Beate Neuss / Hildigund Neubert (Hgg.): Mut zur Verantwortung. Frauen gestalten die Politik der CDU, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 717 S., 28 Farbabb., ISBN 978-3-412-22178-2, EUR 39,90
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Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene waren Frauen in den Parlamenten der Bundesrepublik anfangs eine Ausnahme, erste Ministerinnen wurden zunächst ausschließlich in "Frauenressorts" berufen. Diese Gewichtung hat sich im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte erheblich verändert. Symbolträchtig steht dafür die Tatsache, dass das Grußwort zu einer Publikation, in welcher sich 58 CDU-Politikerinnen darstellen, von einer amtierenden Bundeskanzlerin verfasst wurde.
Die umfangreiche Selbstporträt-Sammlung zeigt Frauen, die in der Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik für die CDU wirkten und wirken und dabei oft mehrere Ämter bzw. Mandate wahrnahmen und -nehmen, zuweilen temporär, meist jedoch für den größeren Teil ihres Berufslebens. Der erste Eindruck, dass es sich bei "Mut zur Verantwortung. Frauen gestalten die Politik der CDU" um einen etwas dick geratenen Prospekt der Frauen Union oder einen Geschenkartikel für Parteitage handelt, verschwindet auch bei eingehenderer Lektüre nie so ganz. Bei aller sich aus der Anlage des Bandes ergebenden Subjektivität ist jedoch ein farbiger Beitrag zur Geschichte der CDU im Besonderen sowie zur deutschen Zeitgeschichte im Allgemeinen entstanden, der - versteht man ihn als Quellengrundlage - auch einer systematischen, historisch-kritischen Auswertung wert wäre.
In einer kurzen Einführung, die von der Chemnitzer Politikwissenschaftlerin Beate Neuss verfasst wurde, welche zugleich als eine von zwei Herausgeberinnen fungiert, werden Richtlinien und Fragestellungen benannt, die den Beiträgen zugrunde lagen. Verwiesen wird auf drei verschiedene Frauengenerationen, die in diesem Band vertreten sind, oder auf die Tatsache, dass eine Reihe der sich hier vorstellenden Frauen bis 1990 in der DDR gelebt und einen entsprechenden biographischen Hintergrund hat. Es bleibt jedoch weitgehend dem Leser überlassen, sich aus dem Corpus selbst ein Gesamtbild zu formen. Die Beiträge differieren in Umfang und Qualität erheblich. Bei einem Teil handelt es sich um längere, von den CDU-Frauen selbstverfasste Texte, welche den Charakter von Mini-Memoiren tragen. Ein anderer Teil besteht aus Interviews, deren Antworten, zumal der aktiven Politikerinnen, manchmal etwas knapp ausfallen.
Bundesweit prominente CDU-Politikerinnen fehlen kaum, weniger bekannte kommen zu Wort. Ein Auswahlkriterium für die Beiträgerinnen ist allerdings nicht erkennbar. Das Lebendige, welches durch die Beschränkung auf autobiographische Auskünfte erreicht wird, mindert allerdings ein wenig den Wert des Buches, wenn der Anspruch erhoben wird, die Gesamtepoche in den Blick zu nehmen, da die verstorbenen Vertreterinnen der in der Bundesrepublik engagierten CDU-Frauen lediglich innerhalb der Beiträge anderer auftauchen. Zu nennen wären hier Helene Weber, Aenne Brauksiepe oder Helga Wex - letztere übrigens später geboren als die ältesten, hier Auskunft gebenden Politikerinnen.
Die Anordnung der Porträts richtet sich streng nach dem Geburtsdatum, beginnend mit Marie-Elisabeth Klee (Jahrgang 1922) und endend mit Kristina Schröder (Jahrgang 1977). Thematisiert wird durchweg der Weg in die Politik. Auffällige Gemeinsamkeit und sicher ein deutlicher Unterschied zu den jeweiligen männlichen Altersgenossen ist die Tatsache, dass nur wenige Frauen die vielzitierte "Ochsentour" hinter sich gebracht haben, also von früh an in der Partei engagiert waren und entsprechend von der Politik gelebt haben. Wesentlich typischer ist der Spät- bzw. Seiteneinstieg. Und auch ein Ausstieg vor Erreichen der Rentengrenze und eine Rückkehr in den ursprünglichen Beruf, bei Politikern wohl insgesamt sehr selten, ist mitunter zu verzeichnen, so etwa bei Carola Hartfelder, von 1993 bis 1996 CDU-Vorsitzende in Brandenburg und von 1994 bis 2009 Landtagsabgeordnete. Kommt der Rücktritt bzw. Rückzug zur Sprache, so entsteht öfter der Eindruck, dass sich CDU-Frauen sehr harmonisch, lange geplant und im Allgemeinen freiwillig aus wichtigen Funktionen verabschieden. Etwas glaubwürdiger scheint der in mehreren Beiträgen hervorgehobene Umstand, dass es bei entsprechenden Anliegen unter Frauen zwar Solidarität über Parteigrenzen hinweg gebe, der Zusammenhalt innerhalb der eigenen Partei aber nicht immer so sei, wie man es aufgrund der angestrebten Verbesserung der Minderheitenposition zumindest theoretisch vermuten würde.
In vielen Beiträgen, vor allem im ersten Teil des Buches, wird die Diskussion um den § 218 thematisiert. Durchweg zur Sprache kommt die Frage nach der Notwendigkeit einer Quote. Die Einstellung schwankt zwischen absoluter Bejahung, etwa durch Regina Görner, von 1999 bis 2004 saarländische Frauen- Arbeits-, Gesundheits- und Sozialministerin, und einer eher reservierten Einstellung; beim Quorum gibt es größere Einigkeit. Die in der DDR sozialisierten Frauen sind meist dagegen - betonen jedoch stets, dass von einer Gleichstellung der Frau in der DDR nicht die Rede sein konnte, auch wenn dies durch das Regime nach außen gern so dargestellt wurde.
Zurückgewiesen werden derartige Ansinnen von der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach ("...ich bin strikt gegen Quote und für Qualität", 287). Steinbach betont - im Unterschied zu anderen - dezidiert den Konservatismus der CDU, wobei das Konservative für sie stets liberale Elemente enthalte.
Der Unterschied von Männern und Frauen in der Politik nimmt breiten Raum ein. Etwas stark, zuweilen schon an der Grenze zum Klischee, wird immer wieder die größere Sachorientiertheit von Frauen betont. Fragen nach dem äußeren Erscheinungsbild werden zumeist als Ärgernis wahrgenommen; man wundert sich allerdings, warum sie dann hier überhaupt so breit thematisiert werden. Richtig mag sein, dass insbesondere die spät zur Politik gestoßenen Frauen vergleichsweise wenig auf funktionierende personelle Netzwerke zurückgreifen konnten und können. Ausgewogen erscheinen die Antworten auf die Frage nach den eigenen Erfolgen und Enttäuschungen; dass es allerdings Ursula Bendix-Engler, seinerzeit Bundestagsabgeordnete und CDU-Bundesvorstandsmitglied, ganz allein war, die Franz Josef Strauß 1976 überzeugte, den Kreuther Trennungsbeschluss zurückzunehmen, wäre neu.
Parallelen und Unterschiede in Lebenswegen unter jeweils anderen politischen Bedingungen werden an den lesenswerten Beiträgen von Ursula Lehr (Jahrgang 1930) und Else Ackermann (Jahrgang 1933) sichtbar. Die Gemeinsamkeit ist natürlich die CDU. Die aus Frankfurt am Main stammende Lehr war von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Ackermann, die in der DDR gelebt hat, war 1990 Mitglied der einzigen frei gewählten und letzten Volkskammer und von 1991 bis 1994 des Bundestages. Beide dürften sich selbst mehr als Wissenschaftlerinnen denn als Politikerinnen verstehen. Ackermann ist Pharmakologin, die Psychologin Lehr trug unter anderem mit der Gründung von Forschungseinrichtungen maßgeblich zur Etablierung des Faches Gerontologie bei. Beide wurden erst spät Mitglied der Partei. Ansonsten sind die Lebenswege sehr unterschiedlich verlaufen. Ackermann trat 1985, also noch in der DDR der dortigen CDU bei, die bei weitem keine Opposition darstellte. Dennoch versuchte Ackermann von dort aus für Veränderungen einzutreten, was im März 1989 mit einer Enthebung von ihrer beruflichen Leitungsposition und einem Ermittlungsverfahren endete. Im Übrigen hätte eine bessere Redaktion dem Ackermann-Beitrag nicht geschadet, stilistische Schnitzer häufen sich und die Bürgerbewegungs-Gruppierung "Demokratie Jetzt" war mitnichten 1990 Bestandteil des Wahlbündnisses "Allianz für Deutschland".
Man könnte weitere Schlaglichter aufzählen oder facettenreiche Beiträge wie denjenigen von Dorothee Willms, von 1982 bis 1991 Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft bzw. für innerdeutsche Beziehungen, hervorheben. In der Reihe der bekannten Politikerinnen, etwa Christa Thoben, Johanna Wanke, Christine Lieberknecht oder Annegret Kramp-Karrenbauer, welche Ministerrang erreicht haben oder als Ministerpräsidentinnen wirken, fehlt Ursula von der Leyen. An ihr und der Tatsache dass sie - allerdings erst nach Erscheinen dieses Bandes - die Leitung des Verteidigungsressorts übernommen hat, wird, neben dem Umstand, dass mit Angela Merkel seit 2005 eine Frau Regierungschefin ist, die Wandlung der Rolle der Frau in der deutschen Politik besonders deutlich.
Diese Wandlung zeichnet der Band nach. Unter wissenschaftlichen Kriterien ist er als Zeitzeuginnen-Beitrag zur deutschen Nachkriegsgeschichte, zum Selbstverständnis von Politikerinnen sowie zur Geschichte der CDU zu bewerten.
Erik Lommatzsch