Regine Igel: Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte, München: Herbig Verlag 2012, 335 S., 12 Abb., ISBN 978-3-7766-2698-8, EUR 22,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!". Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg, München: Carl Hanser Verlag 2013
Douglas Selvage / Georg Herbstritt (Hgg.): Der »große Bruder«. Studien zum Verhältnis von KGB und MfS 1958 bis 1989, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022
Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren, Berlin: Ch. Links Verlag 2016
Adrian O'Sullivan: The Bagdad Set. Iraq through the Eyes of British Intelligence 1941-45, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019
Daniel Aschheim: Kreisky, Israel, and Jewish Identity, New Orleans: University of New Orleans Press 2022
Markus Lammert: Der neue Terrorismus. Terrorismusbekämpfung in Frankreich in den 1980er Jahren, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
Christoph Franceschini / Erich Schmidt-Eenboom / Thomas Wegener Friis: Spionage unter Freunden. Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND, Berlin: Ch. Links Verlag 2017
Nach umfangreichen Recherchen in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der DDR (BStU) geht die Berliner Journalistin Regine Igel in dem hier zu besprechenden Band der Verwicklung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in den Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre nach. Igels Kernthese lautet, "dass es entgegen der Legende einer nur 'gelegentlichen Hilfestellung' eine massive und dauerhafte Unterstützung und Steuerung des deutschen und internationalen Terrorismus und dies von Anfang an durch die Stasi gegeben haben muss" (7). Die Autorin verortet den Terrorismus ganz in der "Spannungswelt" des Kalten Krieges - die Sowjetunion habe mit Unterstützung ihrer osteuropäischen Satelliten für die "antikapitalistische Offensive" auf Terroristen zurückgegriffen (10). In diesem Zusammenhang konzentriert sich Igel vor allem auf die DDR: Das MfS habe links- und rechtsextreme Kräfte logistisch unterstützt, und die DDR habe als "Hinterland" fungiert. Übergeordnetes Ziel der östlichen Geheimdienste, "vorneweg die Stasi", sei es dabei gewesen, "das Operationsgebiet BRD und den kapitalistischen Westen mithilfe des Terrorismus zu destabilisieren" (8).
Igel behauptet, die "Zeitgeschichtsschreibung" spiele diese "Internationalisierung des Terrors" durch den kommunistischen Osten herunter, "wenn sie überhaupt erwähnt wird". Der Aspekt solle ein "Tabu" bleiben (94). An anderer Stelle heißt es: "Politik, Justiz und Medien nehmen MfS-Akten aus der Abteilung XII (Terrorabwehr) kaum zur Kenntnis" (8). Von einer solchen Tabuisierung kann keine Rede sein - allerdings ist es richtig, dass quellengestützte Terrorismus-Forschung überwiegend jüngeren Datums ist [1], während zuvor rein nationale Perspektiven, etwa auf die RAF, dominierten. Im angelsächsischen Diskurs dagegen wurde die Kooperation zwischen osteuropäischen Geheimdiensten und Terrorgruppen seit Ende der 1970er Jahre herausgestrichen. [2]
Was die genauen Mechanismen und Modalitäten dieser Zusammenarbeit betrifft, so besteht zweifellos Aufklärungsbedarf. Hierzu findet sich bei Igel allerdings wenig Neues. Dafür erinnern ihre Hauptaussagen stark an das Buch "The Terror Network" der US-amerikanischen Journalistin Claire Sterling. Diese hatte schon 1981 postuliert, dass der Sowjetblock Terroristen instrumentalisiere, um "die demokratischen Gesellschaften zu schwächen und zu demoralisieren, zu verwirren, zu demütigen, in Angst zu versetzen, zu lähmen und wenn möglich zu demontieren". [3] Sterlings Buch war der Höhepunkt einer regelrechten Welle von US-amerikanischen und israelischen Publikationen, die die Sowjetunion als geheime Macht hinter dem "internationalen Terrorismus" anklagten. Dieser Diskurs wurde vor dem Hintergrund des Kalten Krieges mit ideologischer Schlagseite und wenig Faktenfundierung geführt. Seit 1989 ist das komplexe Verhältnis von Warschauer-Pakt-Staaten und terroristischen Gruppen um vieles deutlicher geworden. Zwischen wem genau solche Beziehungen bestanden, welcher Art diese waren und wie sie sich über die Zeit veränderten, dazu steht die Forschung laut dem Politikwissenschaftler Christopher Daase aber "noch ganz am Anfang". [4]
Klar ist zumindest, dass Moskau nicht die einzige Quelle allen terroristischen Übels war. Die Sowjetmacht war aber auch kein untätiger Beobachter. Die UdSSR unterstützte nicht nur "nationale Befreiungsbewegungen" in Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch terroristische Gruppen im Nahen Osten. Letztere wiederum förderten dann linksextremistische Organisationen in Westeuropa mit Ausbildungskursen, Waffen und Geld. Diese substantielle Rolle kam aber keiner faktischen Kontrolle über den Terrorismus gleich. Die Gruppen behielten ihre Autonomie und waren keine verlängerten Arme der sowjetischen Außenpolitik. [5] Fraglich ist allerdings, ob der Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre ohne die Ruheräume, Transitmöglichkeiten und Nachschubquellen in Osteuropa eine ähnliche Schlagkraft erreicht hätte. Für einen steuernden Eingriff, so wie ihn Igel vermutet, gibt es bislang keine überzeugenden Beweise. Auch der Autorin ist es in ihrem Buch nicht gelungen, einen solchen Nachweis zu liefern. Dafür verstrickt sie sich oft in verschwörungstheoretischen Andeutungen. So vermutet Igel, dass "das wirkliche Ausmaß des Einflusses der Stasi im Terrorismus, ob im linken oder rechten, verdeckt bleiben soll" und Aufklärung bis heute "unerwünscht" ist (296 f.).
Gelegentlich schleichen sich schlichtweg Fehler in die Darstellung ein: So mutiert der palästinensische Terrorist Abu Nidal zum Anführer der "Arabischen Organisation des 15. Mai", einer eher unbedeutenden Splittergruppe (151). An anderer Stelle heißt es, Ilich Ramírez Sánchez, genannt "Carlos", sei auf Kuba ausgebildet worden (63) - hierbei handelt es sich um ein Gerücht, das von der CIA in Umlauf gebracht wurde. [6] Hinsichtlich der Frage, ob vom MfS abgefangene Fahndungsdaten des Informationssystems der deutschen Landespolizeien (INPOL) auf tatsächliche Bewegungsmuster von gesuchten Terroristen schließen lassen (186-189), wären weitere Belege notwendig. Der ehemalige "Chefauswerter" des Bundesamts für Verfassungsschutz, Winfried Ridder, hat 2013 bestätigt, dass das MfS Zugriff "auf alle polizeilichen Informationssysteme und Dateien" hatte und auch alle bei Grenzkontrollen gewonnenen Informationen abschöpfte. [7]
Fakten, die die Hauptthese nicht stützen, werden von Igel konsequent ausgeblendet - etwa die Tatsache, dass gerade das MfS die Kooperation mit Terrorgruppen als risikoreich ansah. Die Gefahr von Vergeltungsakten im Falle einer aktiven Vorgangsweise gegen diese Kräfte wurde ernst genommen. In einigen Fällen wurden Terroristen klare Grenzen aufgezeigt: So musste "Carlos", als dessen Präsenz seine Gastgeber kompromittierte, Mitte der 1980er Jahre den Ostblock verlassen. Die politischen Folgen der Kooperationen waren überhaupt negativ: Vor allem Ende der 1980er Jahre nutzten die USA das Wissen über diese Vorgänge dazu, Konzessionen zu erzwingen.
Unter dem Strich liefert Igel eine Ergänzung zum bereits bestehenden Wissen rund um die Internationalisierung des Terrorismus bzw. zur Rolle, die osteuropäische Geheimdienste dabei spielten. Unschärfe und Verallgemeinerungen schmälern allerdings den konkreten Nutzen für die Forschung.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bände, Hamburg 2006; Tobias von Heymann: Die Oktoberfest-Bombe. München, 26. September 1980, Berlin 2008; Johannes Hürter / Gian Enrico Rusconi (Hgg.): Die bleiernen Jahre. Staat und Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland und Italien 1969-1982, München 2010; Matthias Dahlke: Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa 1972-1975, München 2011; Tobias Hof: Staat und Terrorismus in Italien 1969-1982, München 2011; Thomas Riegler: Im Fadenkreuz. Österreich und der Nahostterrorismus 1973-1985, Göttingen 2011.
[2] Vgl. u.a. Claire Sterling: The Terror Network, New York 1981; Uri Ra'anan (ed.): Hydra of Carnage: The International Linkages of Terrorism and other Low-Intensity Operations. The Witnesses Speak, Lexington 1986; Benjamin Netanyahu: Terrorism. How The West Can Win, New York 1986, Ray Cline / Yonah Alexander: Terrorism as State-Sponsored Covert Warfare, Fairfax 1986.
[3] Claire Sterling: Das internationale Terrornetz. Der geheime Krieg gegen die westlichen Demokratien, Bergisch Gladbach 1983, 80 ff.
[4] Christopher Daase: Die RAF und der internationale Terrorismus. Zur transnationalen Kooperation klandestiner Organisationen, in: Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, hg. von Wolfgang Kraushaar, Hamburg 2006, 905-929 (hier 908).
[5] Timothy Naftali: Blind Spot. The Secret History of American Counterterrorism, New York 2005, 16.
[6] John Follain: Jackal: The Complete Story of the Legendary Terrorist, New York 1998, 10.
[7] Winfried Ridder: Verfassung ohne Schutz. Die Niederlagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus, München 2013, 125.
Thomas Riegler