Johannes Wischmeyer (Hg.): Zwischen Ekklesiologie und Administration. Modelle territorialer Kirchenleitung und Religionsverwaltung im Jahrhundert der europäischen Reformationen (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Beiheft 100), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 275 S., 3 Abb., ISBN 978-3-525-10128-5, EUR 49,99
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Die Kirche, ihre theologische Beschreibung ebenso wie ihre rechtliche und praktische Ausgestaltung vor Ort, wurde aus verschiedensten Gründen zu einem zentralen Gegenstand der Christentumsgeschichte des 16. Jahrhunderts. Deren schwerwiegendste Entwicklung lässt sich mit dem Schlagwort "Reformation" andeuten. Der vorliegende Sammelband, aus einer Tagung am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz hervorgegangen, widmet sich der Frage, wie territorial begrenzte Kirchenleitung bzw. "Religionsverwaltung" vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, also durch eine zweite Generation von Reformatoren, wahrgenommen und gestaltet werden konnte. Denn die ekklesiologischen Debatten blieben keineswegs auf einer theoretischen Ebene, sondern hatten sehr konkrete konfessionsübergreifende Auswirkungen auf Theologie und Praxis des Amtes. Die Forschung zum Thema ist also notwendigerweise interdisziplinär anzulegen und muss allgemeinhistorische Perspektiven ebenso umfassen wie rechts- und theologiehistorische.
Einen solchen umfassenden Zugriff demonstriert der vorliegende Band. Er ist nach einer Einleitung des Herausgebers, in der Forschungsstand und Fragestellungen reflektiert werden, in zwei Hauptteile gegliedert und wird von zwei Kommentaren abgerundet.
Die erste Sektion befasst sich mit "Diskussionen", näher hin den theologischen Diskursen, die in allen Konfessionen zu einer Neubestimmung des kirchlichen Amtes führten; insbesondere ist hier an die Ämter von Bischöfen und Superintendenten bzw. Konsistorien und Synoden zu denken. Die Beiträge behandeln zunächst die erste und zweite Generation der Wittenberger Reformatoren (Elisabeth Rosenfeld, Johannes Wischmeyer) und dann katholische (Klaus Unterburger) und reformierte (Georg Plasger) Perspektiven. Während Luther, Melanchthon und Bugenhagen wenig Ambitionen an den Tag legten, das Kirchenwesen umfassend zu regeln, zeigt sich ab der zweiten Jahrhunderthälfte ein anderes Bild: In der lutherischen Theologie wird über das Konsistorium diskutiert, das die Funktionen des bischöflichen Offizialates übernehmen sollte, zugleich aber Fragen nach dem Verhältnis von geistlicher und weltlicher Justiz sowie zu kirchlicher Autonomie bzw. Mitwirkungsrechten im Territorium aufwarf; auf dem Konzil von Trient bzw. in seinem Umfeld wurde ein reformorientiertes Bischofsideal gepflegt, für das jedoch die mit landesherrlichen Rechten konkurrierende Jurisdiktion zur Umsetzung von Reformen essentiell war; die reformierte Theologie calvinscher Prägung sah sich hinsichtlich der presbyterial-synodalen Grundidee ihrer Ekklesiologie noch stärker zu Flexibilität bei der Adaption in die Gegebenheiten der Territorien des Reiches gezwungen (besonders in der Kurpfalz). Vor allem in den lutherischen Territorien bleiben bei all dem - wie auch die Beiträge der folgenden Sektion zeigen - die Traditionen des landesherrlichen Kirchenregiments aus dem 15. Jahrhundert lebendig. Demgegenüber bringt Klaus Unterburger für die katholischen Territorien, in denen die Bischöfe stärker auf ihren jurisdiktionellen Kompetenzen beharrten, den Säkularisierungsgedanken im Sinne einer Differenzierung von geistlichen und weltlichen Funktionen ins Spiel.
Die Beiträge der zweiten Sektion befassen sich mit "Implementierungen" der theoretischen Überlegungen in die Praxis von Landesherrschaft und lutherischem Landeskirchentum; in Ermangelung geeigneter Beiträger (so der Herausgeber in der Einleitung) musste hier auf katholische und reformierte Perspektiven verzichtet werden. Wie wenig sich die Fürsten im Reich mit einer Aufspaltung von geistlichen und weltlichen Kompetenzen begnügen konnten, zeigt anschaulich der Beitrag von Axel Gotthard zu den reichsrechtlichen Diskussionen im Vorfeld des Augsburger Reichstags von 1555. Die übrigen Autoren widmen sich den Neuordnungen des Kirchenwesens und damit verbundenen Konflikten in verschiedenen exemplarisch ausgewählten Territorien. Behandelt werden Württemberg (Sabine Arend), Pommern (Maciej Ptaszyński), die Kurpfalz (Regina Baar-Cantoni), Skandinavien (Jens E. Olesen) und Siebenbürgen (Martin Armgart). Obwohl damit sehr unterschiedliche historische Situationen angesprochen sind, zeichnen sich doch das neu auszutarierende Verhältnis von Kirche und Landesherrschaft, Kontinuitäten im landesherrlichen Kirchenregiment seit dem Spätmittelalter, Konflikte zwischen verschiedenen kirchlichen und weltlichen Institutionen sowie die jeweils spezifische Ausgestaltung der Institutionen der Kirchenleitung als wesentliche Charakteristika der Epoche ab.
Zu Recht verabschiedet der Band ältere Ansätze mit einseitig etatistischer Ausrichtung zugunsten eines umfassenderen Zugriffs, der den jeweiligen sozialen Logiken folgen möchte. Freilich werden die Möglichkeiten eines theologiehistorischen Zugriffs nur in den Studien von Ptaszyński und Olesen zur "Implementierung" genutzt. Auf der historischen Sachebene bietet er eine Reihe von Informationen über den Umgang mit dem Problem, dass die bischöfliche Jurisdiktion in den reformierten Territorien irgendwie ersetzt werden musste.
Wie wenig die Diskussion über den methodischen Zugriff auf das Thema abgeschlossen ist, zeigen die Kommentare von Karl Härter aus rechtshistorischer und Irene Dingel aus kirchenhistorischer Sicht. Ersterer möchte dem Recht einen systematischen Ort in den Untersuchungen zugestanden und es nicht nur in Elementen rezipiert wissen; letztere skizziert eine Heuristik, mittels derer etwa vergleichende Studien konzipiert werden könnten. Und schließlich formuliert der Herausgeber selbst offene Fragen, die unter anderem auf eine stärkere Einbeziehung institutionengeschichtlicher und prosopographischer Ansätze zielen. Der Rezensent wünscht sich bei all dem eine noch explizitere Einbindung theologiehistorischer Ansätze, die mit allen anderen ins Gespräch gebracht werden müssten. Denn hinter dem Erfolg oder Scheitern von Kirchenpolitik ist doch nicht selten auch theologische Überzeugungskraft oder theologischer Konflikt zu vermuten - gerade auch auf dem Feld der Ekklesiologie.
So bleibt der Band, der inhaltlich erfreulich geschlossen ist, bei der Ortsbestimmung von Kirchenleitung und Religionsverwaltung im 16. Jahrhundert näher an der Administration als an der Ekklesiologie. Doch da nicht der Anspruch auf abschließende Behandlung des Themas erhoben wird, ist damit eher der Wunsch nach weiteren Arbeiten zum Thema formuliert - gerade auch für die nicht-lutherischen Konfessionen. Ein wichtiger Baustein dazu steht mit dem vorliegenden Band allemal zur Verfügung.
Bernward Schmidt