Rezension über:

Wenke Nitz: Führer und Duce. Politische Machtinszenierungen im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien (= Italien in der Moderne; Bd. 20), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 416 S., ISBN 978-3-412-21018-2, EUR 49,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Federica Dalla Pria
Trento
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Federica Dalla Pria: Rezension von: Wenke Nitz: Führer und Duce. Politische Machtinszenierungen im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/23135.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Wenke Nitz: Führer und Duce

Textgröße: A A A

Die vorliegende Arbeit ist aus einem Dissertationsprojekt im Rahmen des SFB 485 "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz entstanden. Ziel des Forschungskollegs war, "die symbolische Repräsentation normativer Konstrukte und die Funktion von Normen und Symbolen für den Aufbau und die Stabilität sozialer und politischer Ordnung" zu untersuchen. Die Erforschung sozialer Ordnungs- und Strukturmuster greift auf eine kommunikationstheoretische Perspektive zurück, die eine systemtheoretische Definition der Politik als kommunikativer Modus anwendet. Innerhalb dieses theoretischen Rahmens wird die Inszenierung der Macht als konstitutiv für den Aufbau und die Stabilisierung einer politischen Ordnung verstanden.

Mit diesem Ansatz untersucht die Autorin die visuelle Inszenierung der Macht in faschistischen Regimen anhand der Pressefotografien in den populären Illustrierten. Ins Blickfeld rücken die Körper der Diktatoren und deren Verhältnis zu Menschenmengen, die Inszenierung der Volksgemeinschaft und die Verwendung politischer Symbole. Die Autorin unternimmt einen Vergleich zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland, welcher die Unterschiede und Gemeinsamkeiten politischer Inszenierungskultur sowie Transfers und Abgrenzungsversuche zutage treten lassen will.

Nitz wendet einen medienhistorischen Ansatz an, der einen komplexen Zusammenhang zwischen Politik, Medien und Gesellschaft postuliert. Diese Betrachtungsweise fokussiert die funktionale Verwendung von Bildern innerhalb einer historisch konkret verorteten politischen Kommunikation.

Im ersten Teil der systematisch angelegten Arbeit (Kapitel I, II, III) werden die medialen Charaktereigenschaften und der historische Kontext der Bildillustriertenproduktion behandelt. Die Bedeutung der Bilder in den Illustrierten, die Mechanismen der Presselenkung, die Produktions- und Verbreitungsbedingungen werden ausführlich untersucht und anschließend miteinander verglichen. Obwohl dem Bild als Kommunikationsmittel in beiden Ländern ähnliche Bedeutung zugeschrieben wird, ist auffällig, dass für Italien von einem in sich geschlossenen Bildprogramm anfangs nicht gesprochen werden kann. Erst seit den 30er Jahren wird eine zunehmende Zentralisierung der Kontrollmechanismen nach NS-Vorbild eingeführt. In Deutschland dagegen bilden die institutionelle Kontrolle und die inhaltlichen Direktiven von Anfang an ein verzweigtes Zensursystem. Trotzdem fehlen für die Bilder ästhetische oder stilistische Anweisungen, wie sie für Textartikel gegeben werden. Die Beziehungen zwischen den zwei Ländern bleiben trotz der Harmonisierungsversuche der Presselandschaft schwierig und pendeln zwischen Lernprozessen und Abgrenzung gegen die Einflussnahmeversuche des (insbesondere deutschen) Partners.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel IV, V, VI) geht Nitz methodisch anhand einer breiten Datenbasis vor, wobei der Schwerpunkt wegen der erschwerten Erhebungsmöglichkeiten des italienischen Materials auf die deutsche Produktion gesetzt wird.

Das Bildmaterial wird zuerst durch das Aufstellen von Serien und die Untersuchung visueller Muster erforscht. Die Autorin schließt sich damit an die Anstöße des visual turns und des Historikertages 2006 an und setzt tatsächlich das Bild ins Zentrum der Untersuchung.

In den seriellen Analysen werden die Hitler-Bilder nach der bildimmanenten Logik mithilfe der Beobachtung der Quantität und Qualität verschiedener Darstellungsmuster untersucht. Den Zeitverlauf der Diktatur entlang untersucht die Autorin mit großer Präzision die Darstellung von Hitlers Körper nach formalen (Blickrichtung, Körperansicht...) und inhaltlichen (Verhältnis zur Menge, Verwendung von Symbolen...) Kategorien der Bildanalysen. Obwohl einige Darstellungsmuster an klassische Herrscherinszenierungen anknüpfen, erläutert Nitz, dass die Abbildungen des Machthabers in Profil und Seitenansichten auf die Darstellung von Beziehungsgeflechten mit dem Volk hindeuten, was eine Neuerung des Bildprogramms ist. In einem weiteren Schritt werden in seriellen Analysen verschiedene politische Themen (Parteitage, Totengedenkfeiern, Machtergreifung...) in ihrem diachronischen Wandel analysiert.

Im Unterschied zu Hitler treten beim Duce häufiger die Bilder hervor, die ihn allein in der traditionellen statischen Herrscherpose darstellen und eine Distanz zwischen Masse und Diktator visualisieren. Die Darstellung Mussolinis wird leider erst in einem Exkurs zu seiner Visualisierung in den deutschen Illustrierten untersucht. Obwohl diese Methode die immanente Logik der Bilder zeigt, da die unterschiedliche Darstellung nicht auf die Unterschiede zwischen Illustriertenmärkten zurückzuführen ist, stellt die Vorgehensweise methodisch gesehen ein Ungleichgewicht in der ansonsten ausgewogenen systematischen Methode dar. Die Erforschung der Bilder im ursprünglichen medienhistorischen Kontext kann zudem durch die Analyse ihrer Stellung innerhalb des Layouts der Illustrierten, der Kontrastierung mit anderen Bildern auf derselben Seite und des Zusammenhangs Text-Bild zu weiteren Aufschlüssen und Überlegungen führen.

Im letzten Teil des Buches (Kapitel VII, VIII) werden die Eigenheiten der deutschen Berichterstattung zu innenpolitischen Themen mit den italienischen Eigenheiten verglichen und die Inszenierung deutsch-italienischer Staatsbesuche in der jeweiligen Illustrierten untersucht. Die Autorin stellt fest, dass in Italien die fotografische Abbildung den Symbolen eine geringere Bedeutung zuschreibt und dass die Visualisierung der Masse unterschiedlichen Darstellungsmustern folgt. Während in Deutschland die formierte Menge der Visualisierung der Ordnungsstiftung durch das Regime dient, zeigt in Italien die ungeordnete und spontane Masse der adunate oceaniche die Visualisierung des breiten gesellschaftlichen Konsenses. Die seit den 30er Jahren zunehmende Anwendung der formierten Menge im italienischen Bildprogramm lässt nach Nitz an die Übernahme der deutschen Visualisierungsstrategien denken, obwohl es diesbezüglich an schriftlichen Quellen mangelt.

Dank der Untersuchung der Staatsbesuche können die bislang separat behandelten visuellen Muster direkt aufeinander bezogen werden. Die Untersuchung geht methodisch vor durch die Bezugnahme von schriftlichen und bildlichen Quellen auf das jeweilige Ereignis und die Analyse des Layouts der Illustrierten und Bildbände. Das stellt eine gute Ergänzung zur vorherigen Vorgehensweise dar, da sie nicht nur die Visualisierungsmuster, sondern auch die Medieneigenheiten der Illustrierten und die Kontrollmechanismen zutage treten lässt.

Wünschenswert wäre gewesen, dass Nitz diese Vorgehensweise auch auf die Untersuchung der anderen politischen Themen in der Illustrierten Presse angewendet hätte. Voraussetzung dafür wäre aber der Rückgriff auf einen kleineren Datenbestand, der eine genauere Analyse der Einzelfälle gestattet.

Eine stärkere Berücksichtigung und Einbeziehung der nationalen Traditionen in der Malerei und Avantgarde und der Debatte über die Fotografie, ihre Rolle und Ästhetik in den zwei Diktaturen, wäre auch nützlich gewesen, um die Unterschiede in den fotografischen Ansätzen (z.B. Dokumentation und Erinnerung versus Visualisierung) zu kontextualisieren.

Unbestritten hat aber die Autorin eine hochgradige Arbeit geleistet, indem sie zum ersten Mal eine breite serielle Analyse zum Aufschluss von Schlüsselbildern der Regimes in den Illustrierten und deren Vergleich präzise und kenntnisreich durchgeführt hat.

Federica Dalla Pria