Eva Maier: Stuckmarmor und Raumgestaltung. Johann Michael Feichtmayrs Stuckmarmorausstattungen sakraler Innenräume und deren Bedeutung, München: Volk Verlag 2013, 273 S., ISBN 978-3-86222-105-9, EUR 19,90
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Gibt es noch blinde Flecken bei der Betrachtung des süddeutschen Rokokos? Folgt man Eva Maier, dann ist es der Stuckmarmor. Das verwundert zunächst, zählt doch gerade dieses Material zu den Leitmedien der Epoche, und auch der Protagonist, an dessen Beispiel sich die Verfasserin ihrem Gegenstand aus kunsthistorischer und denkmalpflegerischer Sicht nähert, ist beileibe kein unbekannter, sondern vielmehr einer der prominentesten Vertreter der berühmten 'Wessobrunner Schule': Der in Augsburg ansässige Johann Michael Feichtmayr (ca. 1710-1772, nicht zur verwechseln mit zahlreichen direkt verwandten Künstlern wie seinem Bruder Franz Xaver oder seinem Namensvetter, dem im Bodenseeraum tätigen Joseph Anton Feuchtmayer) zeichnete verantwortlich für die Ausstattung so viel beachteter und gut untersuchter Bauten wie Vierzehnheiligen oder Ottobeuren. Er hat zuletzt eine neuere monografische Würdigung in der knappen, nicht illustrierten Dissertation Ralf Scharnagls von 1993 [1] und einem schmalen Ausstellungskatalog des Museums Landsberg von 2009 [2] zu mehreren neu aufgefundenen Altarentwürfen dieses Meisters erfahren - was also begründet die erneute Beschäftigung mit Person und Gegenstand?
Maiers Anliegen ist es, am Beispiel eines Künstlerœuvres grundsätzliche Fragen nach der Bedeutung dieses spezifischen Ausstattungselements für die Sakralraumgestaltung der Zeit zu beantworten. Sie löst somit die Stuckmarmorarbeiten Feichtmayrs aus dem Kontext seines Gesamtwerks: Das erscheint zunächst kaum einleuchtend, handelt es sich doch nicht um einen klar abgrenzbaren Werkkomplex, sondern fast immer um den untrennbaren Bestandteil einer Gesamtausstattung, der auch meist nicht separat verakkordiert, sondern sozusagen "im Paket" mit dem ornamentalen und figürlichen Stuck und / oder im Zusammenhang von Altaraufträgen vergeben wurde. Das belegt schon das Coverbild des in der Schriftenreihe des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege erschienenen, mit 193 Farbbildern reich illustrierten Bandes, auf dem das Langhaus der mainfränkischen Benediktinerabteikirche Amorbach gezeigt ist: Feichtmayrs Kompanie war hier nicht nur für die in der Tat raumprägenden farbintensiv stuckierten Pilasterschäfte und Altäre, sondern ebenso für die putzsichtigen Kapitelle, Rocaillen und vergoldeten Reliefmedaillons zuständig. Das kaum entwirrbare Zusammenspiel der verschiedenen Entwerfer, Materien und Gewerke, geradezu genuin für diese Kunst, wird somit aus analytischen Gründen materialtechnisch dissoziiert - ob dies erkenntnisfördernd und dem Gegenstand angemessen ist, gilt es zu überprüfen.
Maier gliedert ihre Arbeit in zehn Abschnitte. Nach Einführung und Forschungsstand folgt der Versuch einer Klärung der biografischen Überlieferung, die mit der bei einem so prominenten Künstler überraschenden Feststellung aufwartet, dass Geburtsjahr und damit Lebensalter bis heute ungeklärt sind, wobei sich die Autorin (20f.) mit guten Gründen für das späteste Datum 1710 (statt 1696) ausspricht, sodass dessen nachweisbare Einschreibung als Lehrling beim Augsburger Maurermeister Johann Paulus im zwölften Lebensjahr erfolgt wäre. Wichtig für die weitere Karriere war offensichtlich für beide Brüder Feichtmayr die Verheiratung mit einer Augsburgerin, welche erst die Einbürgerung und damit die selbständige Gewerbeausübung ermöglichte (19ff.).
Das folgende Kapitel ist der Entwicklung des Stuckmarmors gewidmet, der wohl eine bayerische (nicht italienische) Erfindung aus dem Umkreis des Münchner Hofes um 1580 ist. Im Abschnitt "Technik und Werkstoff" (36-60), in dem Beobachtungen am Material sowie Erfahrungen heute in der Restaurierung tätiger Stuckateure im Mittelpunkt stehen, wird die Entstehung der Arbeit im direkten Kontakt zur praktischen Denkmalpflege spürbar. So ist z.B. die heutige Farbwirkung der Raumausstattungen nur bedingt als ursprünglich zu betrachten, da nicht nur Restaurierungen im jeweiligen Zeitgeschmack, sondern auch chemische Veränderung, die zum Ausbleichen von ehemals leuchtenden Farben unter Lichteinfluss führen (hier waren besonders die unter Verwendung von Indigo gebildeten Blautöne betroffen) das originale Konzept durchaus stark verändert haben können (46ff., 169).
Zu den interessantesten Passagen des Buches zählen die Erläuterungen der Autorin zum "Gewerbe des Marmorierers" (62-76). Hierbei erweist sich, dass die Rede von den "Stuckateurmeistern" für das 17. und 18. Jahrhundert eigentlich unzutreffend ist, weil es sich um eine relativ neue künstlerische Technik handelt, welche in erstarrten Zunftgefügen wie z.B. der Reichsstadt Augsburg keinen eigenen Rang als autonomes Handwerk beanspruchen konnte, sondern in ein bereits bestehendes Gewerk, z.B. als Maurer, Bildhauer oder Kramer (!) "eingezunftet" werden musste. Daher erschien es fraglich, ob die hier Tätigen überhaupt als "Meister" regulär Gesellen ausbilden konnten. Die übliche Geschäftsform war die sogenannte Akkordgemeinschaft, also der an ein bestimmtes Projekt gebundene Zusammenschluss prinzipiell freischaffender individueller Künstler. Das erklärt auch, warum die Händescheidung in den ad hoc für einzelne Bauvorhaben gegründeten Kompanien oft viel schwieriger erscheint als z.B. bei den Malern, deren stabile Werkstattzusammenhänge, Lehrer- und Schülerverhältnisse etc. oft gut dokumentiert sind. So arbeitete Johann Michael oft als "Principal" mit seinen "Compagnons", z.B. dem Bruder Franz Xaver Feichtmayr und dem Wessobrunner Johann Georg Üblher zusammen, ohne eine gemeinsame "Firma" zu begründen: Die Künstler dieser temporären Teams wechselten zwischen mehreren, gleichzeitig betriebenen und oft weit entfernt liegenden Baustellen hin und her, und mussten doch eine einheitliche Gestaltung und Qualität sicher stellen, sodass eine zu starke Differenzierung der Handschriften in einem Projekt geradezu kontraproduktiv erschienen wäre, wie bereits Ralf Scharnagl festgestellt hat. [3]
Das siebte Kapitel (77-167) stellt als Hauptteil der Arbeit fünf wichtige Projekte Feichtmayrs in "exemplarischen Werkanalysen" vor (Dießen, Münsterschwarzach, Amorbach, Zwiefalten, St. Anna in Haigerloch). Hier fällt es dem Rezensenten schwer, den "Roten Faden" zum Erkenntnisgewinn zu finden, der über durchaus richtige Einzelbeobachtungen hinausginge. Vieles ist zum Thema und den beschriebenen Ausstattungskomplexen schon gesagt, was Maier sorgfältig nachweist, aber umso schwieriger erscheint es, ihren genuin neuen, eigenen Forschungsansatz zu erkennen. Auffällig ist der regelmäßig gebrauchte Terminus "Stuckmarmorverkleidung" (z.B. 212), der für einen Pilasterschaft passend, aber dem ästhetischen Eigenwert eines freiplastisch-skulpturalen Retabels wie z.B. des Gnadenaltars von Vierzehnheiligen nicht angemessen erscheint, denn hier wird ja nicht ein vorhandenes Objekt "verkleidet", sondern dieses gemäß den stets erweiterten Möglichkeiten des Materials Stuckmarmor erst genuin erschaffen. Hinweise auf die (nur schwer objektivierbare) Reduktion der Farbintensität von Stuckmarmorflächen in der Nähe des Hochaltars, dessen kräftigere Farbgebung hierdurch kontrastierend hervorgehoben wird (z.B. Ottobeuren, Abbildung 103), sind nicht zu einer Gesamtschau verdichtet, welche die "Bedeutung" des Stuckmarmors als eigenständiges, ja ausschlaggebendes Element der Innenräume überzeugend darlegen könnte. Die Fokussierung lediglich einer mutmaßlichen "Leit-Gattung" wird, ähnlich wie die Hervorhebung der Fresken in anderen Untersuchungen, den hier diskutierten, komplexen Gesamtausstattungen eben nicht gerecht.
Der folgende achte Abschnitt zur Materialikonografie (168-196) versucht einmal mehr, homiletisch geläufige Assoziationen wie in der Bibel erwähnte kostbare Steinsorten, das himmlische Jerusalem, den salomonischen Tempel und manch' andere vertraute Topoi zur Deutung heranzuziehen. Diese Zusammenhänge können aber (wie zu erwarten) nicht konkretisiert werden.
Im neunten Abschnitt (197-220) versucht Maier, ihre These der für das Farbraumkonzept spätbarocker Sakralräume bestimmenden Rolle des Stuckmarmors zu erhärten. Freilich bestätigt sich hierbei, dass die Quellenlage eindeutige Urteile kaum zulässt und die konkrete Interaktion der Künstler anscheinend bei jedem Bauprojekt neu verhandelt wurde. Die beiden hier unterschiedenen Farbkonzepte Feichtmayrs, in Zwiefalten und Ottobeuren der "perspektivischen", in Haigerloch dagegen einer "bildhaften Raumerschließung" dienend (205), beschreiben mögliche Lesarten, erscheinen aber nicht wirklich zwingend oder durch entstehungszeitliche Äußerungen belegbar.
Als Fazit kann man zusammenfassen: Eine völlige Neubewertung der Gattung Stuckmarmor und ihres hervorragenden Vertreters Johann Michael Feichtmayr muss aufgrund dieser Arbeit nicht erfolgen; wer aber eine preisgünstige, opulent illustrierte, sorgfältig gearbeitete und den Forschungsstand gut zusammenfassende Publikation zu diesem Thema sucht, dem kann man die Dissertation Eva Maiers ohne Einschränkung empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Ralf Scharnagl: Der Wessobrunner Stukkateur Johann Michael II Feichtmayr, Münster [u.a.] 1993 (= Oktogon; Bd. 13), Zugl. Diss. Mainz 1991.
[2] Elisabeth B. Hinterstocker: Johann Michael Feichtmayr d. Ä., Altarbauer und Zeichner, Kat. d. Ausst. Neues Museum Landsberg am Lech, Landsberg am Lech 2009 (= Beiträge zu Kunstgeschichte und Volkskunde; Bd. 51).
[3] Scharnagl 1993 (wie Anm. 1), 117.
Meinrad von Engelberg