Rezension über:

Annett Büttner: Die konfessionelle Kriegskrankenpflege im 19. Jahrhundert (= Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung; Beiheft 47), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, 481 S., ISBN 978-3-515-10462-3, EUR 69,00
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Rezension von:
Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension von: Annett Büttner: Die konfessionelle Kriegskrankenpflege im 19. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 1 [15.01.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/01/24484.html


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Annett Büttner: Die konfessionelle Kriegskrankenpflege im 19. Jahrhundert

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Ein militärisches Sanitätswesen kam erst nach dem Dreißigjährigen Krieg auf. Doch es blieb weit hinter den Erfordernissen zurück. Die Massenschlachten des 19. Jahrhunderts führten dann zur Entstehung der freiwilligen Krankenpflege. Von den Befreiungskriegen der Napoleonischen Ära bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs zeichnet Annett Büttner in ihrer medizinhistorischen Studie diese Entwicklung nach. Es ist eine Geschichte der Krankenpflege, eine Geschichte der religiösen Genossenschaften auf katholischer und evangelischer Seite, eine Geschichte des Umgangs mit Situationen der Überforderung, die aber auch Chancen zur religiösen Bewältigung boten. Akteure der konfessionellen Krankenpflege, die neben den Initiativen einer Florence Nightingale im Rahmen des Krimkriegs und dem internationalen Roten Kreuz Henri Dunants bestanden, waren zum einen aktive katholische Schwesterngemeinschaften, wie sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, und der als religiöse Genossenschaft neu organisierte Malteserorden. Zum anderen waren es Frauen aus der Mutterhausdiakonie, besonders Bethel, Kaiserswerth und Neuendettelsau, sowie Männer aus den Diakonenanstalten, besonders aus Hamburg, Duisburg, Erlangen, und dem Johanniterorden.

Ihre Bewährung erfuhr die freiwillige Krankenpflege in den Reichseinigungskriegen. Im Deutsch-Dänischen Krieg (1864) ergänzten die konfessionellen Pflegerinnen und Pfleger vor allem die Mängel der staatlichen Versorgung von Verwundeten. Für die Katholiken stand die Verbesserung des Ansehens im protestantischen Staat im Vordergrund. Die Trennung der Arbeitsgebiete nach Konfessionen wurde strikt durchgeführt. In der Öffentlichkeit veränderte sich allerdings das Bild von Krankenpflege: An die Stelle der Marketenderin trat die "aufopferungsvolle Krankenschwester" (123). Im Krieg Preußens gegen Österreich (1866) herrschte die Konkurrenz der Pflegeorganisationen und mangelnde Organisation der Hilfsleistungen vor. Büttner hebt hervor, dass für die christlichen Genossenschaften neben religiösen Motiven zu Hilfe und Nächstenliebe auch die gesellschaftliche Anerkennung wichtig war, für die evangelischen als Ausdruck der Verbundenheit zum protestantisch-preußischen Staat, für die katholischen als Mittel zur Emanzipation. Von den gesammelten Erfahrungen konnte der Einsatz im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) profitieren. Die freiwilligen Krankenpfleger waren oft schneller am Einsatzort als die militärischen. Mit zunehmender Kriegsdauer stieg die Zahl der Todesfälle durch Seuchen und chronische Krankheiten an. Der Einsatz der Schwestern wurde zusehends anerkannt, wenn auch die Organisation der Krankenpflege nach wie vor ungeordnet und chaotisch war.

Nach der quellengesättigten Darstellung des konfessionellen Engagements in den Reichseinigungskriegen gibt Büttner einen systematischen Durchblick durch die Probleme, die sich der Krankenpflege stellten. Nur wenige verfügten über eine ausreichende Qualifikation. Die meisten Schwestern und Brüder wurden nur elementar auf ihre Aufgaben vorbereitet. Die Autorin resümiert, "dass es in den Reichseinigungskriegen offenbar mehr auf die christliche Hilfsmotivation als auf die fachliche Qualifikation ankam" (300). Eine wichtige Funktion hatten die Schwestern und Brüder beim Transport der Verwundeten vom Schlachtfeld ins Lazarett. Auch hier führten die Kriege zu einer Verbesserung der Situation, insofern verstärkt Eisenbahn und Schiff eingesetzt wurden.

Die Begegnung mit Verwundeten und Sterbenden musste von den konfessionellen Pflegern auch persönlich bewältigt werden. Der Krieg an sich wurde, soweit die nicht sehr zahlreichen Ego-Zeugnisse es widerspiegeln, nicht in Frage gestellt. Der "gerechte Krieg" wurde für Deutschland reklamiert, "die Vermischung des Religiösen mit weltlichen, etwa nationalen Ideologien, führte zu einer noch stärkeren Ambivalenz christlicher Kriegstheorien" (324), besonders in der Deutung als Strafe und Sühne für die Sünden des Volkes. Die psychologische Bewältigung der Erlebnisse versuchten die Vorsteher der Mutterhäuser durch Rundbriefe und Besuche zu leisten, zumal viele der aus den unteren Gesellschaftsschichten stammenden Schwestern an der Diskrepanz zwischen dem Ordensgehorsam und den Anforderungen an ihre Selbstständigkeit litten und diese durch Gottergebenheit zu kompensieren suchten. Gefragt waren die Schwestern selbst in der Begleitung von Sterbenden und der Deutung des Sterbens "als Strafe Gottes für die sündige Menschheit und die damit verbundene Buße und Erlösung bis zur Gewissheit des Weiterlebens nach dem Tod und der Erlangung des ewigen Seelenheils" (344). Auch wenn im Laufe der Jahre der Ausdruck "Kamerad Schwester" auftauchte, blieben die konfessionellen Pflegerinnen doch in der Geschlechterhierarchie an zweiter Stelle. Als Helferinnen akzeptiert, versagte man ihnen doch eine konzeptionelle Mitarbeit an der Verbesserung der Kriegskrankenpflege. Diese wurde zunehmend zu einer Frauenarbeit, während die medizinischen Tätigkeiten in Männerhand blieben. Dass katholische Orden und protestantische Diakonie als "Mannschaften der Barmherzigkeit" dennoch akzeptiert wurden, hing mit ihrer Organisation als "totale Institution" zusammen, die Ähnlichkeiten mit dem Militär aufwies: "Die in den Mutterhäusern herrschenden Hierarchien und äußerliche Ähnlichkeiten, wie die uniformähnliche Tracht, prädestinierten ihre Angehörigen für die Zusammenarbeit mit dem Militär." (394)

Büttner schließt ihre Arbeit mit der Darstellung der Entwicklung der Krankenpflege bis zum Ersten Weltkrieg, in dem 117.988 Frauen und 132.782 Männer als Freiwillige Dienst taten. Der Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung setzte sich somit fort. Leider standen der Autorin nicht aus allen behandelten Gemeinschaften aussagekräftige Quellen zur Verfügung. Was sie jedoch verarbeitet hat, ergibt ein anschauliches Bild der konfessionellen Krankenpflege, ihres Umfangs und ihrer Organisation, ihrer Rezeption durch die Protagonisten, an vielen Stellen aber auch der Wirkung auf die beteiligten Schwestern und Brüder. So wird neben Organisationsgeschichte auch die Sozialgeschichte der Kriegskrankenpflege illustriert.

Joachim Schmiedl