Rezension über:

Stefan Rinke: Kolumbus und der Tag von Guanahani. 1492: Ein Wendepunkt der Geschichte, Stuttgart: Theiss 2013, 190 S., 40 Farbabb., ISBN 978-3-8062-2468-9, EUR 24,95
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Rezension von:
Niels Wiecker
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Niels Wiecker: Rezension von: Stefan Rinke: Kolumbus und der Tag von Guanahani. 1492: Ein Wendepunkt der Geschichte, Stuttgart: Theiss 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/23467.html


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Stefan Rinke: Kolumbus und der Tag von Guanahani

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Der Berliner Lateinamerika-Historiker Stefan Rinke widmet sich einem der wenigen Daten der Weltgeschichte, das wohl unstreitig als Epoche machendes Ereignis angesehen werden kann. Charles C. Mann hat 2011 eindrucksvoll gezeigt, welch gravierende Umwälzungen sich aus dem Aufeinandertreffen von neuer und alter Welt ergeben haben. [1]

Rinke gibt einleitend zwei relativierende Denkanstöße: Zum einen hänge jeder Epochenumbruch von der Perspektive des Betrachters ab. Zum andern sei heute bekannt, dass vor Kolumbus bereits andere Europäer nach Amerika gelangt seien. Die massiven Veränderungen in Europa und der Welt nach 1492 und der daraus abgeleitete Epochenumbruch stehen für Rinke aber dennoch außer Frage.

Er beschreibt diesen Umbruch in drei Schritten: die getrennten Welten bis 1492, die Fahrt und Ankunft des Kolumbus sowie schließlich die Anfänge des europäischen Kolonialismus.

Im ersten Teil werden die altamerikanischen Kulturen dargestellt. Im Schnelldurchlauf geht es durch über 10.000 Jahre Geschichte, wobei die Vielzahl dieser Kulturen und deren Unterschiede deutlich werden. Dieses Kapitel ist weitgehend wortgleich mit Rinkes kurzer "Geschichte Lateinamerikas". [2] Es folgt dann die Darstellung der europäischen Seite. Rinke beginnt mit dem geographischen Weltbild der Zeit, das sich nicht nur auf Marco Polos Reisebericht aus dem 13. Jahrhundert stützte, sondern auch auf eine Reihe wiederentdeckter antiker Autoren. Zu Recht betont er dann die Leistungen der portugiesischen Seefahrer im 15. Jahrhundert, die mit ihren Entdeckungsfahrten im Atlantik den Spaniern weit voraus waren und wichtige Grundlagen für die europäische Expansion schufen. Eine Tatsache, die angesichts einer spanischsprachig dominierten Historiographie nicht immer ausreichend Beachtung findet. Kastilien initiierte hingegen erst spät Atlantikfahrten. In beiden Ländern war im 15. Jahrhundert die Idee einer Westfahrt nach Indien bekannt, und auch hier wagte sich zunächst Portugal vor, bevor Kolumbus letztlich erfolgreich war.

Das folgende Kapitel behandelt die erste Fahrt des Kolumbus und beginnt mit einem biographischen Abriss. Rinke stützt sich hier auf die knappe aber sehr solide Biographie von Frauke Gewecke, die 2006 zu Kolumbus' 500. Todestag im Jahr 2006 erschien. [3] In den letzten Jahren ist es etwas stiller um den Seefahrer geworden. Lediglich in der spanischen Forschung scheint man sich einige Dispute um die Frage zu liefern, ob Kolumbus Galicier oder Katalane war. Rinke hält an der Mehrheitsmeinung fest, der zufolge er aus Ligurien stammte und in Genua aufwuchs.

Ausführlich diskutiert Rinke, welches geographische Wissen Kolumbus vor seiner Fahrt haben konnte und wie der Seefahrer sowohl den portugiesischen König als auch die Katholischen Könige von seinem Projekt zu überzeugen versuchte. Als letztere ihm den Zuschlag gaben, bereitete er seine Reise vor und stach schließlich Anfang August 1492 in See. Sehr ausgewogen schildert Rinke Kolumbus' Ankunft auf einer Bahamas-Insel und widmet sich intensiv der Frage, was die Begegnung mit dem Unbekannten für beide Seiten bedeutete. Er unterstreicht, dass Kolumbus in seiner Darstellung der indigenen Bevölkerung von Beginn an auf den wirtschaftlichen Nutzen seiner Entdeckung abzielte.

Rinke behandelt dann in einem eigenen Kapitel die Frühphase der Kolonisation. Er beginnt mit den völkerrechtlichen Fragen, die sich aus der Entdeckung der Gebiete ergaben und die unter anderem im Vertrag von Tordesillas 1494 in eine Teilung der Interessensphären zwischen Kastilien und Portugal im Atlantik mündeten. Ins Zentrum stellt er in diesem Kapitel die demographische Katastrophe in Folge der eingeschleppten Krankheiten, Zwangsarbeit und der Eroberungszüge der Europäer, deren Opfer die indigene Bevölkerung wurde. Kurz werden die weiteren Kolumbusfahrten geschildert. Den Abschluss bildet ein Überblick über den Aufbau der Kolonialreiche. Während Rinke ansonsten alle Abschnitte mit Literaturbelegen versehen hat, gibt es hier nur einen Hinweis auf seine schon erwähnte Überblicksdarstellung, aus der viele Passagen gleichlautend übernommen wurden. [4]

Am Ende des Bandes steht ein Blick auf die Rezeptionsgeschichte des Ereignisses. Rinke beginnt mit der Legendenbildung durch Kolumbus selbst und verfolgt, wie sich das Weltbild der Europäer in den folgenden Jahrzehnten veränderte. Ausführlich geht der Verfasser auf die unterschiedlichen europäischen Wahrnehmungen gegenüber Amerika und seinen Bewohnern ein, die mal als "edle Wilde", mal als "Degenerierte" betrachtet worden seien. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die kritische Auseinandersetzung mit der Kolumbusfahrt im Vorfeld des 400. Jahrestages 1992.

Rinke hat einen gut lesbaren und klar gegliederten Überblick vorgelegt. Eigene Forschung oder eine eigene These präsentiert er nicht, sondern gibt den Forschungsstand gekonnt und facettenreich wieder. Dabei ist er sichtbar darum bemüht, jeden Anschein einer eurozentrischen Sichtweise zu vermeiden. Das wird schon am Titel deutlich. Der "Tag von Guanahani" dürfte in der Literatur bisher wohl nicht zu finden sein, und dieser Titel zeigt, dass Rinke ganz besonders die indigene Bevölkerung im Blick hat. Er selbst vermeidet Sammelbezeichnungen wie 'indigene Bevölkerung', sondern ist sehr darum bemüht, jede Bevölkerungsgruppe mit ihrem überlieferten Namen zu benennen. Ein solcher Anti-Eurozentrismus schießt allerdings deutlich über das Ziel hinaus, wenn der Autor zu dem Urteil kommt, Europa sei vor Kolumbus ein "welthistorisch unbedeutende[r] Appendix der eurasischen Landmasse" (20) gewesen.

Das Buch hat einen fiktiven Vorspann und einen fiktiven Nachspann. Ein Urteil darüber, ob sie gelungen sind, dürfte bei den Lesern allerdings unterschiedliche ausfallen. Die darin aufgestellte Behauptung, der Name Colón (so der Name Kolumbus im Spanischen), bedeute "der Kolonisator" (8) ist mindestens irreführend.

Die Aufmachung des Bandes ist exzellent. 40 farbige Abbildungen begleiten den Text und sind mit hilfreichen und gekonnt formulierten Legenden versehen. Zudem werden einige Themen wie etwa die Quellenproblematik in eigens abgesetzten Kästen erläutert. Am Ende finden sich zudem Zeittafel, Anmerkungsapparat, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Namens- und Ortsregister.

Das Buch richtet sich an Einsteiger in das Thema. Man wird allerdings das eine oder andere ergänzend nachschlagen müssen, denn manche erklärungsbedürftigen Begriffe wie "encomienda" oder "repartimiento" (113) werden nicht erläutert. Wer aber eine gut reflektierte, knappe Zusammenfassung des Forschungsstandes sucht, die mit viel Empathie auch immer wieder die amerikanische Bevölkerung in den Blick nimmt, der kann zu diesem Buch greifen.


Anmerkungen:

[1] Charles C. Mann: 1493. Uncovering the New World Columbus Created, New York 2011; deutsche Fassung: Kolumbus' Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen, Reinbek 2013.

[2] Stefan Rinke: Geschichte Lateinamerikas. Von den frühesten Kulturen bis zur Gegenwart, München 2010.

[3] Frauke Gewecke: Christoph Kolumbus, Frankfurt am Main 2006. Siehe auch: Alfred Kohler: Columbus und seine Zeit, München 2006.

[4] S. Anm. 1; für deutschsprachige Leser nach wie vor empfehlenswert: Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Band 1., Stuttgart 1994.

Niels Wiecker