Michael Lausberg: Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946-1971, Marburg: Tectum 2012, 378 S., ISBN 978-3-8288-2989-3, EUR 29,90
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Anton Maegerle : Vom Obersalzberg bis zum NSU: Die extreme Rechte und die politische Kultur der Bundesrepublik 1988 - 2013. NS-Verherrlichung, rassistische Morde an Migranten, Antisemitismus und Holocaustleugnung, Berlin: Edition Critic 2013
Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012
In der Einleitung seiner Dissertation postuliert Michael Lausberg, "der historische Rechtsextremismus in der Bundesrepublik" könne "als gut erforscht" gelten (8). Da dies allerdings nur für die Bundesebene, nicht aber für einzelne Bundesländer gelte, versuche er mit seiner Arbeit, diese Forschungslücke für Nordrhein-Westfalen zu schließen. Dazu untersucht er Akteure und Organisationen sowie die Gründe für die "Revitalisierung des Rechtsextremismus" nach 1945.
Zunächst stellt Lausberg seinen Zugriff (Content Analysis) vor und setzt sich mit dem Begriff Rechtsextremismus auseinander, bevor er kurz auf die Geschichte Nordrhein-Westfalens zu sprechen kommt. Im Mittelpunkt seiner Darstellung stehen dann vor allem der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik und die rechten Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen. Mit dem ersten Aspekt beschäftigen sich Kapitel zur Entnazifizierung, zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit sowie zu jüdischem Leben und Antisemitismus. Für seine Überlegungen ist dabei die These zentral, dass die weitgehend gescheiterte Entnazifizierung entscheidend für das Wiederaufleben der extremen Rechten gewesen sei. Durch die fehlende Beschäftigung mit den NS-Verbrechen hätten ehemals führende Nationalsozialisten in einflussreiche Positionen gelangen können (333). So sei es beispielsweise dem Kreis um Werner Naumann Anfang der 1950er Jahre beinahe gelungen, den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP zu unterwandern.
Was die Entwicklung von extrem rechten Parteien, Organisationen und Publikationsorganen angeht, so vertritt der Autor die These, dass Parteien nicht entscheidend an der Etablierung der Szene beteiligt gewesen seien (9). So sei es keiner Partei gelungen, konstante Wahlerfolge oder längerfristige Wähler- und Mitgliederbindungen zu erreichen (339). Größeren Einfluss hätten dagegen Organisationen wie die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS (HIAG) sowie die Wiking-Jugend gehabt, die Netzwerke ausgebildet hätten und kontinuierlich an der Diskussion und Verbreitung rechter Ideologie beteiligt gewesen seien. Auch die extrem rechten Zeitungen und Zeitschriften spielten für ihn eine wichtigere Rolle bei der Revitalisierung der rechten Szene nach 1945 als die Parteien.
Lausbergs Studie ist eher sozialwissenschaftlich als historisch angelegt, und diese Perspektive schlägt sich immer wieder in seinen Urteilen nieder, wie schon die eingangs zitierte Bewertung der Materiallage zeigt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht mag man konstatieren können, das Thema Rechtsextremismus sei gut erforscht. Gideon Botsch merkte aber in seiner Geschichte der bundesdeutschen extremen Rechten an, der Forschungsstand sei seit den 1980er Jahren lediglich fortgeschrieben worden, ohne dass die Entwicklungen der folgenden dreißig Jahre in die Interpretation eingeflossen seien. [1] So zitiert auch Lausberg ausführlich aus dem Parteienhandbuch, das Richard Stöss bereits 1983 herausgegeben hat. [2] Neuere Studien berücksichtigt er dagegen teilweise nicht, so etwa die 2011 erschienene Untersuchung zur Geschichte der HIAG. [3]
Eine Stärke des Buches ist, dass es eine große Bandbreite an Organisationen und Publikationsorganen behandelt. Anhand der detaillierten Beschreibung einzelner Lebensläufe gelingt es Lausberg auch, die teils enge Verflechtung zwischen den unterschiedlichen Organisationen aufzuzeigen. Hierbei stellt er auch die biographische Kontinuität heraus, die viele Akteure aus dem Dritten Reich in die rechte Szene der Bundesrepublik führte. Sein Erklärungsansatz, dass die fehlgeschlagene Entnazifizierung und die ausbleibende Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Verbrechen als Hauptgrund für das erneute Anwachsen der rechten Szene gesehen werden müssen, ist allerdings zu einseitig. Ob eine entschiedenere Entnazifizierung allein einen Einstellungswandel bei den betroffenen Akteuren bewirkt hätte, muss bezweifelt werden. Deshalb sollte der Aspekt der "Vergangenheitsbewältigung" eher als ein möglicher Erklärungsansatz neben anderen genannt werden.
Die vielen, teils längeren Quellenzitate ermöglichen dem Leser einen guten Einblick in die Gedankenwelt der Akteure. Leider sind diese Zitate häufig nur aus der Sekundärliteratur belegt. Zu kritisieren ist weiterhin das stark deskriptive Vorgehen des Autors, der sich streckenweise auf das Aufzählen von Daten und Fakten beschränkt. Dadurch wirken die einzelnen Kapitel argumentativ kaum miteinander verbunden. Neben diesen inhaltlichen Einwänden muss auch auf die formalen Mängel des Buches hingewiesen werden. Die Zitierweise ist uneinheitlich, an einigen Stellen finden sich sogar unterscheidende Angaben (171, 196). Auch wäre ein Personen- und Organisationsregister hilfreich gewesen. Offen bleibt zudem, welche "bislang unbekannten Primärquellen" (8) neben den nicht näher beschriebenen VS-Akten für die Arbeit herangezogen wurden.
Lausberg konstatiert eine große Diskrepanz zwischen Einstellungen und Wahlverhalten und arbeitet die Bedeutung heraus, die die Konkurrenz der Kleinparteien für die extreme Rechte im bevölkerungsreichsten Bundesland hatte. Diese Befunde sind jedoch nicht nur für Nordrhein-Westfalen typisch, und man hätte sich eine bessere Einordnung durch vergleichende Perspektiven gewünscht. Die Geschichte der extremen Rechten für Nordrhein-Westfalen ist damit auch nach Michael Lausbergs Dissertation weiterhin ein lohnender Gegenstand der historischen Forschung.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute, Darmstadt 2012, 1.
[2] Vgl. Richard Stöss (Hg.): Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, 4 Bde., Opladen 1986.
[3] Vgl Karsten Wilke: Die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG) 1950-1990. Veteranen der Waffen-SS in der Bundesrepublik, Paderborn 2011.
Lars Legath