KSZE-Prozess zwischen 1972 und 1983 aus dem Blickwinkel der Neutralen und Nicht-gebundenen Staaten (N+N). Daher kann er, anders als fast alle anderen Beiträger, der Frage nachgehen, wie sich die Zäsur von 1979 auf den KSZE-Prozess auswirkte, bzw. wie es in diesem Rahmen gelang, trotz allem an der Entspannung festzuhalten. Seine Antwort ist ambivalent: Die N+N, die sich vor allem als Vermittler sahen, mussten einerseits bald feststellen, dass letztlich das Verhältnis der beiden Militärallianzen zueinander auch ihren eigenen Spielraum bestimmte; andererseits stellten diese, vor allem die Schweiz und Österreich, zu Beginn der 1980er Jahre dem Helsinki-Prozess "a much needed lifeline guaranteeing the continuation of the exercise through their mediatory services" zur Verfügung (167).
Welche Rolle die Menschenrechtsfrage nicht allein für die Signatarstaaten der KSZE, sondern auch für die Bildung informeller Netzwerke spielte, verdeutlicht Sarah Snyder. In den Vereinigten Staaten kam es infolge der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte auf private Initiative hin im Jahre 1975 zur Bildung der "Commission on Security and Cooperation in Europe", die sich für einen stärkeren Einsatz der USA für die Menschenrechte vor allem in Osteuropa stark machte. Diese nahm auch zu den osteuropäischen Helsinki-Gruppen Kontakt auf, so dass sich ein transnationales "Helsinki network" (183) entwickeln konnte. Dieses Netzwerk übte immer mehr Einfluss auf die Politik aus, was sich etwa in der Menschenrechtspolitik Carters widerspiegelte. Der amerikanische Delegationsleiter beim KSZE-Nachfolgetreffen in Belgrad, Arthur Goldberg, nutzte die Dokumentationen der Helsinki-Gruppen bei den Verhandlungen und gründete seinerseits 1978 eine NGO mit dem Namen "Helsinki Watch". Letztere initiierte 1980 die Gründung der "International Helsinki Federation for Human Rights", die schließlich zu einer stärker formalisierten "Helsinki coalition" führte (187). Snyder kann damit auf überzeugende Weise den Zusammenhang von internationalen und transnationalen Beziehungen im KSZE-Prozess aufzeigen.
Gregory F. Domber schließlich geht es um die westlichen Reaktionen auf die polnische Krise und die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Washington war dabei durchaus auf einen Konsens mit den westeuropäischen Staaten bedacht; vor allem die Bundesrepublik widersetzte sich der Verhängung von Sanktionen, so dass die Vereinigten Staaten sich stärker darauf konzentrierten, europäische Banken zu schützen als die polnische Regierung zu bestrafen. Das Weiße Haus vermochte es jedoch, die öffentliche Meinung in Europa zu organisieren, so dass wenigstens ein "rhetorical consensus" auf dem Madrider KSZE-Nachfolgetreffen hergestellt werden konnte (207). Der westliche Konsens über die Missachtung der Menschenrechte in Polen führte nicht zu einem Wandel in dem Ostblockland. Erst 1985/86, als Warschau aufgrund massiver wirtschaftlicher Probleme die Beziehungen zum Westen wiederbeleben wollte und die westlichen Staaten Wirtschaftshilfe von einer Verbesserung der Menschenrechtslage abhängig machten, entließ die polnische Führung alle noch inhaftierten politischen Gefangenen. Menschenrechte, so die überzeugende Schlussfolgerung, ließen sich nur durchsetzen, wenn der Westen auch politisch mit einer Stimme sprach.
Insgesamt bietet der Band, der mit Erinnerungen von Skjold Mellbin, des dänischen Delegationsleiters bei den KSZE-Vorgesprächen in Dipoli und bei dem KSZE-Nachfolgetreffen von Belgrad, abschließt, manche interessanten Einblicke in die Ost-West-Beziehungen zwischen 1965 und 1985. Die Konturen des Gesamtbildes bleiben jedoch ziemlich unscharf.
Hermann Wentker