Anthony Musson / Chantal Stebbings (eds.): Making Legal History. Approaches and Methodologies, Cambridge: Cambridge University Press 2012, IX + 319 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-1-107-01449-7, GBP 60,00
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Methodologische Fragestellungen, wie sich (Rechts-)Geschichte schreiben lässt und auf welche Methoden und Herangehensweisen dabei zurückgegriffen werden kann, gewinnen zunehmend an Bedeutung. [1] Damit schließt sich die Rechtsgeschichtsschreibung an den Reflexionsstrom über Herstellung und Praxis von Geschichtsschreibung an, der in den letzten Jahrzehnten vor allem die kulturgeschichtlichen Teildisziplinen, darin namentlich die Wissenschaftsgeschichtsschreibung - auf die sich im rezensierten Band immer wieder bezogen wird -, erfasst hat.
Die damit einhergehenden Forschungsproblematiken wurden auf der im Juli 2009 in Exeter abgehaltenen Nineteenth British Legal History Conference (Thomas G. Watkin zu den British Legal History Conferences: "a major international forum for legal-historical scholarship" [2]) verhandelt und die Beiträge im Jahr 2012 mit dem Tagungsband "Making Legal History. Approaches and Methodologies" [3] veröffentlicht. Herausgeber der Aufsatzsammlung sind Anthony Musson und Chantal Stebbings, die beide rechtshistorische Lehrstühle an der Universität Exeter innehaben. (I)
Der Band spiegele, so Musson und Stebbings, "something of the eclecticism of the conference" (1) wider. So würden die persönlichen Herangehensweisen international führender Rechtshistoriker, deren Expertisen sich auf jahrzehntelange Archivarbeit stützten, geschildert. (1) Die Kernaussagen der einzelnen Beiträge heranziehend, werden in der "Introduction" (1-6) die Hauptanliegen des Buches dargestellt: Danach verweisen die einzelnen Kapitel auf die Vielzahl rechtlicher und nicht-rechtlicher Quellen "that can be drawn on to inform the writing of legal history" (3) und heben die Bedeutung praktischer und methodologischer Problematiken hervor, die der Analyse und Interpretation von Rechtsquellen entspringen. (3) "The crux lies in the significance placed on law and history by the various interested parties and how historical research in the law is understood and used." (4) Insofern thematisierten die Vorträge die Beziehungen von Rechtshistorikern zum juristischen Berufsstand und beleuchteten unklare Grenzen und Gewichtungsunterschiede "between what lawyers and legal historians want to know and how they portray the past". (4) Musson und Stebbings betonen, dass die Richtung, in die sich die Rechtsgeschichte bewege, "is much more 'how the law works' rather than the traditional 'what the law is', showing a concern for both 'law in action' and 'legal outcomes' [...], together with an emergent field of 'how the law is perceived and received'". (5) Schließlich ermutigen die Herausgeber die Rechtshistorikerschaft, sich nicht zu scheuen, eine Vielzahl von Herangehensweisen anzuwenden und auf verschiedenen Wegen zur Ermittlung der "'truth' of the legal past" (6) zu experimentieren.
Die sechzehn Aufsätze (von denen hier zunächst lediglich eine Auswahl zitiert wird, ohne dass damit eine Wertung verbunden ist), decken thematisch und epochal - von Methodenfragen bis zu Bildquellen, vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert - weite Bereiche ab. Hier seien einige Beiträge - auf die im Folgenden kurz eingegangen wird - besonders erwähnt, die mit allgemeinen Überlegungen zum Betreiben von Rechtsgeschichte [John Baker, "Reflections on 'doing' legal history" (7-17)], mit der Rechtsgeschichtsschreibung über das 19. Jahrhundert [Chantal Stebbings, "Benefits and barriers. The making of Victorian legal history" (72-87)] und mit methodologischen Erörterungen aus vergleichender europäischer und transatlantischer Sicht [Marcel Senn, "The methodological debates in German-speaking Europe (1960-1990)" (108-117); David M. Rabban, "Methodology in legal history. From the history of free speech to the role of history in transatlantic legal thought" (88-107); David Ibbetson, "Comparative legal history. A methodology" (131-145)] befasst sind. Die Autorenschaft des Buches lehrt und forscht überwiegend an Universitäten des anglo-amerikanischen Raums, vertreten sind aber auch Kontinentaleuropa, Australien und Neuseeland.
Sir John Baker, einer der Nestoren seiner Zunft, bekennt schon zu Beginn seiner Erörterung "about 'doing' legal history" (7), über keine leicht darzustellende Methode, vielleicht über gar keine Methode, zu verfügen. (7) Anschaulich zeigt Baker von ihm präferierte Herangehensweisen auf und erläutert diese mit seinen Forschungserfahrungen: Er befasse sich zunächst eingehend mit den verfügbaren Quellen, um dann zu sehen, welche Fragen sie hervorbrächten oder beantworteten. (7) Als Aufgabe des Historikers - dem Juristen ähnlich - formuliert Baker "to find something above and beyond the sources - a story, a changing institution, or an evolving idea." (16)
Mit der Herstellung von Rechtsgeschichte in einer ganz bestimmten Epoche - dem Viktorianischen Zeitalter - und einem Aufriss der dazugehörigen Quellenlage und ihrer Problematik setzt sich Chantal Stebbings auseinander. Sie betont als "benefit to the legal historian" (75) das aus der großen Gesetzgebungs- und Rechtsreformtätigkeit der Viktorianischen Ära hervorgegangene umfangreiche und erreichbare Quellenmaterial, weist jedoch gleichermaßen auf die vorhandenen "barriers to making an effective legal history of the period" (78) hin. Zu den besonderen, Schwierigkeiten bereitenden, Charakteristika der Viktorianischen Gesetzgebung zählt Stebbings die Kreativität des damaligen Gesetzgebers (81), die starke Einbeziehung der Exekutive in die Gesetzgebung (84) und die Zugangsprobleme - sowohl für die Viktorianische Öffentlichkeit selbst als auch für die aktuelle Forschung - zur informellen und nicht-aufgezeichneten Verwaltungspraxis. (84 f.)
Im Sinne einer Selbstreflexion des Faches behandelt David M. Rabban in seinem Kapitel zur Methodologie der Rechtsgeschichte das amerikanische Rechtsdenken im Kontext des "transatlantic turn to history in the nineteenth century" (88), wobei die Auseinandersetzung mit der deutschen Historischen Schule und ihrer Kritik einen besonderen Stellenwert hat. Rabban schildert sein Erstaunen, feststellen zu müssen, wie wenig zur Geschichte der US-amerikanischen Rechtsgeschichte und ihrer Wendung zu sozialwissenschaftlichem Denken geschrieben worden ist. (91) Er referiert die wichtigsten Vertreter der amerikanischen Rechtsgeschichte, dabei die Parallelen zwischen Rechts- und Wissenschaftsgeschichte aufnehmend. (92)
Repräsentativ für die deutschsprachige Rechtsgeschichte ist hier der Beitrag von Marcel Senn. Er rückt historische Weichenstellungen der deutschen Universitäten seit den sechziger Jahren unter besonderer Berücksichtigung methodologischer Debatten in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. (109) Senn hebt vor allem die Positionen im Positivismusstreit, die philosophische Hermeneutik und die Kritische Theorie der Frankfurter Schule vor dem Hintergrund rechtshistorischer Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Staat hervor. (110 ff.) Hinsichtlich der englischen und deutschen Rechtsgeschichte betont er seine Hoffnung auf "some benefit in attempting to build bridges between two very different traditions in legal history." (114)
Ein eindrucksvoller, strukturierender und differenzierender Beitrag zur Methode einer vergleichenden Rechtsgeschichte wurde mit einem Referat, das David Ibbetson im Juli 2010 auf der inaugural conference der European Society for Comparative Legal History in Valencia hielt, in den Tagungsband zusätzlich aufgenommen. (131) Ibbetson weist darauf hin, dass er nur eine mögliche Methodologie unterbreite, keineswegs die einzig mögliche und erst recht keine Theorie. (134) Das Recht könne nicht nur als Intellektualsystem behandelt werden, sondern operiere "at a practical level in society" (135) und sei daher auf zwei Ebenen näher zu betrachten: einerseits auf der der rechtlichen Doktrin als "law in the books" (135), andererseits auf der Ebene rechtlicher Fallentscheidungen als "legal outcomes". (135) Zu dieser innerjurisdiktionellen Unterscheidung komme allerdings noch ein weiterer Faktor hinzu "what we might call 'non-law' - the ways in which potential disputes are resolved without recourse to formal legal mechanisms." (142) Ibbetson plädiert schließlich für eine vergleichende Rechtsgeschichte in Analogie zur vergleichenden Philologie. (145)
Den Autorinnen und Autoren gelingt es, wissenschaftliche Erfahrungen aus den verschiedenen Forschungstätigkeiten informativ aufzubereiten und in anschaulicher Weise mit Quellenfragen und theoretischen Überlegungen zu verknüpfen. Zudem wird ein transnationaler Zugang eröffnet zu aktuellen anglophonen und kontinentaleuropäischen Diskursen. Der Tagungsband beinhaltet eine Vielzahl von Anregungen für innovative Methodologien und Arbeitsformen der Rechtsgeschichtsschreibung.
Anmerkungen:
[1] Siehe beispielhaft für die deutsche Rechtsgeschichte Michael Stolleis: Rechtsgeschichte schreiben. Rekonstruktion, Erzählung, Fiktion? (Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen; Bd. 21), Basel 2008; für die deutsche Geschichtswissenschaft anschaulich - wenn auch nicht strengen Darstellungskriterien unterliegend - unter anderem die Gesprächssammlung von Alexander Kraus / Birte Kohtz (Hgg.): Geschichte als Passion. Über das Entdecken und Erzählen der Vergangenheit. Zehn Gespräche, Frankfurt am Main / New York 2011.
[2] Thomas G. Watkin: Legal History in England and Wales, in: Zs. für Neuere Rechtsgesch. 21 (1999), 436-450, hier 449.
[3] Anthony Musson / Chantal Stebbings (Eds.): Making Legal History. Approaches and Methodologies, Cambridge / New York / Melbourne et al. 2012.
Yorick Wirth