Michael Hirschfeld: Die Bischofswahlen im Deutschen Reich 1887 bis 1914. Ein Konfliktfeld zwischen Staat und katholischer Kirche zwischen dem Ende des Kulturkampfes und dem Ersten Weltkrieg, Münster: Aschendorff 2012, 1003 S., ISBN 978-3-402-12963-0, EUR 78,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Mit seiner Arbeit, die auf der 2011 in Vechta angenommenen Habilitationsschrift beruht, wendet sich Michael Hirschfeld dem Verhältnis von Kirche und Staat zu, wobei er auf die Bischofswahlen fokussiert. Entgegen einer von ihm kritisierten Konzentration auf den politischen Katholizismus und die Verengung auf parteipolitische Akteure, in der er die Gefahr einer Gleichsetzung von katholischer Kirche und Zentrum sieht (30), widmet sich Hirschfeld der Diplomatiegeschichte der katholischen Kirche. Die Bischofswahlen stehen dabei als "ein pars pro toto dafür [...], wie in einem postabsolutistischen Staat das Konfliktpotenzial von Kirche und Staat zwischen den beiden Polen nachhaltiger Bevormundung und Reklamierung der Freiheit der Kirche ausgetragen wurde" (13). Bereits in der Umschlaggestaltung, die eine im Kladderadatsch erschienene Karikatur Gustav Brandts "Aus dem Erzbistum Posen" zur Bischofsstuhlbesetzung 1890 zeigt, wird dabei ausdrücklich Bezug auf die östlichen Provinzen Preußens genommen. Dort trat zu dem prinzipiellen Antagonismus zwischen Staat und Kirche der Nationalitätenkonflikt hinzu, so dass sich zwei Konfliktebenen überlagerten.
Der Verfasser geht auf die 26 katholischen Jurisdiktionsbezirke im Deutschen Reich ein, an deren Spitze ein Bischof oder Erzbischof stand; da sich etwa die Hälfte (zwölf) davon in Preußen befand, liegt hier auch ein Schwerpunkt der Darstellung. Die Rechtslage zur Bischofsbestimmung variierte stark und basierte überwiegend auf den in der "Konkordatsära" nach 1817 geschlossenen Konkordaten: In Preußen überwog das System, in dem die Domkapitel Kandidatenlisten erstellten, von denen der Monarch im Rahmen des negativen Ausschließungsrechts ihm mindergenehme Kandidaten streichen durfte. Nach dem in den 1840er Jahren verbreiteten "Irischen Listenverfahren" sollten auch nach der Streichung noch mindestens zwei oder drei Kandidaten auf der Liste verbleiben, um dem Kapitel eine Wahl zu ermöglichen. Der Gewählte musste abschließend von der Regierung und dem Vatikan bestätigt werden. Wenn, was auch vorkam, der Monarch alle Kandidaten als mindergenehm strich, bestand zum einen die Möglichkeit, dass das Kapitel eine zweite Liste erstellte, zum anderen aber auch die Option, dass Vatikan und Monarch sich unter Missachtung des Wahlrechts der Kapitel direkt auf einen Bischofskandidaten verständigten. In Staaten mit katholischem Staatsoberhaupt, zum Beispiel Bayern, fand dagegen keine Wahl statt. Hier hatte das Staatsoberhaupt das positive Ernennungsrecht, bei dem der Vatikan eine vorherige, informelle Information zwar erbat, aber keine rechtliche Grundlage hatte, sie einzufordern. Begrenzt wurde der Monarch bei seiner Auswahl von Kriterien, die festlegten, ob Geistliche episkopabel waren oder nicht; "harten", nicht verhandelbaren Bedingungen wie einem Mindestalter oder der mindestens sechs Monate zurückliegenden Weihe standen dehnbare Kriterien wie das der Moralität entgegen. Die Komplexität der Rechtslage mag folgendes Beispiel verdeutlichen: In Elsass-Lothringen räumte das Napoleonische Konkordat das Recht, die Bischöfe zu nominieren, dem jeweiligen Staatsoberhaupt ein unter der Voraussetzung, dass es katholisch war - was im Untersuchungszeitraum das Haus Hohenzollern vor eine gewisse Herausforderung stellte. Die Einsetzung eines katholischen Statthalters und die Erklärung des Vatikans, dass ein einzelner Makel nicht den Gesamtcharakter des Konkordats in Frage stelle, lösten hier das Dilemma.
Der Verfasser definiert den Kulturkampf einleitend "als Kulmination der Modernisierungskonflikte zwischen dem von Nationalisierung, Industrialisierung, Diversifizierung und vor allem Liberalisierung geprägten Staat und der aus dessen Sicht mit ihrem Ultramontanismus restaurativ agierenden katholischen Kirche" (41). Das traditionellerweise als dessen Endpunkt betrachtete Jahr 1887, in dem die "Friedensgesetze" zwischen Otto von Bismarck und Leo XIII. geschlossen wurden, stellt er allerdings als grundsätzliche Zäsur in Frage. Daher besteht das Ziel der Untersuchung darin festzustellen, ob hinsichtlich der Bischofsstuhlbesetzung von einer Prolongierung des Kulturkampfes bis 1914 gesprochen werden kann. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Konflikt um die kirchliche Personalpolitik in allen Staaten des Deutschen Reiches habe, so Hischfelds Resümee, bis zum Ersten Weltkrieg unvermindert angedauert (833). Die Bestimmung über die Person des neuen Bischofs habe der Staatsbürokratie "als Schlüssel für die Herrschaft über die katholische Kirche und ihre Gläubigen, also als Mittel zur Eindämmung des als Bedrohung empfundenen Ultramontanismus" (805) gegolten.
Das vorliegende Werk ist in erster Linie als Handbuch konzipiert, das geografisch nach Staaten und Diözesen und innerhalb dieser chronologisch angeordnet ist; ein Kapitel zur Feldpropstei der preußischen Armee schließt sich an. Zu Beginn der Darstellung wird jeweils die rechtliche Situation der Bischofsernennungen umrissen. Einer Vorstellung sowie einer vor allem aus staatlichen Unterlagen schöpfenden Kurzcharakterisierung der Kandidaten folgt eine Darlegung der diplomatischen und innerkirchlichen Entwicklungen, an deren Ende in aller Regel eine Bischofsweihe stand. Diese Darstellung ist auch für die Diözese Gnesen-Posen als gelungen zu bezeichnen, wobei der Verfasser das Spannungsverhältnis zwischen Staat, Kirche und Nation herausstellt. Er belegt das Wissen der Verwaltung darum, dass die katholische Kirche in der Bevölkerung als Vertreterin der polnisch-nationalen Interessen wahrgenommen wurde, und benennt dagegen gerichtete behördliche Maßnahmen wie die Verlegung des Bischofssitzes nach Posen und das Verbot der Bezeichnung dieses Erzbischofs als "Primas Poloniae", der traditionell den Interrex in Polen stellte. Ebenso stellt er wichtige staatliche Maßnahmen wie das Ansiedlungsgesetz von 1886 oder das Verbot des polnischsprachigen Religionsunterrichts vor; eine Diskussion des Begriffs "Germanisierung", der inzwischen in seiner Vielfalt erforscht wurde, wäre hier wünschenswert gewesen.
Abschließend erfolgt jeweils eine Darstellung zu Weihbischofsernennungen; der Verfasser legt dar, dass diese zwar nicht gewählt wurden, begründet ihre Aufnahme in die Untersuchung aber damit, dass "die Alarmglocken der Staatsbehörden bei dem Wort Bischof schrillten, selbst wenn der zu Ernennende mit dem entsprechenden Präfix versehen war, das ihn nur zum Weihbischof machte" (45). Der Quellenlage geschuldet - die Protokollbücher geben in der Regel nur Sitzungsverläufe und Abstimmungsergebnisse wieder - ist der Verfasser bei der Darstellung der Entwicklungen in den Domkapiteln, also der unter anderem in Preußen wahlberechtigten Instanz, auf Briefe und Zeitungsmaterial angewiesen. Zur Untersuchung der in und zwischen den Hauptstädten der deutschen Staaten, vor allem Berlin, und dem Vatikan verfolgten Ziele kann er sich dagegen in hohem Maße auf Archivmaterialien stützen, anhand derer er bewusste Verzögerungstaktiken von bloßer "Saumseligkeit der vatikanischen Kurie" (966) unterscheiden kann. Erfreulich ist, dass der Verfasser eine Beschäftigung mit nationalen Minderheiten sowohl in den östlichen als auch in den westlichen Regionen des Reiches verfolgt und entsprechende Überlegungen in den von staatlicher Seite zu internen Zwecken verfassten Biogrammen der Kandidaten thematisiert. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn er diese Überlegungen auch in das Kapitel zur preußischen Feldpropstei einbezogen und die vorhandene Literatur berücksichtigt hätte.[1] Eine Schwäche der Arbeit ist darin zu sehen, dass zentrale Begrifflichkeiten der Untersuchung wie "Staatskatholik" oder "(Staats-)Loyalität" nicht definiert werden.
Die Arbeit zeichnet sich durch ihren Detailreichtum aus, in der die omnipräsente Sorge aller politischen Entscheidungsträger herausgearbeitet wird, in einem politisch nicht gefestigten Verhandlungsfeld die Regeln für ein Miteinander zu finden, während jede Seite sowohl hochsensibel auf die Wahrung ihrer Rechte wachte als auch diesen Rahmen auszuweiten versuchte. Das vom Autor gesteckte Ziel, eine übersichtliche Darstellung vorzulegen, die auch Handbuchcharakter hat, wird eingelöst.
Anmerkung:
[1] Zum Beispiel Jens Boysen: Preußische Armee und polnische Minderheit. Royalistische Streitkräfte im Kontext der Nationalitätenfrage des 19. Jahrhunderts (1815-1914), Marburg 2008.
Pascale Mannert