Anke Wunderwald: Die katalanische Wandmalerei in der Diözese Urgell. 11. - 12. Jahrhundert (= Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bd. 7), Affalterbach: Didymos-Verlag 2010, 225 S., 181 Abb., ISBN 978-3-939020-07-3, EUR 69,00
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Das herausragende Patrimonium an romanischen Wandmalereien katalanischer Kirchen wurde in den 1920er-Jahren größtenteils aus dem angestammten Kontext genommen und in das Museu d'Art i d'Arqueología de Barcelona überführt, darunter auch die meisten der von Anke Wunderwald besprochenen Zyklen. Allerdings erregte es auch nach dieser Musealisierung nicht kontinuierlich die Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Forschung - abgesehen etwa von dem bereits 1968 erschienenen Überblickswerk von Otto Demus über Romanische Wandmalerei und der 1990 von Agathe Schmiddunser über die Wandmalereien von San Quirze de Pedret publizierten Magisterarbeit. Eine umfassende, auch kulturgeschichtliche und technische Belange berücksichtigende Einordnung fehlte bislang weitgehend.
Umso erfreulicher ist es, dass seit 2010 die leicht gekürzte Fassung der von Anke Wunderwald 2004 an der TU Berlin eingereichten Dissertation über die Wandmalereien des 11. bis 12. Jahrhunderts in der Diözese Urgell publiziert vorliegt. Das Buch gliedert sich in vier Kapitel, in denen der Stand der Forschung (19-52), die Geschichte der Diözese Urgell (53-84), die Wandmalereien von Sant Pere de la Seu d'Urgell (85-133) sowie mit Sant Pere de Burgal und Sant Climent de Taüll zwei Beispiele lokaler Schulbildung in der Pyrenäenregion (134-203) analysiert werden. Eine Schlussbetrachtung, Verzeichnisse, Register und vor allem ein Abbildungsteil - neben meist halbseitigen Farb- und zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen auch Karten, Schemata, Grund- und Aufrisse - runden den Band ab.
Ziel der Arbeit ist die Einordnung dieser Wandmalereien mittels eines ikonologischen und stilkritischen Ansatzes in den geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext des gregorianischen Reformzeitalters, das in der Diözese Urgell reiche Spuren hinterließ. Berücksichtigt werden dabei auch die Wandmalereien der Hospitalkapelle von Roda de Isábena und der Pfarrkirche von Unya (195-203). Von Vorteil für die Bearbeitung des Themas war die Magisterarbeit, die Wunderwald über die Wandmalerei der Kirche Santa Coloma d'Andorra im Bistum Urgell 1996 vorgelegt hatte.
Im ersten Kapitel wird bei der Sichtung der Forschungsliteratur, die vor allem Fragen des Stils und der Rezeption byzantinischer und lombardischer Einflüsse [1] sowie der iberischen Kunst und kaum ikonografische Aspekte umfasste (40-52), zu Recht auch die katalanische Kulturpolitik des frühen 20. Jahrhunderts berücksichtigt (19-33).
Im anschließenden, auf reichem Archivmaterial basierenden Überblick über die Geschichte der Diözese Urgell vom 6. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (53-84) liegt ein Schwerpunkt bei der Analyse des Verhältnisses der kirchlichen und weltlichen Machthaber in dieser Diözese zur römischen Kirche im Zuge der Loslösung vom fränkischen Einfluss und der Etablierung einer vor allem von Rom geprägten, aber auch von Cluny und Saint-Ruf in Avignon beeinflussten Reformhaltung. Am Beispiel des Pilgertums nach Santiago und Jerusalem im 11. Jahrhundert (72f.) erläutert Wunderwald für die stilkritische Diskussion wichtige Phänomene wie Kulturtransfer und überregionale Vernetzung. Berücksichtigt werden auch Aspekte wie das Einwirken Papst Urbans II. auf die Kirchenpolitik in Spanien im Zuge der Reconquista sowie der mutmaßliche Zusammenhang zwischen der Romreise Bischof Bernhard Wilhelms von Urgell (1076/1078) und der Ausführung mehrerer Wandmalereiprogramme in Kirchen des Bistums. Die einleitenden Kapitel sind aufgrund der Fülle des angebotenen Materials und der zuweilen sehr weit ausgreifenden Erläuterungen mit 80 Seiten fast genauso umfangreich wie die beiden daran anschließenden Kapitel über die Wandmalereien.
Im dritten Kapitel stellt Wunderwald der Analyse jeweils einen Überblick über den architektonischen Kontext, Restaurierungen, die Funktion und den Forschungsstand eines Sakralbaus voran. Bei der um 1092 errichteten Kirche Sant Pere de la Seu d'Urgell (85-133) ordnet sie die in der Apsiskonche bislang nicht sicher bestimmte Christusfigur auf der Bildebene als Sitzmotiv und Majestas Domini ein, auf der durch Inschriften ergänzten Textebene als Allusion auf den in den Himmel auffahrenden Christus und Richtergott (108). Vergleichsbeispiele einer so kombinierten Theophanie-Darstellung, die sich um das Jahr 1100 vor allem im Umkreis benediktinischer Reformklöster erhielten, verweisen ihr zufolge auf eine Beeinflussung der Darstellung in Urgell durch die Kunst des südfranzösischen Raums (110f.). Das Apsisprogramm mit dem in der römischen Monumentalkunst des 6. Jahrhunderts wurzelnden Majestas-Christus und dem Apostelkolleg sei Ausdruck gregorianischer Reformideale und römisch-petrinischer Machtansprüche für die an der Petruskirche von Urgell angesiedelten Domherrengemeinschaft. Darüber hinaus sei Maria mit dem verhüllten Diadem im Apsistambour auch als Oberhaupt der Kirche und ihr Attribut als Siegeszeichen der Reconquista zu deuten (111-124). Die von einem unbekannten Meister ausgeführten Apsismalereien datiert sie durch Vergleiche zur katalanischen und südfranzösischen Buchmalerei des späten 11. Jahrhunderts sowie zu Werken der zeitgenössischen Schatzkunst um 1100 (96f., 124-129) - eine Einordnung, die in der älteren Literatur nur zögerlich vertreten wurde, zumal Urgell sonst meist in Abhängigkeit von Taüll gesehen wird, und ihrerseits unsicher ist.
Im vierten Kapitel geht Wunderwald auch bei Sant Pere de Burgal und Sant Climent de Taüll (134-203) von einer Prägung des Bildprogramms durch die gregorianische Reform aus, zumal hier wie in Sant Pere de la Seu d'Urgell die Darstellung Christi mit dem Apostelkollegium die Apsis beherrscht. Zudem sei mit der einzigartigen Darstellung Marias mit Kelch dem vom römischen Reformpapsttum favorisierten Abendmalverständnis über die Realpräsenz Christi bei der Eucharistie Ausdruck verliehen worden (145-152).
In die stilistische Einordnung der Wandmalereien führt eine ausführliche Analyse der kontroversen Diskussion über die Existenz eines Meisters oder einer Schule von Pedret ein (152-161), wobei Wunderwald aufgrund zahlreicher Analogien in diversen Ausstattungsensembles der Diözese Urgell die Interpretation als regionale Schulbildung favorisiert (158). Die seit langem diskutierte Hypothese über das direkte Wirken lombardischer Künstler in Katalonien relativiert sie stark, um die regionale Rezeption italo-byzantinischer Vorbilder mit einem von der Gregorianischen Reform induzierten internationalen Stiltransfer zu begründen und zudem von einer gewissen stilistischen Eigenständigkeit in der Diözese Urgell auszugehen - ein Statement, das jüngst auch auf der Grundlage werktechnischer Analysen zunehmend erwogen wird. [2]
Den Abschluss des Bandes bilden die Ausführungen über die stilistisch heterogenen, gleichwohl in einer Arbeitsphase ausgeführten Wandmalereien von Sant Climent de Taüll (161-203). In der 1123 geweihten Säulenbasilika befand sich einst ein mit dem bereits zitierten Motivschatz zeitgenössischer katalanischer Kirchen übereinstimmendes Programm, das allerdings durch weitere, auf die Passion Christi verweisende Szenen wesentlich komplexer gestaltet und durch einen kirchlichen Berater (187) bzw. eine dem Reformpapsttum und einem reformtreuen Bischof nahestehende Persönlichkeit konzipiert worden sein dürfte. Die Wandmalereien von Roda de Isábena und von Santa Eulalia d'Unya beurteilt Wunderwald als Ergebnis einer Schulbildung um Taüll. Diese könnte ihren Ausgang im Bistum Roda-Barbastro genommen haben und durch kirchenpolitische Verbindungen erleichtert worden sein (195-202), Taüll habe wesentlich stärker auf die Region eingewirkt, als bislang angenommen.
Anke Wunderwald stellt mit ihrer Arbeit die Wandmalereien katalanischer Kirchen in den Kontext der gregorianischen Kirchenreform, die sie mit den Motiv- und Themenbereichen des Primats der römischen Kirche, der Eucharistie bzw. Liturgie und der Laienfrömmigkeit aufgegriffen sieht. Dabei diskutiert sie maßgebliche Aspekte der Stilentwicklung und Schulbildung sowie die Aufnahme von Einflüssen aus der Region sowie aus dem benachbarten Frankreich und Italien. Die Analyse der Wandmalereien ist fundiert und umsichtig und wurde mit Fokus auf das funktionale und kulturhistorische Umfeld vorgenommen. Häufiger wird für ikonografische Basisaspekte oder komplexe theologische Gesichtspunkte wie den Eucharistiestreit nur auf das sehr verdienstvolle, jedoch ältere ikonografische Lexikon von Gertrud Schiller oder auf Lexikonartikel verwiesen. Vergleichsbeispiele werden zum Teil aus geografisch disparaten, auch nordalpinen Kunstlandschaften herangezogen, ohne dass das Bewusstsein hierfür geschärft worden wäre. Gleichwohl können diese wenigen Punkte nichts an dem Gesamteindruck ändern, dass hier auf der Grundlage einer sehr materialreichen Arbeit und eines interdisziplinären Ansatzes, der auch liturgiegeschichtliche Aspekte beinhaltet, erstmals eine umfassende Analyse katalanischer Wandmalereien vorgestellt und wichtige neue Akzente gesetzt wurden.
Anmerkungen:
[1] Der 2010 publizierte Beitrag von Manuel Antonio Castiñeiras González: Il Maestro di Pedret e la pittura lombarda. Mito o realtà?, in: Arte lombarda 156 (2009), Nr. 2, 48-66, der auch materialtechnische Ergebnisse präsentiert, lag zum Zeitpunkt der Publikation von Anke Wunderwalds Monografie noch nicht vor.
[2] Siehe Castiñeiras González (wie Anm. 1).
Monika E. Müller