David Close / Salvador Martí i Puig / Shelley A. McConnell (eds.): The Sandinistas and Nicaragua Since 1979, Boulder / London: Lynne Rienner Publishers 2012, VII + 365 S., ISBN 978-1-58826-798-6, USD 69,95
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Als der Diktator Somoza im Juli 1979 nach einem Bürgerkrieg aus Nicaragua floh, stieß der Sieg der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) international auf große Sympathie. Da die Familiendiktatur der Somozas auf Interventionen der USA in den 1920/30er Jahren zurückging, hatte sie stets ein tiefes Legitimitätsdefizit aufgewiesen, hinzu kamen Korruption und brutale Polizeistaatlichkeit. Für die FSLN engagierte sich eine internationalen Solidaritätsbewegung, die durch den Ausbruch eines zweiten Bürgerkriegs, ab etwa 1981/82, weiteren Auftrieb erhielt. Ein Grund für die auch in der Bundesrepublik verbreitete Parteinahme zugunsten der Sandinisten war der Umstand, dass die Reagan-Administration den Kampf des anti-sandinistischen Widerstandes, Contras genannt, offen und verdeckt militärisch unterstützte. Wegen der damaligen Polarisierung gehört das Thema zu den sehr kontrovers beurteilten Feldern der Zeitgeschichte. In der Einleitung des hier besprochenen Bandes liefern David Close und Salvador Martí i Puig eine Interpretation der Ereignisse, die der damaligen Sicht der FSLN und ihrer Sympathisanten entspricht: "They [the Sandinistas] start with the determination of the United States throughout the 1980s to destroy the Sandinista Revolution, even if that meant destroying Nicaragua, too. Clearly the FSLN government had no control over US policy toward it, short of saying 'uncle' and disbanding." (1) Der zweite Bürgerkrieg erscheint hier als reine Aggression der USA ohne Zusammenhang mit der Innen- und Außenpolitik der FSLN.
Die Sichtweise von Close und Puig ignoriert den Versuch der FSLN, aus Nicaragua - auch mit Unterstützung der DDR [1] - eine kommunistische Volksdemokratie zu machen. Die in Deutschland verfügbaren Quellen, aus den DDR-Archiven oder dem Auswärtigen Amt, ergeben hierzu ein eindeutiges Bild. Schon im Mai 1980 trafen sich in Ost-Berlin Vertreter der Staatssicherheitsorgane der UdSSR, der ČSSR, Bulgariens, Kubas und der DDR, um den Aufbau des nicaraguanischen Staatssicherheitsdienstes zu koordinieren. Der KGB-Oberst Kolomjakow betonte, dass "ein Faktor, der wesentlich zum Sieg der nicaraguanischen Revolution beitrug, die sehr flexible Taktik der sandinistischen Führung bzgl. der bürgerlich-demokratischen Staaten in Lateinamerika war", welche "unter aktiver Beteiligung des Genossen Fidel Castro ausgearbeitet" worden sei. Kolomjakow befürwortete die Fortsetzung dieser auf einen verschleierten Diktaturaufbau abzielenden Taktik. Als marxistisch-leninistischer Dialektiker sah der MfS-Generalmajor Jänicke aber bereits eine Zuspitzung der Lage voraus: "Doch mit der weiteren progressiven Entwicklung des Landes wird auch der Klassenkampf an Schärfe zunehmen [...]. Die Frage 'wer - wen?' ist in Nikaragua noch nicht entschieden." [2] Der ehemalige Vizepräsident des sandinistischen Nicaragua, Sergio Ramírez, hat bestätigt, dass es der FSLN nach dem Sieg um den "Aufbau der sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage der Diktatur des Proletariats" ging, dabei aber "nach außen unsere Predigt von gemischter Wirtschaft, politischem Pluralismus und Blockfreiheit aufrechtzuerhalten". [3]
Wie Ramírez rückblickend eingesteht, war die auf Kollektivierung abzielende Landwirtschaftspolitik der FSLN ein wesentlicher Grund für den zweiten Bürgerkrieg. [4] Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch wissenschaftlich erhärtet. Lynn Horton hat in einer gründlichen Regionalstudie die Motive für den bäuerlichen Widerstand gegen die FSLN dokumentiert. [5] In seinem Beitrag zu den Opponenten der FSLN, der differenzierter ausfällt als die Einleitung, kann auch Close nicht umhin einzuräumen, dass Teile der Bauernschaft wegen der Landreform gegen die sandinistische Regierung opponierten. (47) Der Contra-Krieg brach just in den ländlichen Rückzugsräumen aus, die die FSLN in ihrem Kampf gegen Somoza beherbergt hatten. (54) Allerdings versucht Close, die Contras weiterhin als Terrorgruppe zu diskreditieren (56), wie dies in der zeitgenössischen Propaganda üblich war. Die Menschenrechtsverletzungen der sandinistischen Sicherheitskräfte, die Ramírez in drastischen Worten beschreibt [6], finden bei Close und den anderen Autoren kaum Beachtung. Der Zusammenhang zwischen Kollektivierung und Bürgerkrieg wird indes nochmals im Beitrag von Eduardo Baumeister über die Politik der Landreform deutlich. In Nicaragua überwogen auch vor der Revolution nicht Großagrarier, sondern kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe, deren Inhaber auch heute noch zu den Gegnern der FSLN zählen: "Election returns from 1990 through 2006 show that outside urban regions, support for the FSLN was weak in the central and Atlantic zones, a direct and lingering consequence of agrarian reform policies." (251)
Ein Teilkonflikt des zweiten Bürgerkrieges war der zwischen der FSLN und der multiethnischen Bevölkerung der nicaraguanischen Karibikküste, die indigene Völker und eine afro-karibische Gemeinschaft umfasst. [7] Die Landreform der FSLN kollidierte hier 1981 mit Autonomiebestrebungen. Ein von der FSLN zur Aufstandsbekämpfung durchgeführtes Umsiedlungsprogramm führte zu einer Massenflucht nach Honduras und Costa Rica, von wo aus die betroffenen Gemeinschaften bewaffneten Widerstand leisteten. In ihrem Aufsatz beschreiben Miguel González und Dolores Figueroa diesen Sonderkonflikt einigermaßen zutreffend, aber unter Ausblendung der Umsiedlung und mit viel Verständnis für die FSLN: "A series of particularly tragic incidents between Sandinista soldiers and young indigenous activists seems to have sparked military confrontation." (166) Immerhin gelang es den Sandinisten, diesen Konflikt durch Verhandlungen beizulegen. Nachdem sich 1984 abzeichnete, dass eine militärische Lösung nicht möglich war, vereinbarten sie ein Autonomiestatut, das 1986 eine Rückkehr der Flüchtlinge ermöglichte.
Der Beitrag von Hector Perla zur internationalen Solidaritätsbewegung für die FSLN beschränkt sich auf die in den USA aktiven Gruppen und bleibt dabei den Stereotypen der Szene verhaftet. Den Beginn der Unterstützung der USA für die Contras datiert er auf das Jahr 1982; interne Ursachen für den bewaffneten Widerstand benennt er nicht. Aus dem Umstand, dass die Contras nicht in der Lage waren, die hochgerüstete Sandinistische Volksarmee zu besiegen, zieht Perla den Schluss, dass sie das nicaraguanische Volk durch Terror strafen (punish) und dadurch zur Rebellion gegen die Revolutionsregierung veranlassen sollten. (273 und 275) Laut seiner Darstellung war das nicaraguanische Exil in den USA ein wichtiger Ausgangspunkt für die Solidaritätsnetzwerke. Im direkten Zusammenwirken mit der FSLN wurde so eine pro-sandinistische Gegenöffentlichkeit in den USA geschaffen.
Der Schwerpunkt des Bandes ruht auf der Zeit nach 1990, als die erste Regierungsphase der FSLN durch die Abwahl des Präsidenten Daniel Ortega endete. Für diesen Zeitraum sind die Beiträge differenzierter als für die 1980er Jahre. Ortega, starker Mann der FSLN und seit 2007 wieder Präsident Nicaraguas, genießt bei den Autoren wenig Sympathie, die eher den FSLN-Dissidenten zuneigen. In dem Beitrag von Martí i Puig über die "FSLN und den Sandinismus" werden die innerparteilichen Machtkämpfe der 1990er Jahre analysiert. Der Leser erfährt, dass sich Ortega dabei auf Tomás Borge, Luis Carríon und Lenin Cerna stützen konnte, dass diese bis 1990 die sandinistische Staatssicherheit führten, bleibt ebenso unerwähnt wie das Wirken dieser Geheimpolizei insgesamt.
Der beste Beitrag des Bandes ist der von Karen Kampwirth über die feministische Bewegung. Auf diesem Feld lassen sich die Dynamiken gut erkennen, die zum Bruch zwischen Ortega und seinem intellektuellen Umfeld führten. Die feministische Bewegung zählte zu den frühen FSLN-Unterstützern, da sie mit deren Herrschaft Modernisierungshoffnungen verband. Im zweiten Bürgerkrieg war die FSLN aber bestrebt, die feministische Bewegung, insbesondere deren lesbischen Flügel, aus taktischen Gründen möglichst unsichtbar zu halten. Ab 1990 führte das Ende des Bürgerkriegs zu einem Aufblühen gesellschaftlicher Selbstorganisation, das auch von der feministischen Bewegung sowie Schwulen- und Lesben-Gruppen getragen wurde. Der "Antifeminismus" blieb in Nicaragua aber stark, zumal er sich auf den korrupten Präsidenten Arnoldo Alemán und die Katholische Kirche stützen konnte. Um seine Wiederwahl zu sichern, bediente sich Ortega nicht nur eines mit Alemán gebildeten Machtkartells, sondern suchte auch den Ausgleich mit der Kirche. Letzteren vollzog er, indem er die FSLN einem Abtreibungsverbot zustimmen ließ, das das seit dem späten 19. Jahrhundert bestehende Recht auf Abtreibung aufgrund medizinischer Indikation aufhob.
Was die Demokratie im Nicaragua der Gegenwart betrifft, sind sich die Autoren einig, dass alle Indikatoren für eine Erosion sprechen. In ihrer Untersuchung zur Politisierung der Justiz zeigt Elena Martínez Barahona, wie es Ortega im Zusammenspiel mit Alemán gelang, der FSLN einen wachsenden und schließlich überwältigenden Einfluss über die Judikative zu sichern. Als Indikator für eine Demokratie verbleiben somit allein die Wahlen, mit deren Entwicklung sich Shelley A. McConnell beschäftigt. Seit Beginn von Ortegas zweiter Präsidentschaft, die nur durch eine mit Alemán abgekartete Verfassungsänderung möglich wurde, wurden auch die Wahlen mit einem System institutionalisierter Manipulationen überzogen. Ortega scheint dadurch mittlerweile in der Lage, sich auch der Rechenschaftslegung an den Urnen zu entziehen. Im Einsatz eines bewaffneten Schlägertrupps gegen eine Radiostation der Opposition sehen Close und Martí i Puig ein Anzeichen für die Rückkehr der Gewalt ins politische Leben Nicaraguas. Wie in den 1980er Jahren finanziert Ortega Ansätze zur Sozialstaatlichkeit durch ausländische Hilfe. Zuletzt war es Hugo Chávez, der diese Form der Machtsicherung ermöglichte. Ohne dass die Autoren diese Parallele zu den 1980ern aufzeigen, endet ihr Berichtszeitraum also mit dem zunächst verdeckten, dann immer dreister durchgeführten Aufbau einer Diktatur.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Hans Lindemann: Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Kuba, Nicaragua und Angola sowie die Konsequenzen für das Verhältnis der Bundesrepublik zu diesen Ländern, in: Enquete-Kommission 'Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit', Bd. VIII, 2: Deutschland in Europa, hg. vom Deutschen Bundestag, Franfurt am Main 1999, 1893-1924. [Seitenangabe nur für Nicaragua]
Klaus Storkmann: "Die Verteidigung der Revolution in Nicaragua unterstützen." Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR, in: Aufbruch nach Nicaragua. Deutsch-deutsche Solidarität im Systemwettstreit, hgg. von Erika Harzer / Willi Volks, Berlin 2008, 170-179.
[2] Vgl. die Niederschrift über die multilaterale Beratung von Vertretern der Staatssicherheitsorgane der UdSSR, der ČSSR, der VR Bulgarien, Kubas und der DDR über Nicaragua (Berlin, den 12. und 13. Mai 1980), in: Gerhard Ehlert / Jochen Staadt / Tobias Voigt: Die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) und dem Ministerium des Innern Kubas (MINIT), Berlin 2002, Dok. 17, 231 und 215.
[3] Sergio Ramírez: Adios, Muchachos! Eine Erinnerung an die sandinistische Revolution, Wuppertal 2001, 101f.
[4] Vgl. ebenda, 2004-2009.
[5] Lynn Horton: Peasants in Arms. War and Peace in the Mountains of Nicaragua, 1979-1994, Athens/Ohio 1998.
[6] Ramírez, a.a.o., 206.
[7] Für Quellen zu diesem Konflikt vgl. Pogrom. Zeitschrift für bedrohte Völker, 13. Jahrgang, Nr. 95 (Okt./Nov./Dez. 1982), S. 16-58.
Michael Ploetz