Miriam Czock: Gottes Haus. Untersuchungen zur Kirche als heiligem Raum von der Spätantike bis ins Frühmittelalter (= Bd. 38), Berlin: De Gruyter 2012, X + 338 S., ISBN 978-3-1102-9443-9, EUR 109,95
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Als die Waldenser im 13. Jahrhundert ihre scharfe Kritik an der Papstkirche formulierten, griffen sie auch die Idee der Heiligkeit des Kirchengebäudes an. Die gemauerte Kirche behandelten sie "wie einen Abstellraum" und nannten sie in der Volkssprache "ein Steinhaus", für die Kirchweihe hatten sie nur Spott übrig - so ein Inquisitor aus der Diözese Passau. Die vorliegende Dissertation befasst sich mit der Genese dieser Idee des heiligen Kirchenraumes von der Spätantike bis ins 9. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den normativen Quellen, und zwar sowohl auf dem weltlichen Recht (Kaisergesetze, Leges, Kapitularien) als auch auf dem Kirchenrecht (Konzile, Sammlungen, Bußbücher, Diözesanstatuten). Da sich die zunehmende Sakralisierung des Kirchenraums aber vor allem im entstehenden Ritus der Kirchweihe um 800 niederschlug, fehlen auch liturgische und theologische Quellen nicht.
Im Ergebnis konstatiert die Verfasserin eine Diskrepanz zwischen Praxis und theologischer Akzeptanz. Bereits in der Spätantike habe durch die Reliquienverehrung und das Asylrecht eine Sakralisierung des Kirchengebäudes begonnen, die in der Theologie zugunsten der Allgegenwart Gottes abgelehnt worden sei. Im 6. Jahrhundert habe in den Konzilen des Frankenreichs die Regulierung des Verhaltens im Kirchengebäude zugenommen. Im 8. Jahrhundert erfuhr diese Normierung einen weiteren Schub, wie anhand der Bußbücher, der Collectio Hibernensis und der süddeutschen Leges demonstriert wird. Diese "Akzentverschiebung" habe jedoch noch ohne "explizite Zusammenführung der einzelnen Ideen innerhalb eines Sinnhorizonts" (145) stattgefunden. Die Zeit Karls des Großen identifiziert die Verfasserin dann als "Schlüsselmoment für die Verfestigung und Ausarbeitung eines Konzepts des Kirchengebäudes als heiligem Ort" (231). Dieser Wandel wird sowohl an der erstmals fassbaren Liturgie der Kirchweihe als auch an den Herrschererlassen Karls des Großen festgemacht. Die Materialisierung der Heiligkeit im Kirchengebäude will die Verfasserin jedoch nicht als einen Aspekt der frühmittelalterlichen "Rearchaisierung" des Christentums begreifen. Stattdessen macht sie auf ein "differenziertes theologisches Programm" (300) in den Schriften des Hrabanus Maurus und Walafrid Strabo aufmerksam und stellt auch das Interesse des Königs am Schutz der Kirche heraus, dem sich viele Regelungen zur Heiligkeit des Kirchengebäudes verdankten.
Diese Ergebnisse sind überzeugend und in einer mitunter eigenwilligen ("kephale Sanktionen" [202], "Sentiments für den heiligen Ort" [207]) und umständlichen, aber im Ganzen verständlichen Diktion formuliert. Die Informationen zu den Rechtsquellen berücksichtigen die gesamte neuere Literatur und sind fast immer zutreffend. Allein die Entstehung "in Narbonne um 460" (92) trifft nicht auf die Pauli Sententiae zu, sondern auf deren Interpretatio. Probleme bereitet allerdings das Oszillieren zwischen einer begriffs-, rechts- und ideengeschichtlichen Untersuchung. So erfährt der Leser erst am Schluss (298), dass Gregor von Tours häufig von der "heiligen Kirche" (basilica sancta) spricht, ohne dass dieser Befund in die vorwiegend ideengeschichtliche Betrachtung des 6. Jahrhunderts eingeordnet worden wäre. Wenn das Konzil von Orléans (541) von "locis sanctis" spricht, ist keinesfalls klar, ob damit "die Kirchen" oder nur die Altäre gemeint waren. Methodisch werden die beiden Fragen nicht sauber voneinander unterschieden, wann die Quellen das Kirchengebäude als "heilig" bezeichnen und wann Regelungen auftauchen, welche die Idee der Kirche als heiligen Ort voraussetzen.
Ein anderes Problem betrifft die Frage von Praxis und Rezeption. Das Kapitel "de locis consecratis" der Collectio Hibernensis wird ausführlich untersucht - aber der Leser wird darüber im Unklaren gelassen, welche Praxis im Irland des 7. Jahrhunderts darin widergespiegelt wird und wer auf dem Kontinent dieses Kapitel gelesen oder darauf Bezug genommen hat. Somit wird der reflektierte Umgang mit rechtshistorischen Quellen, der in der Einleitung zu Recht angemahnt wird, nicht immer in die Tat umgesetzt. Dies ändert aber nichts daran, dass die Monographie einen wertvollen und durchdachten Beitrag zur Neuformierung des Religiösen im frühen Mittelalter leistet. Wenn die Waldenser den Verfall der Kirche mit Konstantin beginnen ließen, so hatten sie eben nur teilweise recht: Auch die Zeit Karls des Großen führte wichtige Weichenstellungen herbei.
Karl Ubl