Arnulf Krause: Der Kampf um Freiheit. Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland, Stuttgart: Theiss 2013, 352 S., 20 Farbabb., ISBN 978-3-8062-2498-6, EUR 26,95
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Anlässlich des 200. Gedenkens der Befreiungskriege hat der Bonner Germanist und Skandinavist Arnulf Krause eine Überblicksdarstellung vorgelegt, die vornehmlich die Jahre 1806 bis 1815 umfasst. Die insgesamt zehn Kapitel greifen jedoch über die Jahre der Befreiungskriege hinaus und betrachten auch deren Vor- und Nachgeschichte. Ausgehend von der Niederlage der Preußen gegen das französische Revolutionsheer in Valmy im September 1792 und der im August 1793 ausgerufenen levée en masse zeigt Krause zunächst die Bedeutung der Abkehr vom Kabinettskrieg hin zur modernen Kriegführung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auf. Er beschreibt kurz Hintergründe und Ereignisse der Französischen Revolution, widmet sich mit dem Blick des Germanisten allerdings ausführlicher ihrer Rezeption durch deutsche Literaten wie Campe, Humboldt, Klopstock, Schiller oder Goethe. Nach der Schilderung der wichtigsten Stationen des Aufstiegs von Napoleon Bonaparte umreißt er die Struktur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und seine politische Situation in der Endphase unter französischem Einfluss: die kurzlebige Mainzer Republik und deren Rückeroberung durch preußische Truppen 1793, den französischen Sieg bei Austerlitz 1805, die Gründung des Rheinbundes, die Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II. und das damit verbundene Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806. Die katastrophale Niederlage Preußens in den Schlachten von Jena und Auerstedt und die Degradierung der einstigen friderizianischen Großmacht im Frieden von Tilsit 1807 brachten schließlich "die notwendigen Impulse für eine Erneuerung des Staates" (128) durch die nunmehr kurz dargestellten Reformen Steins, Hardenbergs, Humboldts, Gneisenaus und Scharnhorsts.
Unter dem Titel "Eine Nation (er)findet sich" spürt Krause in zwei langen Kapiteln - dem Kernstück seines Bandes - vor allem der Rolle von Literatur, Kunst und Philosophie für die Entstehung eines nationalen deutschen Bewusstseins nach: Während Herder um die deutsche Volksseele rang, sammelten Arnim und Brentano deutsche Lieder und trugen die Gebrüder Grimm deutsche Volksmärchen zusammen. 1807 übersetzte von der Hagen das Nibelungenlied in die moderne deutsche Sprache, deutete es als Nationalepos und formte es zum "patriotischen Rüstzeug" um (157). Dichter wie Novalis, Schlegel und Tieck und Maler wie Caspar David Friedrich und Schinkel feierten in ihren Werken die vergangene Herrlichkeit des mittelalterlichen Reiches. Fichte wurde mit seinen Reden an die deutsche Nation zu einer "treibenden Kraft der Befreiung von Napoleon" (169), indem er die aktuelle politische Situation mit dem Vordringen der Römer in Germanien verglich. Der Widerstandsgeist gegen Napoleon wurde von Kleist ebenso beschworen wie von dem damals breiter rezipierten Ernst Moritz Arndt, der die deutsche Nation als Sprachgemeinschaft verstand und damit das Problem der Definition politisch-kultureller Grenzen aufwarf. Turnvater Jahn galt nicht nur als einer der theoretischen Köpfe der patriotischen Bewegung, sondern wollte mit seinen vormilitärischen Leibesübungen auch den männlichen Körper erziehen und auf den Krieg vorbereiten. Krause macht bei oder gerade wegen der Ausführlichkeit seiner Schilderungen allerdings nur schemenhaft deutlich, dass die Suche nach der Nation weitgehend eine Elitenbewegung war und zudem zwischen Preußen und Deutschland unterschieden werden muss. Wenn er davon spricht, dass "sich Soldaten und Freiwillige aller Couleur zusammenfanden und ab 1813 gegen Napoleons Truppen marschierten" (184), wird bei Herkunft und Zahl dieser Freiwilligen zu wenig differenziert.
In knappen Zügen folgt die Darstellung der unmittelbaren politischen Vorgeschichte der Befreiungskriege vom Beginn der antinapoleonischen Erhebung in Spanien 1808 bis hin zur katastrophalen Niederlage der Grande Armée in Russland und der von General Yorck von Wartenburg ohne Rücksprache mit König Friedrich Wilhelm III. geschlossenen folgenreichen Konvention von Tauroggen 1812. Krause unterstreicht die Bedeutung des im März 1813 vom preußischen König erlassenen Aufrufs An mein Volk, der Preußen und Deutschland zum Kampf gegen Napoleon aufrief: Erstmals appellierte ein Monarch - wenn auch erst auf Drängen der Reformer in seinem Umkreis - direkt an seine Untertanen. Nach der knappen Darstellung des Frühjahrsfeldzugs und einem längeren Exkurs zu den Lützower Jägern und ihrem prominentesten Mitglied Theodor Körner folgt der Herbstfeldzug bis zur Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813, die ebenso ausführlich wie anschaulich durch Augenzeugenberichte auch in ihren furchtbaren Folgen für die Zivilbevölkerung beschrieben wird.
Die letzten beiden Kapitel sind dem Ende der Befreiungskriege mit dem Feldzug in Frankreich 1814, dem Wiener Kongress, der Rückkehr Napoleons in der Herrschaft der Hundert Tage und schließlich dessen Verbannung nach der Schlacht von Waterloo gewidmet und beleuchten die Gründung des Deutschen Bundes und dessen Widerstreit zwischen fortschrittlichen und restaurativen Tendenzen. Der Band endet mit der Frage nach der Deutung und Instrumentalisierung der Kriege, die sich auch in deren unterschiedlicher Interpretation als 'Befreiungskriege' oder 'Freiheitskriege' und der Vereinnahmung durch unterschiedliche politische Lager von den Liberalen bis hin zur DDR äußerte.
Krause gelingt es, seiner essayistisch gehaltenen und gut lesbaren Untersuchung ein lebendiges, durch eine Fülle von Quellenpassagen angereichertes geistesgeschichtliches Panorama der Befreiungskriege zu zeichnen, wobei der Fokus auf der geistigen Mobilisierung liegt. Titel und Untertitel sind dabei ein wenig irreführend gewählt: Erstens wird der Vorgeschichte der Befreiungskriege deutlich mehr Raum als den politischen und militärischen Ereignissen selbst gewidmet - dies ist nicht unbedingt ein Mangel des Bandes, der Titel weckt jedoch andere Erwartungen. Zweitens identifiziert die nicht recht logische Bezeichnung "Napoleonische Befreiungskriege" Bonaparte als Initiator der Kriege, die jedoch als Antinapoleonische Kriege vielmehr gegen ihn gerichtet waren.
Ausgesprochen bedauerlich ist gerade angesichts der zahlreichen auch für den Historiker erhellenden Quellenpassagen aus Literatur, Kunst und Philosophie der Verzicht auf Belege und Anmerkungen. Das Quellen- und Literaturverzeichnis enthält neben allgemeinhistorischen Publikationen zentrale, auch ältere Titel zum Thema, ignoriert jedoch aktuelle Ansätze und wichtige einschlägige Neuerscheinungen wie etwa die Studien Karen Hagemanns [1], die Zusammenhänge zwischen der Entstehung des modernen Nationalismus, Gewalt und Geschlechterverhältnissen in Preußen von 1806 bis 1815 untersucht, oder Ute Planerts [2], die durch die Analyse der süddeutschen Erinnerungskultur der Befreiungskriege den Mythos eines nationalen Befreiungskampfes in Frage stellt.
Der ansprechend gestaltete Band enthält eine Zeittafel, ein Namensregister sowie Karten und farbige Tafeln mit kanonischen Bildern der Befreiungskriege. Während Krauses Darstellung für die Forschung und für Studierende nur bedingt hilfreich sein wird, bietet sie einer historisch interessierten Öffentlichkeit einen gut lesbaren, quellengesättigten Einblick vor allem in die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen der Befreiungskriege.
Anmerkungen:
[1] Karen Hagemann: "Mannlicher Muth und teutsche Ehre". Nation, Krieg und Geschlecht in der Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens (= Krieg in der Geschichte; Bd. 8), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002.
[2] Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag - Wahrnehmung - Deutung 1792-1841 (= Krieg in der Geschichte; Bd. 33), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007.
Verena von Wiczlinski