Rezension über:

Christina Meckelnborg / Anne-Beate Riecke: Georg Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer. Ein historiographisches Großprojekt der Frühen Neuzeit (= Schriften des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar; Nr. 4), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 726 S., 20 Farbabb. auf 16 Taf., ISBN 978-3-412-20112-8, EUR 64,90
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Rezension von:
Jessica Kreutz
Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Jessica Kreutz: Rezension von: Christina Meckelnborg / Anne-Beate Riecke: Georg Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer. Ein historiographisches Großprojekt der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/20772.html


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Christina Meckelnborg / Anne-Beate Riecke: Georg Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer

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Das von Christina Meckelnborg und Anne-Beate Riecke in gemeinschaftlicher Arbeit entstandene Werk widmet sich dem historiographischen Großprojekt Georg Spalatins (1484-1545), der ab 1510 als Auftragsarbeit des Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen die Chronik der Sachsen und Thüringer von den angelsächsischen Anfängen bis in die eigene Gegenwart verfasste. Die vier, leider unvollständig gebliebenen, Chronikhandschriften werden hier erstmalig einer intensiven inhaltlichen und vor allem kodikologischen Untersuchung unterzogen. Eine umfangreiche Auswertung zahlreicher Schriftzeugnisse aus dem Umfeld der Chronik ergänzt die Studie. Das Werk geht damit in zweifacher Hinsicht über die bisherige Forschung hinaus, die sich überwiegend auf die Handschriftenillustrationen und auf die Biographie Spalatins konzentrierte.

Das über 700 Seiten starke Buch ist in zwei gleich große Teile untergliedert: Der gründlichen Auswertung (11-324) folgt ein den Hauptteil ergänzender Anhang mit Beschreibungen des ausgewerteten Materials (327-622). Daran schließt sich der Neudruck eines Aufsatzes von Willy Flach aus dem Jahre 1939 an (623-641), der den Beginn wissenschaftlicher Bemühungen um die Chronik markiert. Störend an dieser Aufteilung sind lediglich die teilweise sehr unterschiedlich gewichteten Unterkapitel des Hauptteils.

Nach einem einleitenden Forschungsüberblick werden ausgehend von ihren zeitgenössischen und modernen Bezeichnungen zunächst Überlegungen zum Titel der Chronik angestellt (17-22). Das zweite Kapitel zeichnet sich durch eine inhaltliche Darstellung der Chronik aus, indem die einzelnen Phasen des Entstehungsprozesses im Kontext der Biographie Spalatins skizziert werden (23-99). Meckelnborg stellt hierbei umfangreiche Vergleiche an und setzt das jeweilig untersuchte Material ins Verhältnis zur Chronik. Der Leser erhält so einen Überblick über die Vorlagen, die separat entstandenen Vorarbeiten sowie weitere historiographische Projekte Spalatins. Die daran anschließende Aufarbeitung seiner brieflichen, zum Zwecke der Literatur- und Informationsbeschaffung unterhaltenen Korrespondenz zeigt ebenfalls, wie aufwendig dieses Großprojekt angelegt war.

Im dritten Kapitel nimmt die Genese der Chronikhandschriften einen zentralen Platz ein. Die Abfolge der einzelnen Schritte bei der Herstellung einer Handschrift dient dabei als Orientierungshilfe (101-188). Dieser Abschnitt stellt zugleich eine methodische Einführung in die mittelalterliche Buchkunde dar. Die detaillierte Bestimmung der Wasserzeichen, Lagen, Rubrizierungen und anderer Ausstattungsmerkmale sowie die Identifizierung von Schreibhänden untermauern, dass die einzelnen Chronikhandschriften keinem linearen Entstehungsprozess unterlagen. Die komplexe Verzahnung der Schriftzeugnisse wird durch eine aufwendige Recherche zu Personen aus dem Umfeld Spalatins ergänzt. Mit dieser buchkundlichen Herangehensweise gelingt es, die zuvor skizzierten historischen Rahmenbedingungen der Werkentstehung nicht nur zu bestätigen, sondern auch umfangreich zu ergänzen.

Es schließt sich ein rezeptionsgeschichtlicher Abriss der Chronik bis in die Gegenwart an (189-249), wobei hier eine getrennte Betrachtung der drei gebundenen Chronikbände und der dazugehörigen losen Lagen erfolgt. Das Schicksal der Chronik wird durch eine Zusammenschau aller dazu greifbaren schriftlichen Zeugnisse, wie zum Beispiel Briefe, Testamente, Inventare und Findbücher, anschaulich rekonstruiert. Das über die Jahrhunderte fortwährende Interesse an der Chronik wird anhand der wechselnden Besitzverhältnisse und Aufbewahrungsorte veranschaulicht. Die daran anschließende kodikologische Beschreibung der vier Handschriften gemäß den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (251-273) ist ein zentrales Anliegen dieser Untersuchung. Zudem finden sich hier zahlreiche Querverweise, die diesem Abschnitt einen zusammenfassenden Charakter verleihen; die inhaltliche Beschreibung der Chronik erfolgt allerdings getrennt im Anhang, wodurch die zuvor betonte Gesamtkomposition der Chronikhandschriften schwerer nachvollziehbar wird (327-396).

Im nächsten Kapitel folgt eine systematische Ordnung und detaillierte Auswertung der zahlreichen Materialbände und Bücherverzeichnisse aus Spalatins Nachlass. Dieses Material wird stets in detektivischer Manier in Beziehung zur Chronik gesetzt, womit sich wiederholt der wissenschaftliche Mehrwert dieser Untersuchung bestätigen lässt. Im letzten Kapitel werden Abschriften von den gebundenen Chronikbänden und dem dazugehörigen Material vorgestellt.

Im Anhang findet sich zunächst eine ausführliche Inhaltsübersicht der einzelnen Chronikbände. Es folgen zahlreiche kodikologische und inhaltliche Beschreibungen des schriftlichen Materials aus dem Umfeld der Chronik, die sich in der Abfolge an der systematischen Darstellung der Chronik im Hauptteil orientieren. Der Umfang des hiermit Aufgearbeiteten hat wiederum als Beleg für die unermüdliche Sammeltätigkeit Spalatins zu gelten und stellt einen beeindruckenden Fundus an historiographischen Werken bereit, der sehr viel Spielraum für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen bietet.

In Anbetracht der Fülle des hier bearbeiteten Materials ist es teilweise schwer, den Überblick zu behalten. Daher sind die Querverweise innerhalb des Buches sehr hilfreich und stets an angemessener Stelle verzeichnet. Dennoch ähnelt die zum Teil sehr detaillierte Darstellung der einzelnen methodischen Überlegungen und Möglichkeiten mit zuweilen etwas kleinteiligen Kapiteln einem Arbeitsbericht. Wünschenswert wären zudem eine kurze biographische Skizze Spalatins in der Einleitung und ausgewählte Hinweise auf die in den Handschriften befindlichen Illustrationen gewesen. Auch für zukünftige Forschungsvorhaben stellte darüber hinaus eine Bestimmung der kulturhistorischen Leistung Georg Spalatins eine gewinnbringende Erweiterung dar.

Das vorliegende Werk ist ein vorbildliches Zeugnis für die ergiebige Zusammenarbeit zwischen den beiden, aus unterschiedlichen Fachdisziplinen stammenden Autorinnen und zudem für die gelungene Kooperation zwischen den Institutionen Universität und Bibliothek. Meckelnborg und Riecke gelingt es, den komplexen Entstehungsprozess und die Gesamtkomposition der Chronikbände anschaulich herauszuarbeiten. Ihre Arbeit zeichnet sich dabei durch philologische Sicherheit und editorische Genauigkeit aus und spiegelt die jahrelange Erfahrung beider im Umgang mit Handschriften wider. Besonders die Zusammenstellung aller schriftlichen Materialien jeglicher Art aus dem Umfeld der Chronik ist beeindruckend und zeugt von einer bislang in der Forschungsdiskussion um die Werke Spalatins fehlenden, intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik. Diese spannende Zeitreise ist letztendlich eine umfangreiche Erweiterung der Internetpräsentation "Spalatin-Online", die ebenfalls Meckelnborg und Riecke verdankt wird. [1]


Anmerkung:

[1] http://spalatin.franconica.uni-wuerzburg.de/login/frame.php (Stand 22.8.2013).

Jessica Kreutz