Stefano Recchia / Jennifer M. Welsh (eds.): Just and Unjust Military Intervention. European Thinkers from Vitoria to Mill, Cambridge: Cambridge University Press 2013, XII + 306 S., ISBN 978-1-107-04202-5, GBP 60,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Roland Burke: Decolonization and the Evolution of International Human Rights, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2010
Bronwen Everill / Josiah Kaplan (eds.): The History and Practice of Humanitarian Intervention and Aid in Africa, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013
Davide Rodogno: Against Massacre. Humanitarian Interventions in the Ottoman Empire, 1815-1914, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2012
Die Frage nach der Legitimation militärischer Interventionen scheint angesichts der sicherheitspolitischen Brennpunkte Afghanistan, Libyen, Syrien und der jüngsten Krise auf der Krim heute aktueller denn je zu sein. Grund genug für die beiden Politikwissenschaftler Stefano Recchia, Lecturer für Internationale Beziehungen an der Cambridge University, und Jennifer M. Welsh, Professorin für Internationale Beziehungen am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, sich in ihrem eben erst bei Cambridge University Press erschienen Sammelband "Just and Unjust Military Intervention" intensiv mit der Thematik und den damit verbundenen kontroversen Fragen auseinanderzusetzen.
Die beiden Herausgeber wählen dabei einen interessanten methodischen Zugang, indem sie - nach ihren Angaben zum ersten Mal überhaupt [1] - Militärinterventionen im Licht der klassischen Texte europäischer politischer Philosophen und Theoretiker von der Frühen Neuzeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts interpretieren. Neben dem Verweis auf die langfristige historische Entwicklungslinie von Interventionspraktiken begründen Recchia und Welsh diesen Schritt damit, dass die ausgewählten europäischen Denker maßgeblichen Einfluss auf die Gestalt der heutigen internationalen Gesellschaft hatten sowie moderne Schlüsselkonzepte wie Souveränität und Selbstbestimmung entscheidend prägten. Die klassischen Werke, die sich eben auch explizit mit der Legitimation und mit den Folgen militärischen Eingreifens beschäftigten, sollen für die heutigen Debatten nutzbar gemacht werden. Obwohl diese Texte, wie die Herausgeber ausdrücklich betonen, keine Blaupause für die heutige Frage nach dem Wann und Wie einer Intervention liefern, könne eine kritische Relektüre der Klassiker die heutigen Debatten dennoch stimulieren und einen wichtigen Beitrag zu neuen konzeptionellen Überlegungen leisten: "[...] our central aim is that contemporary students, scholars, and policymakers, though divided in both time and space from these earlier philosophers and jurist, can still learn a great deal from the questions raised by the classical European thinkers, the problems they highlighted, and even the problematic character of some of the solutions they offered." (19-20).
In insgesamt zwölf Kapiteln geben die vorwiegend aus dem Bereich der Politikwissenschaft stammenden Autoren einen chronologisch angeordneten, umfangreichen Einblick in die verschiedenen Positionen wichtiger politischer Philosophen zum Thema militärischer Interventionspolitik. Der Eröffnungsessay von David Trim (21-47) widmet sich zunächst den historischen Ursprüngen des Begriffs "Intervention", um dann in einem zweiten Schritt einen knappen Überblick der Interventionspraxis in der europäischen Geschichte von den Religionskriegen im 16. bis zum Eingreifen der europäischen Großmächte im Osmanischen Reich im 19. Jahrhundert zu geben. Im zweiten Kapitel wendet sich Ariel Colonomos (48-69) dann direkt den frühneuzeitlichen Denkern Francisco Suarez, Alberico Gentili, Hugo Grotius sowie Emer de Vattel zu und analysiert in einem komparativen Ansatz deren Position bezüglich des präventiven Einsatzes von Gewalt, nicht ohne gewisse Analogien zu heutigen Debatten herzustellen. Die vom spanischen Spätscholastiker Francisco de Vitoria vorgebrachte Begründung spanischer Herrschaft in Amerika als vermeintlichen Schutz der indigenen Bevölkerung vor den Praktiken von Kannibalismus und Menschenopfern steht dann im Zentrum des Beitrags von William Bain (70-95), während der anschließende Essay von Richard Tuck (96-112) noch expliziter auf erste theoretische Ansätze zum Konzept der humanitären Intervention in den Arbeiten von Hugo Grotius, Thomas Hobbes und Samuel Pufendorf eingeht. Samuel Moyn wiederum vollzieht in seinem Beitrag (113-131) einen interessanten Perspektivwechsel, indem er sich mithilfe der Ansätze von John Locke weniger auf ein Interventionsrecht als vielmehr auf das Recht zum Widerstand gegen ungerechte Militärintervention und Besatzung fokussiert. Das schwierige Verhältnis von Souveränität und Intervention problematisiert dann Jennifer Pitts (132-153), wobei sie sich hauptsächlich auf die Arbeiten des Schweizer Rechtsgelehrten Emer de Vattel stützt. Die eher allgemein gehaltenen Positionen der schottischen Aufklärer David Hume und Adam Smith (Edwin van de Haar, 154-175) fehlen im Sammelband genauso wenig wie die der französischen und deutschen Aufklärung in Gestalt von Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und G. W. F. Hegel (Pierre Hassner, 176-195 und Andrew Hurrel, 196-218). Jennifer Welsh (219-236) verdeutlicht dann in ihrem Kapitel, dass im Zuge der Französischen Revolution ein konservativer Politiker wie Edmund Burke Intervention in erster Linie unter antirevolutionären Gesichtspunkten sah und als Instrument zum Schutz des "Commonwealth of Europe" vor der revolutionären Gefahr betrachtete. Den Abschluss des Bandes bilden schließlich zwei Aufsätze (Stefano Recchia, 237-262 und Michael Doyle, 263-287), die ihren Blick auf zwei prominente Vertreter des 19. Jahrhunderts, nämlich Giuseppe Mazzini und John Stuart Mill, richten. Obwohl beide grundsätzlich eine Position der Nichtintervention vertreten, machen sie, wie die Beiträge deutlich zeigen, Ausnahmen im Fall humanitärer Notlagen und befürworten dann ein Eingreifen von außen.
Der Sammelband bietet insgesamt ein breites Spektrum an interessanten Beiträgen, die dem Leser ein umfassendes Bild ermöglichen. Die Herausgeber sind sich dabei des Problems der historischen Kontextualisierung der klassischen Texte bewusst und thematisieren dies auch explizit in ihrer Einleitung. Allerdings sind bestimmte Analogien zwischen historischem Argument und aktueller Debatten an manchen Stellen ahistorisch und deutlich überzogen, so beispielsweise im Fall des Vergleichs der Position Elisabeths I. zur Unterstützung der französischen Protestanten im 16. Jahrhundert und der Reagan-Doktrin im Zuge des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert (274). In den Augen des Historikers verdeckt der dominierende politikwissenschaftliche Ansatz häufig zu stark die historische Perspektive bzw. lässt dieser zu wenig Entfaltungsspielraum. Diese Kritik schmälert insgesamt gesehen jedoch keineswegs das große Verdienst des Sammelbandes, eine erste umfassende Darstellung der verschiedenen Positionen klassischer Denker in Bezug auf das Thema der Militärintervention geliefert zu haben. Entsprechend wird der Band sicherlich einen wichtigen Platz in der wachsenden Literatur dieses Forschungsfeldes finden.
Anmerkung:
[1] An dieser Stelle sei auch auf den bereits 2006 erschienenen Artikel verwiesen: Gustaaf P. Van Nifteri: Religious and Humanitarian Intervention in Sixteenth and Early Seventeenth-Century Legal Thought, in: Sovereignty and the Law of Nations (16th -18th Centuries), ed. by Randall Lesaffer / Georges Macours, Brüssel 2006, 35-60.
Fabian Klose