David Oels: Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre, Essen: Klartext 2013, 440 S., ISBN 978-3-8375-0281-7, EUR 29,95
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Und so ging das Abendland ein zweites Mal unter, vermeintlich. Kurz nachdem es von Deutschland aus wirklich in Schutt und Asche gelegt worden war. Was war passiert?
Ernst Rowohlt hatte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg das Paperback in Deutschland salonfähig gemacht. Zu einem günstigen Ladenpreis, zunächst in Form der berühmten Rotationsromane, später als Taschenbücher, die er in Drehständern feilbot. Inhaltlich setzte er durchaus auf Bewährtes. Unter seinen ersten Taschenbuch-Autoren waren vor allem etablierte Namen wie Hans Fallada, Graham Greene und Kurt Tucholsky. Dem Publikum und - das vor allem! - den Kritikern nicht zu viel an Veränderung zumuten, so lautete seine Devise.
Vorwürfe gegen die Qualität seiner Bücher trafen den Verleger hart, immerhin galt sein Haus als Inbegriff der Hochkultur. Zudem setzte Ernst Rowohlt selbst auf Distinktionsgewinn durch Bildung und baute darauf einen guten Teil seines Marketings auf. Wie die meisten Publikumsverlage lebte er von den zwei großen K's: Kultur und Konsum. Daraus bestand seit der Gründung im Jahr 1908 der Quellcode von Rowohlt, wie man in der soeben erschienenen Dissertation von David Oels nachlesen kann. Der Mainzer Buchwissenschaftler hat eine aufschlussreiche Verlags- und Kulturgeschichte geschrieben, die vom Ende der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die 1950er Jahre reicht. Auf diese Weise entsteht eine intellektuelle Gründungsgeschichte ebenso wie eine Geschichte der Populärkultur der Bundesrepublik.
Von ihm erfahren wir, wie Rowohlt nach dem Krieg ganz bewusst auch bei seinen Taschenbüchern Reminiszenzen an die gute alte Buchbindekunst pflegte und seinen Paperbacks feste, textile Rücken spendierte, um sie wertiger scheinen zu lassen. Halbleinenflexibel nannte der Unternehmer das, denn er suchte nicht nur Leser, sondern auch Käufer. In einer Zeit leerer Mägen, als der Wert eines Buches in etwa dem von 40 Kilo Brot entsprach, musste man eben flexibel sein.
Halbbildung durch Halbleinen, kreischten dagegen die Kulturpessimisten. Im Taschenbuch finde eine kulturarme Zeit ihre trauriges Spiegelbild. Das Paperback sei das der neuen - gemeint war: heruntergekommene - Mittelschicht gemäße Buch, die sich durch "Langweiligkeit ihrer privaten und beruflichen Existenz" auszeichne, durch "Hunger nach sozialem Prestige und ihre Scheu vor jedem Risiko", kurzum: Ein "ideales Ausbeutungsobjekt der Kulturindustrie". David Oels zitiert aus einem Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger mit dem Titel "Bildung als Konsumgut". Darin zog der meinungsstarke Dichter kräftig gegen das Taschenbuch zu Felde. Der geringe Ladenpreis versichere "die Käufer gegen das materielle, die hohe Auflagenziffer gegen das geistige Risiko."
Bemerkenswert, wie abfällig und geradezu ausfällig ausgerechnet Enzensberger die kulturellen Klassengrenzen mit aller Macht hochzuhalten versuchte. Er war zur gleichen Zeit freilich an der Planung der Edition Suhrkamp beteiligt und erkennbar erfüllt vom Selbstbewusstsein eines Intellektuellen, der wusste, wie es richtig geht.
Auch die "Neue Literarische Welt" schimpfte über die RoRoRos; hier werde "das Buch als Massenartikel hergestellt, als Ware, die sich in ihren grellbunten Umschlägen dem niederen Geschmack am meisten anbietet". Das Taschenbuch als Kulturnutte - da blitzte sie noch einmal auf, die schlechte alte Zeit, die Schmutz-und-Schund-Debatte der Weimarer Republik, wenn auch unter anderen Vorzeichen. "Kulturindustrie", "Massenartikel" - Worte wie ausgespuckt. Schwere Geschütze aus dem Arsenal der Feuilletonisten, die ihre Munition auch aus der soeben überwundenen totalitären Erfahrung von gelenktem Gruppengeschmack und Propagandaterror bezogen. "Massenhaft" war wenige Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus verständlicherweise zum Unwort geworden.
"Ein Medium ist bei Kräften, solange es als Schund gilt", meinte Burkhard Müller unlängst in der "Süddeutschen Zeitung". Auch der Umkehrschluss ist wahr: Das Taschenbuch gilt, seit es vom Aussterben bedroht ist, als ein zu schützendes Kulturgut.
Es ist die Darstellung jener Doppelbödigkeit, das Ringen zwischen Kultur und Konsum, die David Oels Verlagsbiographie so lesenswert macht. Zahlreiche bislang unveröffentlichte Quellen hat er ausgegraben. Damit gelingt ihm ein überzeugendes Bild eines Verlags, eines Verlegers, ja: einer verlegten Zeit, in der man modern dachte und zugleich auf Kontinuitäten setzte - der bleierne Aufbruch.
Rowohlts Bücher bildeten "die politischen ebenso wie die literarischen, kulturellen und medialen Brüche und Kontinuitäten, Uneindeutigkeiten und Gemengelagen der eigenen Gegenwart geradezu idealtypisch ab", wie Oels treffend schreibt. Mit dieser Strategie wurde aus Rowohlt der erfolgreichste Publikumsverlag der frühen Bundesrepublik, in dem man übrigens auch schon auf Interaktivität setzte. Die den Büchern beigegebenen "Bitten an die Leser" waren eine höchstpersönliche Erfindung des Verlegers. Ihre Auswertung diente dem, was man heute Endkundenmarketing nennt. Die Zuschriften wurden nicht nur ernst genommen, mitunter fanden sie direkt Eingang in die Programmarbeit.
Etwa beim Millionenseller "Götter, Gräber und Gelehrte" des Rowohlt-Lektors Kurt W. Marek, der das Buch gemeinsam mit Rowohlt am Reißbrett entworfen hatte und unter dem Pseudonym C.W. Ceram veröffentlichte. Bis heute ist dieser "Roman der Archäologie" der Bestseller der Verlagsgeschichte, der nebenbei bemerkt zum damaligen Zeitpunkt wohl die Existenz des Verlags rettete. Im spannendsten Teil seines Buchs weist Oels nach, wie akribisch dieser Verkaufshit geplant, ja gemacht wurde. Eine Anleitung für kommerziell erfolgreiches Buchmarketing wie sie, nun ja, im Buche steht.
"Rowohlts Rotationsroutine" zeigt das, was Publikumsverlage schon immer waren, wenn sie versuchen, sich wetterfest zu machen für die Stürme ihrer Zeit: Foren für verschiedene Stimmen und Meinungen, die Anstoß geben und bisweilen anstößig sind und die sich auch verkaufen lassen. Ernst Rowohlt war ein Meister dieses Fachs, der kulturelles Kapital in das junge Westdeutschland einbrachte, das uns bis heute Ertrag bringt.
Noch immer gilt sein Unternehmen als einer der wichtigsten Publikumsverlage, der ökonomisch erfolgreich ist und inhaltliche Impulse setzt. Und noch immer gilt die Regel: Jeder Leser bekommt die Bücher, die er verdient.
Tobias Winstel